Schnitzlers „Reigen“ in Coronazeiten
Karl und Emma im Bett. Foto: Petra Kurbjuhn
Theater in Pürbach/NÖ
Mit einer modernen Adaption des berühmten Stückes trifft das Wald4tler Hoftheater genau den Nerv der Zeit. Was brauchen wir mehr als Nähe? Liebe in allen Facetten spielen fünf Schauspieler in zehn Rollen, erotisch, heiter, skurill und unbändig unterhaltsam.
Bekanntermaßen führte die Premiere von Schnitzlers „Reigen“ vor 100 Jahren zu einem Theaterskandal. Neu für mich war, dass der Bann des Stückes erst 1982 aufgehoben wurde. Der Autor fügte zehn Szenen aneinander, in denen sozusagen der Liebesbecher jeweils an den nächsten weitergegeben wird. Interessanterweise startet der Liebesreigen mit einer Dirne und endet auch wieder bei ihr.
Karl und Emma am Ende, aber ganz so romantisch ist es doch nicht wie es aussieht. Foto: Petra Kurbjuhn
Von dieser Fassung weichen Intendant Moritz Hierländer und Regisseur Kilian Klapper, der auch die Textfassung schrieb, erheblich ab. Bei der gelungenen Inszenierung im Wald4tler Hoftheater beginnt der Reigen im langweiligen Ehebett und endet dort auch wieder.
Dazwischen aber brodelt es, es brodelt so stark, dass sich die Kulissen rhythmisch bewegen, wenn sich die unterschiedlichen Paare in das Gebüsch verdrücken. Köstlicher Regieeinfall, der das Publikum erfreut, das Publikum, das coronagemäß mit großem Abstand und somit in stark reduzierter Menge den Abend genießt.
Wovon aber die moderne Fassung nicht abweicht, das sind die Schnitzlerschen Dialoge und so startet auch die Aufführung mit der Bemerkung des Autors:
Über die Einsamkeit und die Liebe. Foto: Petra Kurbjuhn
Liebe also als Ausdruck von Einsamkeit oder als kurzzeitige Flucht aus der Einsamkeit in ein erotisches Abenteuer, das wieder in eine noch größere Einsamkeit führt?
Die Szenen der kurzfristigen erotischen Zweisamkeit außerhalb des Ehebettes finden in der Pension „Reigen“ statt. Hier hat sich Ehemann Karl mit seiner jungen Gespielin Anna verabredet, aber auch Ehefrau Emma mit ihrem Lover Alfred.
Die Prostituierte verführt den Polizisten. Foto: Petra Kurbjuhn
Hier treffen sich aber auch die Pensionswirtin Marie mit dem verklemmt wirkenden Alfred. Die Prostituierte in roten Overknee-Stiefeln verführt den Polizisten und die junge Anna trifft auf die Literatin Roberta.
Die Literatin Roberta mit dem Mädchen Anna. Foto: Petra Kurbjuhn
Leopold in KuK-Uniform verliebt sich in den Transvestiten, findet dann aber auch die Prostituierte verführerisch und so geht es dahin, bis sich Emma und Karl wieder im Ehebett begegnen.
Faszinierend an der Inszenierung ist, dass alle Facetten der Liebe ausgeschöpft werden, es geht um Macht, um Eifersucht, es geht um Anmache, Fremdgehen, Lügen, Untreue, verschmähte Liebe, Gewalt, auch um sexuelles Versagen. Und immer geht es um die Sehnsucht nach romantischer Liebe, nach Anerkennung und Wahrnehmung durch den anderen, denn „das Leben ist so leer und so kurz“.
Leopold verliebt sich in die Transe. Foto: Petra Kurbjuhn
Und dann führt ein Satz wie „Was geht mich deine Seele an“ zu dem Satz „Man bekommt nicht, was wir ersehnt haben“.
Da möchte die Ehefrau auch einmal die Geliebte sein und wünscht sich, dass ihr wenigstens von Zeit zu Zeit einmal der Hof gemacht wird. Schnitzler war ein genialer Beobachter von diversen Beziehungen und die Pürbacher Inszenierung verschärft die Botschaften durch eine aktualisierte Darstellung.
Die Darsteller beim Schlußapplaus. Foto: Petra Kurbjuhn
Faszinierend ist gleichermaßen die schauspielerische Leistung von Rina Juniku, Diana Kashlan, Michaela Schausberger, Philipp Stix und Benjamin Vanyek. Nicht nur, dass sich die Mimen in rasender Schnelligkeit von der Prostituierten in die lesbische Autorin, vom Ehemann in den Offizier, vom Lover in den transsexuellen Schauspieler, usw. verwandeln, sie geben dem Schnitzlerschen Text seine ganze Tiefsinnigkeit. Ihre skurillen, komischen, überzogenen Aktionen machen das Spektakel, das ein wenig gestrafft sein könnte, unterhaltsam, komisch und geben ihm prickelnde Würze.
Durch die äußerst passende Musik zu den verschiedenen Szenen gelingt Moritz Hierländer jeweils eine gekonnte Überleitung. Das Bühnenbild wirkt von weitem wie alte Stores oder Makramee, entpuppt sich bei genauem Hinschauen als Papier, das geschnitten, sich sehr schön auf und ab bewegen kann.
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