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Zwei Seiten einer Medaille
Prof. Dr. Stefan Jakob Wimmer. Foto: MZ
Vortrag in Holzkirchen
„Antisemitismus, der Israel-Palästina-Konflikt und wir“ nannte Stefan Jakob Wimmer, Professor an der LMU München, seinen profunden Vortrag in der evangelischen Segenskirche auf Einladung von „Ökumene vor Ort“ und der evangelischen und katholischen Bildungswerke.
„Ein schwieriges und komplexes Thema in schwierigen Zeiten“, eröffnete der promovierte Wissenschaftler vom Verein der Freunde Abrahams seinen Beitrag und wies darauf hin, dass er selbst die beiden Konfliktparteien von innen her kennengelernt habe. Siebenjähriges Studium der Ägyptologie in Jerusalem, „sieben fette Jahre an Erfahrungen“, erinnerte er an das Alte Testament und dann Heirat einer Palästinenserin.
Die derzeitige Diskussion in Deutschland kranke daran, dass jeweils nur eine Seite betrachtet werde. Diese Aussage zog sich durch den gesamten Vortrag, in dem Stefan Jakob Wimmer zunächst versuchte den Begriff „Antisemitismus“ zu definieren. Als Hass gegen Juden und ihre Einrichtungen könne man ihn bezeichnen, aber Kritik an der Politik des Staates Israel sei nicht antisemitisch.
Zwei Lager. Foto: MZ
Er unterschied zwischen klassischem Antisemitismus, der Juden als hässlich und auf Geld bezogen darstelle, sekundären auf den Holocaust bezogenen Antisemitismus, der den Holocaust leugne oder meine, es müsse damit endlich einmal Schluss sein.
Man tappe bei den verschiedenen Definitionen in Fallen und eine Unterstützung des Staates Israel könne durchaus antisemitisch sein.
Menschen verstehen
In Deutschland gebe es 80 Millionen Nahost-Experten, überspitzte er die Situation, in der es aber zwei Lager gebe, Israel-Unterstützer mit Wissen über Israel und Palästina-Unterstützer mit Palästina-Wissen. „Das ist wie beim Fußball, FC-Bayern-Fans und 60er Fans.“
Man muss genau hinschauen, die Menschen verstehen“, forderte er und erinnerte daran, dass den Palästinensern ihr Land weggenommen wurde. Allerdings habe der Konflikt nicht nach der Teilung des Landes nach dem UN-Beschluss im Jahr 1947, sondern viel früher durch die zionistische Bewegung begonnen. Diese Befreiungsbewegung habe einen Staat Israel als Ziel gehabt. Auf das Alte Testament indes und die Söhne Abrahams Isaak und Ismael gehe der Konflikt nicht zurück. Juden und Araber verbinde sehr viel.
Zionismus und Staat Israel. Foto: MZ
„Die DNA des Konflikts besteht in der Solidarisierung mit zwei Lagern: Israel hier, Palästinenser da. Es stehen sich aber auf beiden Seiten solche Menschen gegenüber, die den Konflikt friedlich und gerecht lösen wollen, und solche, die das verhindern“, betonte der Referent. Er finde kein positives Wort für die Terrororganisation Hamas, aber auch keins für Israels Premierminister Benjamin Netanyahu, der nur die eigene Karriere verfolge. „Aber ich bin für den Staat Israel.“
Stefan Jakob Wimmer erinnerte an den Ausspruch von Altbundeskanzlerin Angela Merkel, die sagte, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson sei und ergänzte: „Deutschland muss eine Friedenslösung einfordern.“
Margot Friedländer. Foto: MZ
Mit dem Spruch von der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer „Nie wieder ist jetzt“ erinnerte der Wissenschaftler daran, dass wir Lehren aus der Geschichte ziehen müssen. „Wir dürfen nicht jüdische Menschen danach beurteilen, weil sie jüdisch sind“, bekräftigte er, „Wir sind alle Menschen, gute und böse.“
Antisemitismus sei eine Falle, beispielsweise wenn der Kampf dagegen sogar Antisemitismus befeuere oder wenn die Werte des deutschen Grundgesetzes in Frage gestellt würden oder wenn damit Unrechtsstrukturen gedeckt würden.
Antisemitismus und Islamfeindlichkeit bekämpfen
Wir Deutschen tappten zusätzlich in die Verantwortungsfalle, wenn wir nämlich wegen der historischen Verantwortung am Leid der Palästinenser schuldig werden.
Was also tun? In erster Linie das selektive Lagerdenken überdenken und Lagersolidarität aufbrechen. Zudem mehr Miteinander pflegen und Antisemitismus und Islamfeindlichkeit gleichermaßen bekämpfen.
Blick in die Segenskirche. Foto: MZ
Was den Israel-Palästina-Konflikt angehe, forderte der Redner lösungsorientierte Solidarität, zudem Reflektieren, Differenzieren und Konfrontieren. „Es gibt keine einfachen Lösungen“, räumte er ein, kritisierte aber Sprechverbote und Distanzierungszwänge in den Schulen. „Kinder und Jugendliche müssen reden dürfen.“
Er könne keine Lösungen für den Konflikt anbieten, antwortete er auf eine Frage in der Diskussion, aber: „Jeder Konflikt ist lösbar.“ Hier gehe es um einen politischen Konflikt in einem Land, wobei die Religionen instrumentalisiert würden. „Es mangelt an der Bereitschaft der Betroffenen“, denn Vorschläge gebe es genug, etwa die Haifa-Republik mit zwei Staaten unter einem Dach.
Kein Recht auf Terror
Man dürfe in der Debatte nicht die Asymmetrie der beiden Lager vergessen, den einen wurde Land genommen, die anderen haben einen Staat. „Dennoch haben die Palästinenser kein Recht auf Terror.“ Der Staat Israel habe ein Recht auf Verteidigung, aber nicht auf Kriegsverbrechen.
„Das Land ist wie eine Medaille mit zwei Seiten“, fasste er zusammen und forderte zu ausgewogener Darstellung anstelle einseitiger Parteinahme auf.
Christiane Brunner von „Ökumene vor Ort“ dankte dem Referenten. Foto: MZ
Zum Weiterlesen: CRESCENDO #makemusicnotwar