In ihrem Beruf merkte Bärbel Scholz immer wieder, dass Menschen nicht entsprechend ihrer eigentlichen Fähigkeiten eingesetzt sind, dass sie nicht ihr wirkliches Potenzial entfalten können. Und entdeckte schließlich, dass auch sie selbst, obzwar erfolgreich im technischen Vertrieb europaweit unterwegs, nicht auf der richtigen Spur war.
Aber der Reihe nach. Bärbel Scholz entschied sich mehr durch Zufall für eine Ausbildung an der Technikakademie von Siemens. Zwar habe sie sich eigentlich nie mit der Technik anfreunden können, gesteht sie heute, aber damals habe sie es einfach gemacht. Nach dem Abschluss fand sie sich in einem Labor, wo sie Sprachübertragungssysteme auf Herz und Nieren prüfen musste. Ob sie Hitze und Kälte, Erdbeben und anderes aushalten. Das habe ihr schon Spaß gemacht, wenn sie mit ihrer Gerätschaft auf die Zugspitze fuhr und die Systeme in der Sonne prüfte, erzählt sie.
Später wurde sie im Vertrieb eingesetzt und war in ganz Europa unterwegs. Dabei entdeckte sie, dass ihre Stärken darin lagen, mit Menschen zu reden, zu verhandeln. Der technische Teil hingegen war eher das notwendige Übel. Als sie zweimal für längere Zeit in Italien tätig war, fand sie es sehr spannend. „Wir waren nicht geliebt von den Italienern“, berichtet sie, denn die Deutschen sollten ihnen zeigen, wo es lang geht. In diesem Spannungsfeld mit den Menschen zu verhandeln, das gefiel ihr.
Und sie stellte immer wieder fest, dass viele Menschen Fähigkeiten haben, die sie im beruflichen Alltag nicht einsetzen können. „Aber die Leute haben Angst, etwas zu ändern“, erzählt sie. So sei bei ihr der Wunsch entstanden, den Menschen diese Angst zu nehmen und sie gleichzeitig in ihren Stärken zu unterstützen. Parallel dazu verlief der eigene Prozess des Spurwechselns. Ihre Firma unterstützte sie in ihrem Wunsch, neben ihrer eigentlichen Arbeit eine Coachingausbildung zu machen. So konnte sie erste Erfahrungen bei Gesprächen mit Mitarbeitern der eigenen Firma sammeln.
Vor drei Jahren bot sich ihr eine günstige Gelegenheit mit einer Abfindung aus dem Berufsleben auszusteigen. „Das war wichtig für meine Sicherheit“, räumt sie ein. Seitdem arbeitet sie selbständig. Und möchte auch nicht wieder in der Industrie tätig sein. „Dort werden Millionen für Weiterbildung ausgegeben aber nicht mit Leben erfüllt“, sagt sie. Es fehle die Nachhaltigkeit, das Umsetzen des in Seminaren gelernten oder beim Coaching erfahrenen Wissens.
Bärbel Scholz will jetzt Menschen begleiten, die sich nichts zutrauen. Menschen, die sich ihrer eigenen Fähigkeiten und Talente nicht bewusst sind. Sie ist fest davon überzeugt, dass jeder Mensch zu Höchstleistungen und zur Freude am Leben befähigt ist, wenn er entdeckt, welches sein besonderer Weg ist. In einem eineinhalbtägigen Seminar unter dem Titel „Spurwechsel – Neuanfang als Chance“ vermittelt sie die Fähigkeiten, diesen Weg zu finden. Ausgehend von Biografiearbeit über die Formulierung des eigenen Ziels und Intuitionsübungen, was man in anderen Menschen sieht, erarbeitet sie mit den Teilnehmern deren Stärkeprofile. Als Abschluss präsentiert jeder Teilnehmer seine Zukunftsidee. Nach etwa einem halben Jahr trifft man sich wieder um zu reflektieren.
Und sie selbst, ist sie jetzt auf der richtigen Spur? „Ja,“ kommt die Antwort ein wenig zögerlich, „aber ich habe noch eine Vision.“ Bärbel Scholz träumt von einem Seminarhaus, in dem man gemeinsam lebt und arbeitet. Möglichst in Süditalien. „Daran hängt mein Herz“, sagt die 60-Jährige, „aber ich kann es abwarten.“ Denn noch scheitert ihre Vision am nötigen Geld.
Nach einer Weile gesteht sie noch einen zweiten Wunsch. Eine weiteres, bisher nicht gelebtes Stück ihres Lebens. Das entdeckte sie in einer Farm in Sizilien, wo biologisch Kräuter angebaut wurden. „Erde bestellen, Kräuter ernten, gesunde Nahrung bereiten“, so fasst sie zusammen, was sie sich wünscht. Ihr ganzes Leben lang habe sie sich begrenzt und jetzt sei es soweit. „Ich habe das Gefühl, jetzt stehen mir so viele Möglichkeiten im Leben offen.“
Monika Ziegler
Publiziert 13. