ALLES WAS ICH LIEBE

Leben, Tod und wie man lebt

Stefanie von Poser in ALLES WAS ICH LIEBE. Foto: kleines Theater KAMMERSPIELE Landshut

Lesung im Internet

Über die Treppe gelange ich nach oben in den Saal. Stürmischer Applaus, auf der Bühne sitzt Stefanie von Poser. Nein, ich bin nicht nach Landshut gefahren und ich sitze nicht im „kleinen theater KAMMERSPIELE“. Nur Stefanie von Poser sitzt dort – live und alleine.

Kein anwesendes Publikum. Der Applaus? Vom Band der Theatermacher. Ich sitze zuhause auf dem Sofa, ein Glas Wein neben mir und den Laptop vor mir. Ich streame. Seit Januar begeben sich Schauspielerinnen und Schauspieler des kleinen theaters – KAMMERSPIELE Landshut auf eine ganz persönliche Spurensuche. „ALLES WAS ICH LIEBE“ steht als Titel über dem neuen Format, das Intendant Sven Grunert ins Leben gerufen hat. „Leben, Tod und wie man lebt“, so beschreibt Stefanie von Poser den roten Faden ihrer Lesung an diesem Abend, bei der sie aus fünf verschiedenen Werken lesen wird.

Ich bin so knallvergnügt erwacht

„Was würden sie tun, wenn sie das ganze Jahr regieren könnten?“ Richtig. Joachim Ringelnatz stellt diese Frage. Leicht und froh klingt die Stimme der Schauspielerin beim Rezitieren der Gedichte des berühmten Literaten: „Und auf einmal steht es neben dir“, „Ich habe dich so lieb.“ Der „Morgenwonne“ („Ich bin so knallvergnügt erwacht, ich klatsche meine Hüften, das Wasser lockt, die Seife lacht, es dürstet mich nach Lüften… aus meiner tiefsten Seele zieht, mit Nasenflügelbeben, ein ungeheurer Appetit, nach Frühstück und nach Leben“) schickt Stefanie von Poser den wohlmeinenden Rat hinterher, man möge sich diese Zeilen an den Spiegel hängen, „das hilft“, sie habe es selbst erprobt.

Lesetipp: Stefanie von Poser: Rückbesinnung auf das Wesentliche

Als ich vom Himmel fiel

Stefanie von Poser schlägt das nächste Buch auf. „Als ich vom Himmel fiel.“ Die Autorin Juliane Koepcke schreibt nach mehr als vierzig Jahren über einen Flugzeugabsturz über dem peruanischen Urwald, den sie als 17-jährige, die neben ihrer Mutter saß, als Einzige überlebt hat. „Der Urwald kam auf mich zu und sah dabei aus wie Brokkoli-Köpfe“, höre ich die Stimme der Vorlesenden auf der Bühne. Aus drei Kilometern Höhe abgestürzt findet sich das Mädchen in dichtem Urwald wieder. „Ich hatte keine Angst, nur ein extremes Gefühl des Verlassenseins.“ Nach einer der größten Suchaktionen Perus wurde sie gefunden. Nahezu unverletzt.

Lesung vom kleinen theater Kammerspiele Landshut
Ankündigung der Lesung ALLES WAS ICH LIEBE von Stefanie von Poser. Foto: kleines Theater KAMMERSPIELE Landshut

Ungeplante Heirat in Amerika

„Dies ist ein sehr persönliches Buch“, kündigt Stefanie von Poser das nächste Buch „Blühen wie eine Blume – Einer Krankheit begegnen“ an. Geschrieben hat es die Mutter der in Hausham aufgewachsenen Schauspielerin, Harda von Poser. Im Kapitel „Heirat“ schreibt die Autorin über eine ungeplante Heirat in Amerika. Frank, der Freund, reiste damals beruflich nach San Francisco, wo man sich dann, des besseren Kennenlernens wegen, zur gemeinsamen Weiterreise durch Amerika traf. „Weißt du, dass morgen Valentinstag ist? Lass uns heiraten“, kam der überraschende Vorschlag des Partners. „Wenn wir uns nicht verstehen, lassen wir uns in Las Vegas wieder scheiden und daheim merkt es keiner.“ Nach drei Monaten des Reisens quer durch Amerika ging es dann schließlich „ohne trennenden Umweg über Las Vegas“ wieder nach Hause, erfährt der Zuhörer.

