Entschlüsseln von Rätseln und Träumen
H. Lucia Kordecki: „Die Neunte“ – acht Orangen sind bereits ausgepackt. Foto: IW
Ausstellung in Gmund
Die Gmunder Künstlerin H. Lucia Kordecki zeigt anlässlich ihres 80. Geburtstages eine Retrospektive ihres Schaffens in einer Ausstellung in Gmund im Jagerhaus. Darunter sind höchst erstaunliche Bilder – die ihre Betrachter in einen märchenhaften Bann ziehen. Sie wollen entschlüsselt werden.
Die achtzig Jahre nähme ihr niemand ab, gäbe es nicht exakt aus diesem Grund diese Retrospektive. Und die acht zieht sich dann auch symbolisch durch die ganze Ausstellung in Gmund. Acht Orangen liegen auf einem opulent gemusterten Tischtuch, eine neunte ist noch in farbiges Papier verpackt. Wie die acht Jahrzehnte, die hinter der Künstlerin lägen, das neunte wiederum noch vor ihr, fasste Claus Cnyrim bei seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung die Botschaft des Bildes „Die Neunte“ zusammen. Eine Botschaft, die zum Anlass passte – geplant war sie so indes nicht, bemerkt H. Lucia Kordecki mit einem Lächeln. Warum sie die Orangen so arrangiert hat, darauf will sie sich heute nicht festlegen, manche Dinge entstünden eben, ohne dass es eine besondere Bedeutung gäbe. Die Betrachter sollten selbst ihre Erklärung finden, so wie Claus Cnyrim es beispielsweise tat. Die Werke lassen vielerlei Interpretationsmöglichkeiten zu.
Künstlerin H. Lucia Kordecki vor ihren Bildern „Erwartung“ und „Es war so still“. Foto: IW
Die meisten der ausgestellten Bilder wirken in ihrer hyperrealistischen Präzision märchenhaft, ein wenig verträumt und zugleich irritierend. Ein Zauber geht von ihnen aus, der sich nicht erklärt. Ist es das Mondlicht, das die Szenerie bei aller Schönheit auch ein wenig gespenstig erscheinen lässt? Die fahlen Farben, welche die Gegend wie eine stille Unterwasserlandschaft erscheinen lassen? Die offensichtliche Abwesenheit von Menschen in der geradezu surrealen Umgebung? Das Bild „Solitude“ zeigt ein fast quadratisches Haus in einer Landschaft, die sich in einem stillem Wasser spiegelt – das Haus hat weder Schornstein noch Fenster. Es sind die kleinen Beobachtungen, die H. Lucia Kordecki im Vorübergehen macht. Auf ihren Bildern in den menschenleeren, fast entseelten Landschaften indes bekommen sie einen irrationalen, irritierenden Zauber.
H. Lucia Kordecki – rästelhafte „Mondschein-Party“. Foto: IW
Bei der „Mond-Scheinparty“ schweben vier identische Tischdecken samt Kerzenleuchtern in einem akkurat gemalten Terrain – ohne Tische. Auf dem Bild „Schutz-T-raum“ liegt eine Frau, schutzlos und nackt in sich zusammengerollt, wiederum in einem undefinierbaren Gefilde, das vom fahlen Mondlicht beschienen wird. Ein weißer Schirm beschützt sie, schirmt sie ab – gegen was? Auch dieser Schirm schwebt, wie die Tischdecken, im Nichts. Schirme tauchen immer wieder in den Bildern der Gmunder Künstlerin auf – als Symbole des Schutzes, aber auch der Farbenfreude. Ein anderes Motiv zieht sich durch das Werk: Sessel in allen Formen und Größen, in akribischer Präzision. Sie Verkörpern ein Ausruhen, in-sich-Verharren, auch Gemütlichkeit und Bequemlichkeit.
H. Lucia Kordecki: „Blick-Kontakt, riskanter“ – was passiert, wenn sich das Mädchen im Anblick des Bildes verliert? Foto: IW
Die grafische Präzision ist das Markenzeichen der Gmunder Künstlerin, die sich nie vorstellen konnte, abstrakt zu malen. Im Gegenteil, sie stellt sich den Herausforderungen der Details, den feinen Mustern im Stoff, Rissen im Putz an der Wand, filigranen Ornamenten einer Tapete und den feinporigen Oberflächen der reifen Orangen. Ihre Ölbilder entstehen in einem langsamen, geduldigen Prozess, sie gibt ihnen Zeit. Auch Katzenporträts sind darunter. Aber ihr wäre nie in den Sinn gekommen, niedliche Exemplare zu malen, dafür, so sagt sie, habe sie viel zu viel Respekt vor den Katzen – es sind allesamt Charaktertypen.
3 Bilder aus einer Serie H. Lucia Kordeckis aus Gmund. Foto: IW
Ein Zeitzeugnis der Vergangenheit legen die Bilder aus einer Gmunder Serie ab. Etwa 1986 bis 87 wohnte die Künstlerin am Maximilian, wo ihr Blick auf das ehemalige Schlachthaus mit seinen zersprungenen Fensterscheiben fiel. Der Winter an der Mangfall ist in Bildern eigefangen, die sich in den für die Künstlerin so typischen fahlen Grüntönen bewegen – mit fein ziseliertem, kahlen Geäst, das sich im gefrorenen Wasser spiegelt.
Ausstellung in Gmund zeigt umfassendes Bildwerk
H. Lucia Kordeckis träumerische Bilder laden die Betrachter dazu ein, die Geschichte selbst weiterzuentwickeln, den Faden weiter zu spinnen. Was sie vorgibt, sind mit feinem Pinsel und Ölfarbe oder auch mit Patstellkreiden und Buntstiften gemalte Rätsel. „Jeder soll sich selbst seinen Reim drauf machen“, sagt sie. Die Grafikerin malt seit den frühen Achtziger Jahren – in dieser ihr eigenen, hyperrealistischen Präzision. „Wenn ich schon naturalistisch male, dann soll es auch stimmen“, erklärt sie ihren Anspruch an die Perfektion ihrer Tischtuchfalten, Stoffornamente und Papierknitter.
Die Motive kommen indes zu ihr, als Postkarte, als Foto, als Erzählung oder Beobachtung. Sie lassen ihre Bilder wirken wie eine Art rästelhaftes Tagebuch. Was in der nächsten Dekade noch entstehen wird? Nach dem Ende der Ausstellung in Gmund wird H. Lucia Kordecki die neunte Orange auspacken. Und dann werden wir schon sehen.