Erinnerungen an 40 Jahre Orgeldienst
Kantorin Andrea Wehrmann und Altistin Veronika Castiglione. Foto: Manfred Wehrmann
40 Jahre Orgeldienst
Im Jahr der Orgel erinnert sich die Kantorin der evangelischen Apostelkirche Miesbach und Kulturpreisträgerin der Stadt Miesbach Andrea Wehrmann an ihren Werdegang und berichtet über ihre Freude, dem Nachwuchs dieses Instrument näher bringen zu können.
Aufgewachsen bin ich in Ratzeburg in Schleswig-Holstein, musikalisch geprägt wurde ich durch Neithard Bethke, Kantor und Organist am Ratzeburger Dom. Er unterrichtete mich im Klavier-, Blockflöten- und Orgelspiel. Ich sang im Kinderchor, spielte im Kinderorchester die Bassflöte und lernte in der Domkantorei sämtliche große Oratorien kennen und lieben.
Mit fast 12 Jahren begann ich das Orgelspiel, 1981 erwarb ich die D-Prüfung und im selben Jahr übernahm ich als 14-jährige meine erste Orgelstelle in einem kleinen Dorf bei Ratzeburg. Mein Stellenteiler war damals Tobias Brommann, der heute Kantor am Berliner Dom ist.
Andrea Wehrmann 1979. Foto: privat
Orgel übte ich in der Aula des Ratzeburger Gymnasiums. Den Schlüssel erhielt ich von meinem Vater, der dort Lehrer war. Ich durfte nur abends üben und fürchtete mich oft alleine in dem großen dunklen Gebäude.
Zwiespältige Gefühle
Der Unterricht bei Neithard Bethke war zwiespältig: Da er und mein Vater befreundet waren und mein Vater bei Konzerten meist “für Gottes Lohn“ Querflöte spielte, erhielt ich den Unterricht umsonst. Das hatte den Nachteil, dass Neithard den Unterricht nicht so ernst nahm. Oft hörte ich, wenn ich zur vereinbarten Stunde kam: „Was willst du denn hier? Ich habe jetzt keine Zeit.“ Und er komponierte und promovierte weiter oder fütterte einfach nur seine Zwerghühner.
Als gefragter Organist und Kapellmeister war er oft auch gar nicht da. Seine häufige Abwesenheit bescherte mir allerdings die ersten lukrativen „Mucken“: Der Ratzeburger Dom und seine viermanualige Rieger-Orgel lockte viele Besucher an. Es war beliebt, für einen Betriebsausflug eine Orgelführung zu bestellen. Als Vertretung meines Lehrers spielte ich bei diesen Vorführungen die „Suite gotique“ von Boëllmann und erhielt dafür stolze 50 DM.
Nach dem Abitur begann ich ein Musikwissenschaftsstudium in Erlangen, um Journalistin zu werden. Um die karge monatliche Zuwendung von daheim etwas zu erweitern, spielte ich bei den in Erlangen stationierten Amerikanern im Gottesdienst und wurde in Dollars bezahlt, die damals erfreulich viel wert waren.
Am kirchenmusikalischen Institut machte ich die C-Prüfung und stellte dabei fest, dass mir die praktische Musikausübung viel mehr Freude bereitet als das Schreiben über Musik. Nach der bestandenen Aufnahmeprüfung studierte ich in Bayreuth Kirchenmusik, legte dort das B-Examen ab und erwarb ein Diplom als Klavierlehrerin.
Um in Bayern als hauptamtliche Kirchenmusikerin angestellt zu werden, musste man ein Praxisjahr bei einem erfahrenen Kirchenmusiker absolvieren. Mein Mentor war damals KMD Friedrich Sauler in Bad Tölz. Anfangs versuchte er, mich mit den üblichen Praktikantentätigkeiten zu beschäftigen, d.h. Kaffee für 100 Personen zu kochen, Noten kopieren etc. Nachdem ich hierbei aber kläglich versagte, ließ er mich lieber die Gottesdienste übernehmen, Stimmproben halten und ich durfte meine erste Bachkantate dirigieren.
Studium der Kirchenmusik
In dieser Zeit reifte in mir der Entschluss, weiter zu studieren und die A-Prüfung zu erlangen. Um mich auf die Aufnahmeprüfung der Münchner Musikhochschule vorzubereiten, übte ich viel und lange in der Tölzer Kirche, inklusive Brotzeiten auf der Orgelempore. Wegen der Krümel gab es oft Ärger mit dem Mesner!
Nach bestandener Aufnahmeprüfung durfte ich 1994 ins siebte Semester Kirchenmusik einsteigen und konnte das Studium mit der Anstellung als nebenamtliche Kirchenmusikerin an der Kreuzkirche in Schwabing finanzieren. 1995 wurde ich unverhofft schwanger und im Januar 1996 kam mein Sohn Sebastian zur Welt. An der Hochschule war ich damit eine Exotin – alle Professoren haben mir geraten, das Studium zu unterbrechen. Nur Hedwig Bilgram wusste, dass ein Studium mit einem Baby leichter zu bewältigen ist als mit einem Krabbelkind und riet mir, weiterzumachen. Großzügig reservierte man mir einen Orgelübraum mit Waschbecken, so dass ich meinen Sohn stillen und wickeln konnte. Er lag friedlich in seinem Kinderwagen und ich konnte entspannt üben.
Orgeldienst in der Miesbacher Zeit
Im Sommer 1996 habe ich dann das A-Examen bestanden. Im Herbst desselben Jahres zog ich mit meinem ersten Mann und Sohn Sebastian nach Miesbach.
Kulturpreis der Stadt Miesbach. Foto: privat
Dort durfte ich den Bau einer neuen Orgel begleiten und nach meinen Vorstellungen beeinflussen. Seitdem habe ich mehr als 2500 Gottesdienste, Andachten, Trauungen, Taufen, Beerdigungen und Konzerte an der Wünning-Orgel gespielt.
Lesetipp: Orgelandachten
Inzwischen sind es 40 Jahre Orgeldienst
Mein zweiter Ehemann, der als Ingenieur handwerklich sehr geschickt ist, wurde vom Orgelbauer höchstpersönlich zum „Orgelsachverständigen ehrenhalber“ ernannt, weil er kleinere Reparaturen an der Orgel vornehmen konnte.
Große Freude bereitet mir der Unterricht mit meinen begabten Orgelschülern. Einer von ihnen konnte ein Studium am Royal College of Music in London beginnen. Im vergangenen Jahr wurde unsere Wünning-Orgel 20 Jahre alt. Noch immer bin ich sehr glücklich über dieses wunderbare Instrument, das die Gemeinde in Gottesdienst und Konzert mit ihren herrlichen Klängen erfreut.