Werteorientiertes Handeln
Anselm Bilgri im Waitzinger Keller Miesbach. Foto: Petra Kurbjuhn
Vortrag in Miesbach
Welche Werte sind es, die im Umgang mit Flüchtlingen aber auch deren Betreuern Halt geben? Zur Antwort auf diese Frage hatte das Netzwerk Integration, die AWO und Max Niedermaier als Integrationsbeauftragter des Landkreises, Anselm Bilgri eingeladen. Und es gab verblüffende Aussagen.
„Der Mensch im Mittelpunkt – werteorientiertes Handeln voll Achtung und Respekt“ – so hieß der Vortrag, zu dem Semra Yazan-Bachmayr, Fachdienstleitung bei der AWO, den bekannten ehemaligen Benediktiner gewinnen konnte. Max Niedermaier machte bei seiner Begrüßung im Saal des Waitzinger Kellers in Miesbach deutlich, wie wichtig das Thema ist: „Nicht alle Menschen treten mit Respekt und Wertschätzung den Flüchtlingen und ihren Betreuern entgegen.“
Regeln des Benediktinerordens
Während am KULTUR im Oberbräu in Holzkirchen Hunderte von Menschen bereits zum zweiten Mal eine Mahnwache gegen eine AfD-Veranstaltung im Kulturhaus abhielten und mit ihren Plakaten für Respekt, Achtung, Vielfalt warben, erhielten in Miesbach die Zuhörer das innere Rüstzeug in dieser risikoreichen Zeit. Der Redner konnte in seinem lebendigen Vortrag die Zuhörer erreichen und auch zum Lachen bringen.
Bekanntermaßen war Anselm Bilgri Cellerar der Abtei St. Bonifaz in München und Andechs und berät seit seinem Ausscheiden aus dem Kloster insbesondere Wirtschaftsunternehmen. Dabei liegt sein Fokus auf den Regeln des Benediktinerordens, die er „fruchtbringend in die Wirtschaft übersetzt“, wie er sagt.
Anselm Bilgri kann die Zuhörer gewinnen. Foto: Petra Kurbjuhn
Das Thema Integration betreffe uns alle und sei ähnlich wie die Führung eines Unternehmens zu behandeln. Es gehe letztlich darum, Regeln und Wertesystem zu definieren. Dabei seien Regeln und Gesetze nur der äußere Zaun, die Werte aber seien das Herz. Während Regeln restriktiv seien, also verneinend, seien Werte attraktiv, anziehend und bejahend. Allerdings trügen Wertesysteme auch Konfliktpotenzial in sich, so gelte es die Balance zwischen Wohlstand und Nachhaltigkeit oder Freiheit und Sicherheit zu halten. Als Grundlage der Benediktiner gilt „Ora et labora“, wobei das „et“ zu betonen ist. „Spiritualität und Arbeit sind auf einer Ebene“, sagte Anselm Bilgri.
Drei verblüffende Werte
Für den Abend in Miesbach hatte der Redner drei Werte im Gepäck und verblüffte bereits mit dem ersten. Nicht Toleranz, nicht Respekt, sondern Gehorsam legte er den Zuhörern ans Herz. Gehorsam, richtig verstanden, bedeute nämlich in der Gemeinschaft zuhören wollen. Mit der heute viel beschworenen Achtsamkeit habe man diesen Wert wiederentdeckt. Die andere Seite des Zuhörens sei die Kommunikation. Dazu zitierte Anselm Bilgri den Konfliktforscher und Politiker Ralf Dahrendorf, der gesagt hat: „Konflikte entstehen nur durch Kommunikation und können nur durch Kommunikation gelöst werden.“ Er empfahl: „Vor dem Reden Zuhören.“
Anselm Bilgri beim Signieren. Foto: Petra Kurbjuhn
Auch der zweite Wert, den Anselm Bilgri in der Arbeit mit Flüchtlingen für wesentlich hielt, erstaunte zunächst. Auch er kommt aus der Benediktinerregel und sagt, dass ein Abt discretio haben müsse, was bedeute die Gabe der Unterscheidung. Landläufig meine man, dass Gerechtigkeit gleichzusetzen sei mit Gleichbehandlung. Aber man müsse in jedem Menschen das spezifisch Wertvolle sehen und auch lernen, Unterschiedlichkeit auszuhalten. Hier zitierte er den Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt, mit dem er einst am Stammtisch saß. Dieser habe gesagt, es sei eine große kulturelle Leistung der Menschheit, viele fremde Menschen nicht als Bedrohung zu empfinden. Mit derzeit oft zitierten Ängsten der Menschen müsse man positiv umgehen.
Und letztlich empfahl er als dritten Wert ein Wort von Kardinal Ratzinger, der ihn 1980 zum Priester geweiht hatte: „Bewahren Sie sich heitere Gelassenheit.“
Von Demokratie zu Lobbykratie
In der anschließenden Diskussion machte Anselm Bilgri klare Aussagen, die ihm, wie er sagte, nicht nur Zustimmung gebracht hätten: Es ist die Schuld des europäischen Kolonialismus, dass die Menschen jetzt zu uns strömen. Wenn jemand hungert, dann ist er kein Wirtschaftsflüchtling. Den Menschen müssen wir hier helfen und dort, wo sie herkommen, die Verhältnisse verbessern. Dem entgegen stehe die Politik, die sich von einer Demokratie zu einer Lobbykratie entwickelt habe.
Wer sich für die Aussagen von Anselm Bilgri interessiert, kann sie auch nachlesen. Foto: Petra Kurbjuhn
Rechtes Gedankengut habe es immer gegeben, mit der AfD sei es nun dingfest zu machen. Mit rationalen Argumenten komme man da nicht weiter, müsse aber an den eigenen Überzeugungen festhalten. Und tätig werden, bei der Wahl, bei Demonstrationen, wie zeitgleich in Holzkirchen geschah.