Das Ende von rechts und links
Professor Armin Nassehi. Foto: Petra Kurbjuhn
Vortrag in Weissach
Mit einem geschliffenen Vortrag überzeugte der bekannte Soziologe Armin Nassehi beim fünften Korbinians Kolleg – Zu Fragen der Zeit im Wintersemester im Hotel Bachmair Weissach. „Kürzlich noch bei ‚Hart aber fair‘, heute in Weissach“, begrüßte Hausherr Korbinian Kohler den Gast.
Wilhelm Vossenkuhl, Kurator der Veranstaltungsreihe, stellte den Redner als unangepassten kritischen Wissenschaftler vor, der versuche, das Ganze der Gesellschaft zu analysieren und in einen Diskurs zu bringen. Der Professor für Philosophie hob hervor, dass Armin Nassehi der Soziologie ein eigenes Profil gegeben habe.
Das Eingangsstatement des Redners lautete: Überall rede man von Krisen, dennoch funktioniere in Deutschland alles prächtig. Was aber ist neu? Dies erläuterte mir der Professor für Soziologie an der LMU München vor seinem Vortrag in einem Interview. „Die Unterscheidung von rechts und links funktioniert nicht mehr, sie stammt aus dem 19. Jahrhundert.“ Heute müsse man neue adäquate Kategorien finden, um die anstehenden Probleme zu lösen.
Im Vorgespräch: Professor Armin Nassehi. Foto: Petra Kurbjuhn
Zunächst aber müsse man sich klarmachen, worin die Probleme bestehen. Dies stellte der Wissenschaftler in seinem Vortrag klar heraus. Da ist zunächst die starke Radikalisierung an den Rändern der Demokratie und der Populismus, den es sowohl rechts als auch links gebe.
Es gibt keinen Willen des Volkes
Dieser biete für alle komplexen Problem einfache Lösungen an, betreibe Elitenkritik und behaupte, dass es ein eigentliches Volk mit einem identifizierbaren Willen gebe. „Es gibt keinen Willen des Volkes, nur einen Willen von Bürgerinnen und Bürgern“, widersprach Armin Nassehi.
Wer wählt AfD? fragte er. Es seien nicht die sozial Abgehängten, wie vielfach vermutet, und auch Zukunftsangst spiele keine Rolle, die habe signifikant in ganz Deutschland abgenommen. Es sei auch nicht kulturelle Vielfalt oder fehlendes politisches Vertrauen, nein, es sei das Demokratiekonzept, das Wähler zur AfD bringe.
Beide Ränder des politischen Geschehens haben Probleme mit der Eigendynamik moderner Gesellschaften, stellte der Soziologe fest. Dieser Antimodernismus äußere sich darin, dass beide eine Gesellschaft „aus einem Guss“ wünschen, die Linken wollen einen Umbau nach klarem Plan, der zunächst sympathisch wirke, letztlich aber autoritär ende. Die Rechten indes definieren sich über eine Zugehörigkeit zu einer klar definierten Gruppe.
Verteilte Intelligenz
Die moderne Gesellschaft aber sei durch eine verteilte Intelligenz beschreibbar, in der es keine zentrale Einheit mit linearer Steuerung gebe und in der es um ein Schnittstellenmanagement gehe. Grund dafür ist, so Nassehi, dass alle gesellschaftlichen Themen aus mehrerlei Hinsicht zu betrachten seien. Als Beispiel führt der Soziologe den Klimawandel an.
Welche Funktion falle dabei dem Politischen zu? Zum einen müsse die Politik kollektiv bindende Entscheidungen herstellen, wie etwa ein Klimaziel, zum andern müssten aber auch regionale Spielräume für Entscheidungen geschaffen werden. Die wichtigste Funktion aber, so betonte der Soziologe, sei es, Kontinuität in der Gesellschaft herzustellen. Denn das goldene Zeitalter sei vorbei, man müsse sich in allen Gebieten auf Schwankungen und Krisen einstellen.
Neue Konfliktlinien
Die Parteien müssen das Krisenhafte in den Griff bekommen, forderte Armin Nassehi. Und dazu bedürfe es, dass sie sich neuen Konfliktlinien stellen, denn die klassischen Konflikte wie Kapital – Arbeit hätten ausgedient. So eine neue Konfliktlinie sei Volitilität – Stabilität. Das Thema Flüchtlinge, betonte der Vortragende, sei nur ein Katalysator. Viel mehr müsse sich beispielsweise die SPD darauf konzentrieren, den sozialen Aufstieg zu fördern.
In der Diskussion: Die Professoren Wilhelm Vossenkuhl und Armin Nassehi. Foto: Petra Kurbjuhn
Solange die Parteien nicht ihre Überzeugungen und Inhalte überzeugend transportieren können, schlage die Stunde des Populismus. In der lebhaften Diskussion stellte Armin Nassehi heraus, dass man die viel zitierte Komplexität der Welt so erklären könne, dass man Themen aus mehrerlei Hinsichten betrachten müsse, dazu bedürfe es Foren von Menschen, die üblicherweise nicht zusammentreffen. Als Beispiel nannte er den Ethikrat, in dem Experten sehr unterschiedlicher Fachgebiete miteinander sprechen, um solche Themen wie Organspende zu behandeln. Diese interdisziplinäre Arbeit bezeichne er als Bildung.
In unserem Vorgespräch hatte der Wissenschaftler, der mit „Kursbuch“ ein Kulturmagazin herausgibt, bekräftigt, dass Kultur das einzige Mittel sei, um Inhalte zu vermitteln und die Frage nach richtig oder falsch zu stellen.
Im Vorgespräch: Korbinian Kohler und Professor Wilhelm Vossenkuhl. Foto: Petra Kurbjuhn