Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick – eine Initiative für mehr Menschlichkeit

BR-Sportreporter Florian Eckl, der den Abend gekonnt moderierte, mit Chrissy Obwexer und Jack. Foto: Miroslav Velecky

Kultur-Event in Miesbach

Dass gerade Tabu-Themen die Kraft haben, die Gesellschaft zum Positiven zu verändern, wenn man sie richtig anpackt und ein Umdenken initiiert – das zeigen Chrissi Obwexer und Thomas „Jack“ Griesbeck mit ihrer faszinierenden Veranstaltungsreihe Auf den zweiten Blick.

„Wir erwarten mehr als 300 Besucher“, war Isabella Krobisch, Kulturamtsleiterin und Hausherrin im Waitzinger Keller, freudig überrascht, als sich am 18. Januar die Türen zum Saal öffneten und ein erwartungsvolles Publikum den Saal zu füllen begann. Ein Anblick, bei dem Alexandra Braunmiller, als Frau des Bürgermeisters unter andrem sehr für den Inklusionsspielplatz engagiert, sicher war: „So viele sind gekommen – es ist das Thema, das sie alle herführt“, hatte sie recht. Denn das Thema ist ein Wichtiges: Inklusion und der Umgang mit Behinderung – oder besser mit Menschen mit einer Behinderung.

Fotos, die man gesehen haben sollte

Schon von Anfang an war klar, dass ein besonderes Ereignis auf die Gäste wartete: Es sind großformatige Naturaufnahmen, die im Treppenhaus hängen – Aufnahmen, die Thomas Jack Griesbeck von seinen Fotoreportagen aus der Antarktis oder aus Kanada mitgebracht hat. Lässt man seine Fotos auf sich wirken – seien es die Wunder einer Sternennacht in der Wildnis, die Weite des Yukon Territory oder die spektakulären Felsformationen der Dolomitengipfel –, spürt man ein Stück des Gewaltigen, der Freiheit, aber auch das ganz und gar Unfassbare des Lebens.
Wie sehr dieses Unfassbare und Gewaltige uns Menschen ereilen kann und wie wir dann mit dem Erlebten umgehen können, davon erzählt das Projekt Auf den zweiten Blick.

Auf den zweiten Blick
Diese und viele weitere Fotos findet man auf der website von Thomas Jack Griesbeck . Foto: Miroslav Velecky

Das Powerpaket

Um wirklich zu verstehen, welche Dimensionen dieses Projekt hat, muss man Chrissy Obwexer kennen. Die attraktive junge Frau ist 1.83 Meter groß, blond und temperamentvoll. Seit 20 Jahren sitzt sie – querschnittsgelähmt nach einem Autounfall – im Rollstuhl. Über Instagram ist sie auf Jacks Foto-Arbeit aufmerksam geworden. Mutig hat sie ihn zu einem Besuch auf die Alm der Eltern in Tirol eingeladen und dabei schnell gemerkt, dass sich erste Ideen für etwas Ungewöhnliches entwickeln.

Auch für Jack ist das Treffen noch präsent. Er erzählt, dass er erkannt hat: „Wenn wir Menschen mit einer Behinderung ansehen, sehen wir zuerst die Behinderung. Hier wollte ich ansetzen und etwas verändern.“

Etwas Unvergängliches schaffen

Entstanden ist nach eineinhalb Jahren Vorbereitung ein Projekt, das ebenso komplex wie bewegend ist. Für den kreativen Fotografen Thoms Jack Griesbeck stellte sich eine neue Aufgabe. Er beschloss, hinter die Behinderung zu sehen, wollte den Menschen dahinter erkennen und ihn in all seinen Facetten sichtbar machen. Dafür reichten ihm einfache Porträts nicht. Er entwickelte die Idee, mit einem einzigen Foto einen ganz speziellen Augenblick einzufangen, einen Moment zu finden, der zeigt, wie ungewöhnlich und wie interessant Menschen sind, die wir etwa als Rollstuhlfahrer oder Gehörlose sehen. Für das Projekt hat er bisher 12 Menschen mit Behinderung kennenlernt und er hat mit ihnen Fotos erarbeitet, die wunderschön und spektakulär sind.


„Es war, als könnte ich meinen Sprung zu Ende führen“, ein emotionaler Moment für Ex-Skispringer Lukas Müller. Das Bild enthüllte Dr. Gerhard Braunmiller, 1. Bürgermeister der Stadt Miesbach. Foto: Miroslav Velecky

Lukas Müller

Da ist Lukas Müller, der 2016 beim Skispringen am Kulm während des Sprungs kurz vor der Landung aus 7 Metern Höhe abstürzte, da er aus dem Schuh glitt. Das Foto zeigt ihn als Skispringer unter Wasser: Tagelange Arbeit mit 16 Helfern waren für die Aufnahme nötig.

Urban Oberthanner

Da ist Urban Oberthanner, der – an einem Heißluftballon hängend – in 2000 Metern Höhe über dem Tegernsee Tuba spielt. Es lohnt nicht nur das Foto zu sehen, sondern im Internet auch den Film zum Making of anzusehen!

Christoph Bischlager

Christoph Bischlager, vielfacher Teilnehmer der Deaflympics, der 2005 in Melbourne Bronze im Zehnkampf gewann. Auf einem Foto liegt der zweifache Vater, der als Kinderpädagoge in einem Kindergarten für gehörlose Kinder arbeitet, selenruhig inmitten eines Chaos tobender Kinder.


