Der Tisch ist ein Floß
Andreas Kuhnlein und Sisyphos versuchen den Tisch aufzurichten. Foto: Monika Ziegler
Ausstellung im Kloster Seeon
Wieder einmal überrascht der Bildhauer Andreas Kuhnlein den Kunstfreund. In seiner Ausstellung in und am Kloster Seeon erzählt er uns eine Geschichte, eine Geschichte in Skulpturen, spannend, tiefgründig. Sie endet mit einem Angebot.
Der renommierte Holzbildhauer hatte in seiner viel beachteten Ausstellung „Zerklüftete Antike“ in der Glyptothek in München den antiken glatten Skulpturen seine eigenen zerklüfteten und verletzbaren gegenübergestellt. Bei seiner großen Ausstellung „MenschSein“ in der Städtischen Galerie Rosenheim hatte er die Natur des Menschen in der ganzen Vielfalt ausgelotet und beim Artcycling Festival vor einem Jahr im KULTUR im Oberbräu Holzkirchen war er mit drei Skulpturen zu Gast, die gesellschaftspolitische Themen beleuchteten.
Station 1: Der eckige Abendmahltisch. Foto: Andreas Kuhnlein
Jetzt lud ihn der Bezirk Oberbayern in sein Kultur- & Bildungszentrum Kloster Seeon ein. Andreas Kuhnlein wählte als Thema den Tisch. Schon seit vielen Jahren beschäftige ihn die Funktion des Tisches, der ja nicht nur zum Essen und Trinken da sei und sein philosophischer, mythologischer und religiöser Hintergrund, erzählt der Künstler.
Station 2: Der Tischumwerfer. Foto: Andreas Kuhnlein
Und so empfängt den Besucher am Eingang die lange schlichte Tafel und natürlich ist die Assoziation zum Abendmahl sofort da, aber auch die Einladung, Platz zu nehmen und Argumente auszutauschen. Dann aber gibt es Menschen, das nicht wollen und die versuchen, den Tisch umzuwerfen. „Die Tischumwerfer sind zu Hauf am Werk, weltweit, zur Zeit besonders verhaltensauffällig. Allenthalben Machthaber, die Politik durch eine Abrissbirne ersetzen“, schreibt der Schriftsteller Gerd Holzheimer im Katalog zu Station 2 der Geschichte der Bildhauers.
Station 3: Der Tisch ist ein Floß. Foto: Monika Ziegler
„Was passiert dann?“ fragt Andreas Kuhnlein und geht mit uns zum Ufer des Sees. Der umgestürzte Tisch ist zum Floß geworden, an ihm hält sich eine weibliche Figur fest, die dem Tisch wieder eine Heimstätte geben will. Eigentlich habe er hier die mythologische Figur des Odysseus im Sinn gehabt, der zunächst ein Tischumwerfer im Trojanischen Krieg war, dann aber umgeschwenkt sei und Ordnung in das Geschehen bringen wollte, sagt Andreas Kuhnlein. Dann aber habe er bewusst eine Frau gewählt, die Ruhe in den Aufruhr bringt.
Station 5: Beginn einer Diskussion. Foto: Andreas Kuhnlein
Jetzt ist er also wieder an Land, der Tisch, aber umgeworfen, es hat einen Umsturz gegeben, eine Revolution, Chaos. Daraus aber könne auch wieder Diskussion entstehen, hofft der Künstler und führt uns zu einer Dreipersonengruppe. Eine Figur schaut zum umgekippten Tisch in die Vergangenheit, eine Figur schaut nach vorn in die Zukunft und eine, etwas unbeteiligt ist ganz in der Gegenwart. Alle drei versuchen aus ihrer Sicht eine Basis für die Diskussion zu schaffen.
Nicht aufgeben
Und dann gibt es dann diesen Sisyphos, er liegt Andreas Kuhnlein besonders am Herzen. Und so beteiligt er sich auch gleich am Versuch, den Tisch wieder aufzustellen. „Im Rhythmus der Welt einschwingen“, nennt er es in Anlehnung an Goethe, dieses Immer-wieder-versuchen, nicht aufgeben, wobei der Erfolg zweitrangig sei.
Der Philosoph. Foto: Andreas Kuhnlein
Im Gebäude empfängt uns der Philosoph. Den brauchen wir fürs Zusammenleben, meint der Bildhauer, denn schließlich sei alles Wichtige schon gedacht worden, die Kunst bestehe nur darin, es in die heutige Zeit zu übertragen und umzusetzen. Dieses vorhandene Wissen verkündet die Leserin an ihrem Pult. Vor ihr steht ein Tisch mit hingeworfenen Buchstaben.
Die Leserin. Foto: Monika Ziegler
Dieser Buchstabentisch solle symbolisieren, dass das Werkzeug des Wissens, wie auch das Wissen selbst, begrenzt ist, erklärt der Künstler. Und manchmal habe man auch keine Buchstaben, keine Worte, sei sprachlos.
Die Perspektive wechseln. Foto: Monika Ziegler
In der Mitte des Raumes hat er einen Tisch gestellt, an dem eine Frau und ein Kind stehen. „Kinder haben oft ein Gespür dafür, was unter der Oberfläche passiert“, meint Andreas Kuhnlein. Diese Skulptur möge daran erinnern, die Sichtweise des anderen anzuhören, nicht über seinen Kopf hinweg zu reden. So könne man zum Ziel kommen.
Der runde Tisch. Foto: Andreas Kuhnlein
Dieses Ziel ist hinter einem dunklen Vorhang verborgen. Dahinter schließt sich der Kreis. Er begann mit dem eckigen Abendmahltisch und er endet mit dem runden Tisch. Mit einer Einladung zur Offenheit. „Was lege ich drauf?“, habe er sich gefragt, sagt der Künstler. Das Grundgesetz? Nein, alles lenke ab, es gehe hier nur um ein Angebot.
Die Kunst hilft uns dabei
Gerd Holzheimer schreibt dazu: „Wo manch Vertrautes fragwürdig zu werden droht, sehen wir in Gestalt der Skulpturen von Andreas Kuhnlein, dass auch befremdliche Erfahrungen ihren Platz haben können, sie müssen ihn sogar haben – immer vorausgesetzt, wir behalten unsere Fähigkeit, auch Auseinanderstrebendes in uns integrieren zu können. Die Kunst hilft uns dabei.“