Anders Wandern

Das Geschenk der Erinnerung ist die Versöhnung

Diakon Alois Winderl am Gedenkort Weinberg. Foto: MZ

Anders Wandern am Schliersee

Bei strahlendem Sonnenschein durften gestern die Teilnehmenden am „Anders Wandern“ in Schliersee inspirierende Impulse von Diakon Alois Winderl und dem evangelischen Pfarrer Matthias Striebeck mit weiterführenden Gesprächen erleben.

Der vierte Stationenweg in der Reihe „anders wachsen“ führte nach Gmund, Hundham und Valley rund um den Schliersee. Dabei bildete die Weinbergkapelle zum Thema „Erinnerung“ die erste Station zum Nachdenken. Diakon Alos Winderl erläuterte die Geschichte dieses magischen Ortes, der schon zur Keltenzeit bekannt war.

Anders Wandern
Blick vom Weinberg auf Schliersee. Foto: MZ

Berühmt-berüchtigt aber wurde er, als hier in den zwanziger Jahren ein Denkmal für die Gefallenen der Annabergschlacht errichtet, 1945 gesprengt und stattdessen eine Gedenktafel an der Weinbergkapelle angebracht wurde, an der sich alljährlich Neonazis versammelten, was eine Gegenbewegung ins Leben rief.

Lesetipp: Deutschstunde auf dem Weinberg

2016 startete ein Prozess der Aufarbeitung, der von Wolfgang Foit vom Kreisbildungswerk Miesbach initiiert wurde und verschiedene Gruppierungen einband. Das Ergebnis ist ein von der Werkstatt Wiegerling gestalteter halbrunder Stein mit einem Text des Instituts für Zeitgeschichte, in den die alte Tafel eingebettet ist.

„Jede Erinnerung ist schmerzhaft und schön“, sagte Alois Winderl, „und letztlich ist das Geschenk der Erinnerung die Versöhnung.“ Den Abschluss bildete ein Besuch der ursprünglich romanischen Georgskapelle mit dem frühgotischen Anbau.

Anders wandern
Matthias Striebeck spricht zu Spiel. Foto: MZ

Hinunter an den See, erreicht die Gruppe von Anders Wandern schnell einen Kinderspielplatz und Matthias Striebeck referierte zum Thema „Spiel“. Zweckfreies Spiel als kulturbildender Faktor führe zu einem Verständnis für Identität, sagt der aus dem Allgäu angereiste ehemalige Pfarrer von Neuhaus. Im Gegensatz zum Homo Faber und Homo Oeconomicus sei der Homo Ludens, der spielende Mensch, einer, der sich die Welt durch spielerische Aneignung erschließe. Nach Friedrich Schiller ist der Mensch nur da ganz Mensch, wo er spielt.

Zweckfreies Spielen?

In der Diskussion ergab sich die Frage, ob ein Spielplatz wirklich zweckfreies Spielen ermögliche oder durch die Geräte doch alles vorgegeben sei. Andererseits kam die Frage auf, ob in einem Waldkindergarten, wo es kein Spielzeug gibt, eventuell ideologisiert werde. Ein weites Feld.

Anders wandern
Die Zeit blieb stehen. Foto: MZ

Um „Zeit“ ging es im Kurpark, wo im Rahmen des Schlierseer Kulturherbstes die Uhr von Wolfgang Aichner und Thomas Huber installiert wurde. Vier Teilnehmende der Wanderung setzten sich auf die vorgesehenen Plätze und konnten damit die Uhr zum Stillstand bringen. Beim Aufstehen springt die Uhr auf Echtzeit zurück.

Anders Wandern und Einfachheit

Intensive Diskussionen über den Umgang mit der Zeit schlossen sich beim Weitergehen an. Am Campingplatz angekommen, ließ Alois Winderl an seinen Gedanken zur “Einfachheit“ teilhaben. Er habe von Schaftlach aus startend den Jakobsweg absolviert, erzählte er, und dabei durch Weglassen alles Überflüssigen festgestellt, dass Reduktion ein Gewinn sei. Unser derzeitiges auf materielles Wachstum ausgerichtetes Leben müsse durch geistiges Wachstum ersetzt werden.