Der Beitrag des gehörlosen Christoph Bischlager wurde simultan von der Gebärdensprache fürs Publikum übersetzt. Foto: Miroslav Velecky

Walter Pfaller

Und da ist Walter Pfaller, der heute auf eine schier unfassbare Sportkarriere zurückblicken kann: „Ich habe immer alles gekonnt“, sagt der Oberösterreicher, der 34 Medaillen bei Paralympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften gewann und fast 100-mal österreichische Staatsmeistertitel in den Sportarten Leichtathletik, Basketball und Tischtennis gewann. Seit 1976 hat er fünfmal an Paralympischen Spielen teilgenommen und wurde1996 für die Weltauswahl im Rollstuhlbasketball nominiert. Ihn hat Jack inmitten seiner Familie fotografiert, die einen kleinen Kinosaal füllt. Ganz hinten im Bild, nur schwach angedeutet, steht der Rollstuhl, in dem Walter Pfaller, der im Alter von einem Jahr an Kinderlähmung erkrankt war, all diese Siege errungen hat.

Korbinian Kral

Und da ist – last, but not least – Korbinian Kral. Im Rathaus in Miesbach ist der tatkräftige junge Mann mit dem markanten Schnurrbart an der Kasse beschäftigt. Und das trotz einer Erkrankung, einer Gewebsmissbildung an Fuß und Händen.

Nah dran – die Interviews

Und doch bleiben diese Fotos – so faszinierend sie in ihrer Schönheit, ihrer schwebenden Leichtigkeit, der Farbe und der Lebensfreude, die sie einfangen –, sein mögen, nur ein Teil des Projektes Auf den zweiten Blick.

Denn das, was die Brücke schlägt und Menschen unmittelbar berührt, das, was den Blickwinkel verändert, das sind die Gespräche und Interviews, die live auf der Bühne stattfinden. Alle, die man auf den Fotos bewundern kann, sind persönlich anwesend und geben, behutsam geführt vom sympathischen BR-Sportreporter Florian Eckl, Einblick in ihre Geschichte und ihr Leben.

Momente der Ehrlichkeit, die man nicht vergisst

„Das, was mir zugestoßen ist, ist sicher nichts, was ich mir bewusst ausgesucht hätte“, bekennt Chrissy Obwexer freimütig, aber sie hat es längst angenommen, dieses besondere Schicksal. „Heute weiß ich, dass mich diese Verletzung dazu gebracht hat, etwa Besonders zu tun. Wäre das nicht passiert in meinem Leben, würde ich nicht hier und heute in einem Saal voller Menschen sitzen und hoffen dürfen, dass ich etwas verändern kann“, sagt etwa Chrissy Obwexer, die über ihre aktive Community den Kontakt zu vielen der Protagonisten hergestellt hat.

Etwas bewegen

Es war am 18. Januar bewegend mitzuerleben, wie sehr das, was als Projekt ersonnen wurde, auf der Bühne zu einem eigenen Leben wird. Denn Chrissy Obwexer, Thomas Jack Griesbeck und das ganze Team haben sich viel einfallen lassen, um den Abend mit so mancher Überraschung noch zusätzlich zu bereichern. Nicht nur, dass mit Silvia Ebner, die stellvertretend für alle Protagonisten treffende Worte für die besondere Leistung von Lukas Müller und Walter Pfaller fand, eine einfühlsame Autorin mit an Bord ist – es gibt auch so viele erheiternde Momente, die nur entstehen, wenn Publikum und Bühne in beste Resonanz gehen. So durften sich alle freuen, als bei der Auslosung der Tombola ausgerechnet ein Cousin von Jack gewann und stolz den ersten Preis mit nach Hause nahm.

Lesetipp: Auf den zweiten Blick in der 40. Ausgabe der KulturBegegnungen

Ein außergewöhnliches Kunstprojekt mit dem Ziel, Tabuthemen sichtbar zu machen und Menschen mit inspirierenden Geschichten und positiven Provokationen einen neuen Blickwinkel aufzuzeigen.

Mit der Magie und der Kraft der Fotografie von JACKSCORNER werden in dem Projekt körperbehinderte Menschen ins Rampenlicht gerückt.

Nach 1½ Jahren Vorbereitung, Produktion, Location Scoutings, zahlreichen logistischen Herausforderungen und intensiver Eventplanung können Projektleiterin Chrissi Obwexer und Fotograf & Projektleiter Thomas Griesbeck alias „Jack“ als die kreativen Köpfe hinter dem Projekt endlich mehr zu den Gedanken, den Shootings, den Protagonisten und den kommenden Events zum Projekt verraten.

Auf den zweiten Blick
Das ganze Team von „Auf den zweiten Blick“ feiert den gelungenen Abend. Foto: Miroslav Velecky

Das Ziel von Auf den zweiten Blick ist, die verborgenen Facetten von Menschen mit körperlichen Behinderungen auf beeindruckende und noch nie gesehene Weise zu fotografieren. Die Bilder inspirieren, sie bewegen und sie regen zum Nachdenken an. Das Projekt ist ein Aufruf zur Offenheit, regt zum Umdenken an und soll den Fokus auf die Fülle an Schönheit und Potential richten, die sich hinter dem äußeren Erscheinungsbild verbirgt.

Die Ausstellung „Auf den zweiten Blick“ ist im Kulturzentrum Waitzinger Keller Miesbach, Schlierseer Straße 16 bis zum 9. Februar Mo-Fr 9-13 Uhr, Do 14-16 Uhr und bei Saalveranstaltungen geöffnet.

Gefällt Ihnen dieser Beitrag? Bitte besuchen Sie uns auf