Artenreiche Wiesen gegen das Artensterben

Artenvielfalt statt Insektensterben

Wir brauchen artenreiche Wiesen. Foto: Andreas Vogt

Vortrag in Kreuth

Müssen wir uns Sorgen machen? Ja. Der von der Schutzgemeinschaft Tegernsee eingeladene Schmetterlingsforscher Dr. Andreas Segerer stellte in seinem Vortrag in der Naturkäserei Kreuth klar, dass der Klimawandel nicht unser größtes Problem darstellt. Die weitaus größere Bedrohung der Menschheit sei ebenfalls selbstgemacht und nur global zu lösen.

Doch fangen wir beim Kleinen an, den Schmetterlingen in Bayern. Wie der promovierte Biologe, Autor und Insektenforscher Andreas Segerer berichtet, gab es 2016 eine Volkszählung der Schmetterlinge. 40 Prozent der 3.294 Arten stehen auf der roten Liste der gefährdeten Arten. 11 Prozent sind ausgestorben, wobei das Aussterben immer schneller geht. In den Jahren von 1971 bis 2000 sind mehr Schmetterlinge verschwunden als in den 200 Jahren davor.

Massensterben der Arten in Gange

Dem Schmetterlingsforscher von der Zoologischen Staatssammlung München ist es wichtig, seine Behauptungen auf Fakten fundierter Untersuchungen zu stellen. Er hebt hervor, dass es zu all diesen Beobachtungen Datensätze seit 1766 gibt. Dennoch könne auch der aufmerksame Beobachter bemerken, dass seine Windschutzscheibe nach stundenlangem Fahren kaum von Insekten verschmutzt sei, wie das noch vor 50 Jahren üblich war. Es sterben nämlich nicht nur die Schmetterlinge, sondern es geht allen Insekten an den Kragen. Und das nicht nur in Bayern, sondern auf der ganzen Welt. Ein Drittel der Insekten sind vom Aussterben bedroht. Das Sterben hält auch nicht bei den Insekten an, sondern betrifft auch andere Lebewesen des Planeten. Das Ausmaß des momentanen Massensterbens der Arten gab es bisher nur einmal, nämlich als ein Asteroid auf die Erde schlug und bewirkte, dass neben den Dinosauriern auch viele andere Arten ausstarben.

Insektenforscher Andreas H. Segerer in der Naturkäserei Kreuth
Insektenforscher Dr. Andreas H. Segerer in der Naturkäserei Kreuth. Foto: Andreas Vogt

Massensterben auf der Erde

Diesmal ist der Auslöser des Massensterbens kein Asteroid, sondern der Mensch. Er entzieht dem Planeten mehr Ressourcen als er hat. Wir verbrauchen im Jahr weltweit 1,7 Mal mehr Energie, als die Erde hergibt. In Deutschland verbrauchen wir 3,2 Mal so viel. Die Rechnung ist einfach: Sie heben von Ihrem Konto 3,2 Mal so viel ab, wie vorhanden ist, und das jeden Monat, und können erahnen, wie schnell Sie sich in den Ruin treiben.

Doch zurück zum Insektensterben

Warum sollte uns das weltweit stattfindende Insektensterben betreffen? Erstens, weil 90 Prozent aller lebenden Pflanzen von der Bestäubung abhängig sind, wofür zum Beispiel Wildbienen und Schmetterlinge zuständig sind. Zweitens, weil Insekten so etwas wie eine Gesundheitspolizei darstellen. Sie räumen mit Aas auf und stellen sicher, dass Schimmel, Fäulnis und somit Seuchen nicht die Überhand nehmen. Eine Welt ohne Insekten wäre eine finstere, die zum rauen Überlebenskampf des Menschen führen würde. Drittens, weil Insekten eine wichtige Nahrungsquelle für andere Tiere darstellen.

Boarhof von markus Bogner - der Biobauer arbeitet nach dem prinzip von Permakultur und Biodiversität

Boarhof in Holz – nach dem Prinzip von Permakultur und Biodiversität. Foto: IW

In Bayern sind 50 Prozent der Vogelbestände nicht mehr vorhanden, unter anderem auch aus Nahrungsmangel. Das ist nur eine der Gründe, warum die artenreichste Gruppe der Lebewesen auf der Erde so wichtig für all ihre Bewohner ist.

Was sind die Ursachen des Insektensterbens?

