100 Jahre sind weit weg, viel zu weit. Bei einer Vision will ich etwas sehen, in absehbarer Zeit. 5 Jahre, vielleicht zehn, aber spätestens dann hätte ich sie schon sehr gerne umgesetzt, meine Vision.

Grund dafür war ein Eis, an einem Sonntag. Radltour durchs Oberland, Mittagspause am Brunnen im Zentrum von Feldkirchen. Der Ort ist letztlich egal, die gleiche Szenerie könnte in Schliersee, Miesbach, Tegernsee, Weyarn, Holzkirchen, Waakirchen, überall stattfinden.

Das Eis schmeckt gut. Aber: Es ist laut. Extrem laut. Der Ausflugsdurchgangsverkehr. Ein Auto nach dem anderen, dazwischen röhrende Motorrädern. Man versteht gerade so sein eigenes Wort. Entspannung, dolce vita? Bestimmt nicht. In einer Fußgängerzone würden alle großen und kleinen Menschen mit und ohne Eis in aller Ruhe (sic!) hier sitzen, sich unterhalten, lachen, ohne immer wieder kopfschüttelnd auf die Straße zu schauen. Hier nicht. Es ist laut.

Da stellt sich die Frage nach dem „warum“? Warum, warum, warum lassen wir es zu, dass die Atmosphäre eines Dorfes, einer Stadt kaputt gemacht wird durch lange Autoschlangen? Das Absurde daran – die Menschen, die in diesen Autos sitzen, merken nicht einmal, wie störend sie sind. IM Auto ist es leise, angenehm temperiert, geruchsneutral. Aber – die Menschen IN den Autos sind auf der Suche nach Erholung, sie fahren „ins Grüne“, raus aus der Stadt. Aber genau das, die Erholung, machen sie kaputt für jene, die ihren Weg kreuzen.

Und bevor sich jetzt die sogenannten Einheimischen zurücklehnen und meinen, sie könnten in den Seufz-Chor der armen geplagten Landbevölkerung einstimmen: Ihr seid keinen Deut besser. Ihr fahrt genauso mit dem Auto, verstopft die Straßen, macht Lärm, verpestet die Luft. Egal ob daheim oder anderswo.

Meine Vision:
Fahrradstraßen. Das Auto, das sich endlich, endlich in der Priorität hinten einreihen muss. An JEDER Staats -, Bundes- und Kreisstraße befinden sich auf jeder Straßenseite ein Fahrradweg. Dadurch wird der Platz für Autos weniger und enger. Oh ja, freie Fahrt für freie Bürger – diejenigen, die mit dem Fahrrad fahren! Die Verkehrsministerin hat schon längst die Investitionen in den Verkehr diametral umgedreht. Gefördert wird neben dem Fuß– und Radverkehr der öffentliche Nahverkehr. Milliarden fließen in den Ausbau eines bundesweiten Fahrradwegenetzes.

Menschen schwingen sich nicht mehr nur als reines Freizeitvergnügen auf ihr Rad, sondern benutzen es im Alltag für alle Kurzstrecken. Jeder hat wahlweise ein Zweitfahrrad, ein E-Bike in der Garage stehen. Es gibt eine Abwrackprämie…nein, jetzt wird es zu absurd. Aber hey – wie wär’s mit Fahrradlobbyisten? Menschen, die überall auftreten und dafür sorgen, dass RadfahrerInnen das Leben leichter gemacht wird?

Mit dem Fahrrad in den Zug steigen? Kein Problem, kostet nichts und einen Platz gibt‘s auch immer. Schließfächer auf ALLEN Bahnhöfen – für Regenklamotten und Helme, die man nicht in die Arbeit nehmen will. Und umgekehrt für die Ausflügler, die Wechselklamotten deponieren wollen, die sonst im Kofferraum lagern würden.

Fahrradständer an ALLEN Läden, Ämtern, Unternehmen, Plätzen. Reparaturstationen. Geteerte, immer geräumte Wege in bestem Zustand – kein Schlaglochlabyrinth inklusive dreckwasserversprenkelter Hose nach dem Weg zum Bahnhof. Duschen und Umkleideräume in allen Firmen zur Benutzung nach dem Arbeitsweg.

Eltern, die ihre Kinder problemlos allein mit dem Fahrrad losschicken können, weil zwischen den Dörfern vorsichtig und rücksichtsvoll gefahren wird. Sie müssen keine Angst haben, dass ein Auto mit 100 Sachen vorbei rast. Sie müssen ihre Kinder nicht panisch anschreien: „Auto!!!“, weil es nicht nötig ist. Nein, falls eines vorbeikommt, wird es nur sehr vorsichtig, langsam und mit genügend Abstand überholen. Ja, in meiner Vision in fünf Jahren gibt es noch Autos – aber viel weniger.

Vor allem gibt es: Kinder, die erleben, dass die Straße ihnen gehört. Sie dürfen unterwegs sein. Selbständig, aus eigener Kraft. Keine Mama, die sie zu Freunden mit dem Auto fährt und gestresst ist, weil das auch noch schnell erledigt werden muss. Kinder, die erleben, wieviel Spaß es macht, mit dem Fahrrad zu fahren. Sie bekommen nicht schon als Zweijährige auf dem Laufrad durch den Helm vermittelt, wie gefährlich Fahrradfahren ist. Sondern wie gut die Bewegung tut. Wie zart sich der Wind in den Haaren anfühlt. Wie schnell es auch ohne Klimaanlage warm wird, wenn man sich bewegt. Wie angenehm es ist, durch den Fahrtwind gekühlt zu werden, wenn es heiß ist.

Das ist meine Vision: Weiterkommen durch die eigene Bewegung. Selbstwirksamkeit.
Rücksicht. Kraft. Das Glück zu spüren, wie gut es tut, sich selbst zu bewegen.