Alois Winderl spricht zu Einfachheit. Foto: MZ

Während die Teilnehmenden auch dem Rauschen des Baches lauschten, zitierte der Diakon Platon, das Einfache in der Natur lasse staunen und durch Staunen komme der Mensch zu Wissen. Letztlich rief er zu Dankbarkeit auf und sagte mit dem Gründer des Jesuitengründers Loyolla „Dankbarkeit ist die Quelle aller Freude.“

Macht und Ohnmacht

Am Seeufer ging es weiter bis zu einem Platz, wo ein Blick der Ruine Hohenwaldeck am Berg des anderen Ufers möglich ist. Matthias Striebeck hatte hier zwei Geschichten zum Thema „Macht/Flucht“ parat. Er erzählte von Königin Wilhelmina der Niederlande, die vor den Nazis ins Exil nach London floh, nur im Regenmantel über Morgenrock und Nachtwäsche, eine Königin ohne Hab und Gut auf fremden Boden, Königin und Flüchtling, Macht und Ohnmacht.


Matthias Striebeck mit Blick zu Hohenwaldeck. Foto: MZ

Bei der zweiten Geschichte ging es anhand des gekenterten Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia um die Frage, ob der Kapitän als letzter das sinkende Schiff verlassen müsse und welche Gesetze hier gelten.

Positive und negative Freiheit

Lange Diskussionen schlossen sich an die Station „Freiheit“ am Fitnessparcour an. Matthias Striebeck hatte klar herausgearbeitet, dass es eine negative Freiheit, die Freiheit von etwas ebenso gibt wie eine positive Freiheit, die Freiheit zu etwas. Beide sind unmittelbar miteinander verbunden.

Die positive Freiheit sei eine Freiheit der Entscheidung, aber auch eine Freiheit, Bindungen und Verpflichtungen einzugehen. „Freiheit benötigt Reife“, sagte er, „in einer gedankenlosen unkritischen Gesellschaft kann sich Demokratie rasch in ihr Gegenteil verkehren.“ Es sei wichtig frei zu sei, aber auch unsere Freiheit mit Inhalten zu füllen.


Schönheit: Blick von Fischhausen nach Schliersee. Foto: MZ

Schönheit der Natur hatte uns den gesamten Weg begleitet, in Fischhausen aber auf einer Bank sitzend, genossen wir den Blick über den See hinüber zum Nordufer und Schliersee mit der Sixtuskirche besonders. Matthias Striebeck verband hier das Schöne und das Gute zur Vortrefflichkeit. Als Beispiel hatte er neben der Natur die Schuhe einer Teilnehmerin im Visier. Die Waldviertler Schuhe, handgefertigt, seien schön und gut, im Sinne von Regionalität und Nachhaltigkeit.

Versöhnung bei Anders Wandern

Beim gemeinsamen Mittagessen im Schnapperwirt sprach Matthias Striebeck das Tischgebet zum Thema „Versöhnung“, abgeleitet vom Studienzentrum Josefstal, das ein Nagelkreuzzentrum ist. Das Nagelkreuz von Coventry ließ der Domprobst der zerstörten Kathedrale von Coventry aus Zimmermannsnägeln zusammensetzen, es ist das Symbol der Versöhnung. Auch im Studienzentrum gibt es ein solches Nagelkreuz und jeden Freitag wird das Versöhnungsgebet gesprochen: Versöhnungslitanei von Coventry.


Nagelkreuz in der Kapelle. Foto: Studienzentrum Josefstal

Ein gelungener Abschluss des Formates Anders Wandern, der das Wort von Alois Winderl vom Anfang wieder aufgriff: „Das Geschenk der Erinnerung ist die Versöhnung.“

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