Bei den menschlich verursachten Problemen der Erde ist heute der Klimawandel in aller Munde. Insektenforscher Andreas Segerer stellt klar, dass die Diskussion am eigentlichen Thema vorbeigehe. Der Klimawandel sei ein großes Problem, doch bei weitem nicht unser größtes. Das Sterben der Arten und die globale Überdüngung der Böden sei ein weit gefährlicheres Problem.

Das Leben der Insekten sei eng an ihren Lebensraum geknüpft. Fast zwei Drittel ihrer Lebensräume sind gefährdet. Auf artenreichen Wiesen gedeihen sie prächtig. Werden diese Wiesen jedoch gedüngt, verschwindet die Vielzahl der Arten und es bleiben einige wenige wie etwa der resistente Löwenzahn. Mit den Pflanzen verschwinden auch die Insekten. Die häufige Mahd, Monokulturen und Pestizide tun dann noch ihr Übriges, um dafür zu sorgen, dass es keine blauen Felder voller Kornblumen mehr gibt.

Im Wald geht es den Insekten noch besser, obwohl Fichten, die aufgereiht wie Soldaten im Wald stehen, keinen Schutz für Insekten bieten. Sie fördern den Borkenkäfer, der im Grunde dafür zuständig ist, die ungesunde Monokultur zu zerstören.

Sind wieder einmal die Bauern der Sündenbock?

„Schuld sind nicht die Bauern“ meint Andreas Segerer, schuld ist das System, das für die Art der Bewirtschaftung verantwortlich ist. Die Ursachen des Insektensterbens liegen klar bei der industriellen Landwirtschaft und dem Flächenfraß. Heute seien noch 51 Prozent der deutschen Flächen Landwirtschaftsflächen, deshalb habe die Landwirtschaft einen so bedeutenden Einfluss. Gefördert sollten die Bauern werden, die etwas zum Umweltschutz beitragen.

Broschüre "wos guads ausm Miesbacher Oberland" – Direktvermarkter, Biomärkte und vieles mehr
Neue Broschüre präsentiert Direktvermarkter, Biomärkte und vieles mehr aus dem Oberland. Foto: Andreas Vogt

Vorgestellt: Regionaler Einkaufsführer der Ökomodellregion „wos guads ausm Miesbacher Oberland“  

Das Volksbegehren zur Artenvielfalt „Rettet die Bienen“, für das sich Andreas Segerer mitverantwortlich zeigt, sei ein Schritt in die richtige Richtung. Seit Jahrhunderten sprächen unabhängige Wissenschaftler vom Artensterben, doch bis heute reagieren Wirtschaft und Politik wegen ihres Strebens nach Profit nicht.

Auch im Garten: Blühwiesen statt Rasenroboter

Eine Landwirtschaftsreform sei dringend notwendig, der Erhalt der Arten ein gesamtgesellschaftliches Problem. Ein Beispiel dazu sei der ausgebrachte Dünger. Reaktive Stickstoffverbindungen dünsten aus und verbreiten sich flächendeckend über das ganz Land, töten auch Insekten im Naturschutzgebiet und finden sich in der gesamten Nahrungskette wieder. Andreas Segerer fordert ein Verbot für die routinemäßige Verwendung von Dünger auf Europaebene, stattdessen mehr Ökolandschaften, Uferrandstreifen, Blühstreifen mit einheimischen Pflanzen und Wildsorten. Obwohl nur drei Prozent der Fläche auf Privatgärten fällt, schlägt er vor, die Wiesen blühen zu lassen und keine Roboter in die Gärten zu stellen, die mit Insekten aufräumen und Igeln rasieren.

Wildblumenwiesen fürs Oberland

In der angeregten Publikumsdiskussion zeigten sich viele regionale Ansätze in die richtige Richtung. Alle waren sich einig, dass Konsum- und Wahlverhalten entscheidend seien und dass Aufgeben in der Situation „5 nach 12“ kein Thema sei. Initiativen wie der neu gegründete Landwirtschaftsverband, der sich um Streuwiesen kümmert oder die Öko-Modellregion Miesbacher Oberland zeigten die Bereitschaft, es anders machen zu wollen.

Die harten weltweiten Tatsachen bleiben. Die Frage, wie jeder Einzelne darauf reagiert, ebenso.

Zum Weiterlesen: Das Buch „Das große Insektensterben“ von Dr. Andreas H.Segerer und Eva Rosenkranz ist beim oekom Verlag München erschienen und im Buchhandel erhältlich.

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