Aus diesem Buch liest Stefanie von Poser noch ein zweites Kapitel. „Der Brief“, in dem es um die an Mukoviszidose erkrankte Lea geht, wie schwierig es für Eltern von chronisch kranken Kindern ist, die Überbehütung aufzugeben und das Kind seinen eigenen Weg gehen zu lassen, und um die Lebensweisheit der betroffenen Kinder. „Warum bedauert ihr Erwachsenen uns immer? Ja, wir wissen, dass wir sterben. Wir leben kürzer aber vielleicht erfüllter.“ Um nur einen Satz aus dem Gelesenen zu zitieren.

Zum Reinhören: Podcast zu ALLES WAS ICH LIEBE mit Stefanie von Poser von Carola Feddersen

Wenn du lachst kann ich auch lachen

Mathilde erwacht jede Nacht, weil ihre Schwester Zus sie besucht. Zus ist vor vierzig Tagen am Bahnübergang von einem Zug erfasst und tödlich verletzt worden. Für Mathilde ist die Schwester immer noch da, sie spricht mit ihr und sie spielt mit ihr die Spiele, die beide immer gespielt haben und sie lässt sich von Zus trösten. Auch Zus sucht Wärme bei Mathilde, die sich als einzige Zeugin des Unglücks schuldig fühlt, es nicht verhindern konnte. Zus will, dass Mathilde aufhört zu trauern, erst dann kann sie selbst frei sein. „Ich kann nicht mehr wiederkommen. Höre auf, dir die Schuld zu geben. Ich friere, wenn du weinst und ich muss dann auch weinen. Wenn du aber lachst, dann kann ich auch lachen. Gönne mir die Wärme. Und du wirst an mich denken, wenn du ein Eis isst und wenn du in der Schule bist.“ Hier ist Stefanie von Poser die Schauspielerin, schlüpft verbal in die Figuren dieses Theaterstückes von Theo Fransz, streitet mit Zus und tanzt mit Mathilde.

Schritt – Atemzug – Besenstrich

„90 Prozent von Ihnen werden es kennen“ stellt die aus vielen Film- und Fernsehrollen bekannte Schauspielerin eine Vermutung an. Und als sie von Beppo dem Straßenkehrer spricht, kann ich mich auch umgehend von den restlichen zehn Prozent distanzieren. Momo, von Michael Ende, logisch. Stefanie von Poser spannt den Bogen über Corona zur erzwungenen Langsamkeit und damit zur Essenz aus Kapitel 4 des Buches, aus dem sie zitiert: „Man darf nie die ganze Straße auf einmal denken. Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Dann macht es Freude, das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein“.

Momo

März 2019 im FoolsTheater: Beppo Straßenkehrer erklärt Momo seine Sicht auf die Welt. Foto: MZ

Stefanie von Poser hat ihre Sache, das Debüt der Lesereihe ALLES WAS ICH LIEBE, auch gut gemacht. Sehr gut. Und als sie sich mit Blick auf ihre Armbanduhr und den Worten „Den Tatort schafft ihr noch, da spielt heute mein Mitbewohner mit“ verabschiedet, treffe ich eine Entscheidung. Nein, von einem Tatort werde ich mir diesen bereichernden und wunderschönen Literaturabend nicht zerstören lassen. Ich schaue mal im Bücherregal wo der „Ringelnatz“ steht.

Weiterführende Infos:
Auf der Website des kleinen theater Kammerspiele Landshut können Sie weitere Informationen zu ALLES WAS ICH LIEBE erhalten, sowie Karten für die jeweiligen Live-Übertragungen erstehen.

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