Michael Lichtwarck-Aschoff_F.Mirko Markic

Michael Lichtwarck-Aschoff: „Als die Giraffe noch Liebhaber hatte“

Michael Lichtwarck-Aschoff. Foto: KN

Neuerscheinung auf dem Buchmarkt

Vor einem Jahr stellte Michael Lichtwarck-Aschoff sein erstes Buch beim Schlierseer Kulturherbst vor. Jetzt ist sein zweites Buch erschienen: „Als die Giraffe noch Liebhaber hatte.“ Wieder fesseln wissenschaftlicher Inhalt und Schreibstil des Autors, eines ehemaligen Intensivmediziners.

„Naturwissenschaft ist wie Sex. Natürlich kommt es gelegentlich auch einmal zu praktischen Resultaten. Aber das ist nicht der Grund, warum wir sie betreiben.“ Diese Bemerkung des Physikers Richard Feynman auf dem Buchrücken trifft präzise die Intention der Naturwissenschaftlicher. Sie forschen aus Leidenschaft. Und ihre Ergebnisse kommen oft völlig ungeplant daher, durch Zufall, durch Intention, wer weiß?

Packender Erzählstil

Michael Lichtwarck-Aschoff hat sich diesem Phänomen anhand von vier Geschichten über die Entdeckungen von Naturwissenschaftler gewidmet. Wie der Titel ahnen lässt, sind das keine trockenen wissenschaftlichen Abhandlungen, sondern geistreiche literarische Kostbarkeiten. Der Autor hat einen ungewöhnlichen packenden Erzählstil, kurze knappe Sätze wechseln mit längeren ab, präzise Beschreibungen der Menschen, der Umgebung und der Handlungen verraten den genau beobachtenden Naturwissenschaftler.

Als solcher hat er sich auch das Sujet gesucht. Schon in seinem ersten Buch ging es um den Traum vom Fliegen und dessen technischer Umsetzung durch ungewöhnliche Menschen, hier sind es ambitionierte Forscher, die sich mit Leidenschaft ihrer Sache verschrieben haben, ganz gleich ob dabei Köpfe rollen oder Erblindung droht.

Hottentottenvenus Zarah Baartman

Die erste Erzählung handelt von Étienne Geoffroy Saint-Hilaire, der sich in der Tat in eine Giraffe verliebt, unter Harnverhalt leidet und der zu erblinden droht. Wie offen gelassene Käfigtüren von Wildtieren, ein stoischer Sudanese und die berühmte Hottentottenvenus Zarah Baartman zu seiner Erkenntnis der Ähnlichkeit der Menschenrassen beitrugen, erzählt der Autor mit Brillanz.

Die zweite Geschichte beginnt dramatisch, nämlich mit dem Kopf, der in den Korb geworfen wird. In Paris 1794. Der große Chemiker Antoine de Lavoisier wird durch die Guillotine hingerichtet, wenige Tage später rehabilitiert. Sein Labordiener Jean-Marie erzählt aus seiner Perspektive die Geschichte der Erforschung des Stoffwechsels, der insbesondere der Frau des Wissenschaftlers durch Hungerkuren und anschließendes Mästen zu verdanken ist. Auch einem in einen Speckmantel eingepackten Fasan.

Ehrlichkeit in der Wissenschaft

Kennen Sie Joseph Meister? Den ersten Menschen, der gegen Tollwut geimpft wurde? Michael Lichtwarck-Aschoff setzt ihm ebenso wie Louis Pasteur, dem Chemiker, der das Serum entwickelte, ein Denkmal, obwohl es eigentlich um eine Gedenktafel geht. Er schreibt die Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln und bringt damit Zeitkolorit und Authentizität in die Erzählung. Sie ist die längste und auch facettenreichste des Bandes, denn hier geht es nicht nur um Wissenschaft und Historie, sondern ebenso um Macht, Feigheit, Gier, Verrat, um menschliches Verhalten in einer schweren Zeit: 1940 im Elsass. Und es geht um Ehrlichkeit in der Wissenschaft, ein ebenso zeitloses Thema.

Zeitlos ist auch die Grundidee des Physiologen Claude Bernard, dass ein Wissenschaftler zwar Visionen haben dürfe, aber letztlich das exakte Experiment Grundlage seiner Arbeit sei. Ihm ist die vierte Erzählung gewidmet, in der die Bedeutung des inneren Milieus eines Lebewesens und seiner Sehnsucht nach Licht nachgegangen wird. Michael Lichtwarck-Aschoff hat dazu eine Geschichte ersonnen, die er spannungsreich erzählt.

Michael Lichtwarck-Aschoff

Immer wieder ist der Leser hingerissen vom Sprachreichtum des Autors, von seinen poetischen Wendungen, wie „enttäuschtes und sehnsüchtiges Schmelzwasser“ und seiner lebendigen Erzählweise. Das Buch kann nicht nur naturwissenschaftlich interessierten Lesern empfohlen werden, denn die hier behandelten Themen sind allgemeingültig und neben dem Lesegenuss bildet man sich ein ganzes Stück weiter.

Michael Lichtwarck-Aschoff: Als die Giraffe noch Liebhaber hatte, Klöpfer&Meyer, 2017. Am 26. November um 11 Uhr liest der Autor im Atelier am See in Schliersee. Seine Schwester Cornelia Heinzel-Lichtwarck hat dazu passende Illustrationen gefertigt. Derzeit aber läuft noch bis zum 20. November die Ausstellung „Märchen“ der Schlierseer Künstlerin. Zur Finissage am kommenden Montag liest Marianne Gmelin um 19.30 Uhr Märchen für Erwachsne. Harfenistin Stefanie Polifka begleitet musikalisch beide Veranstaltungen.

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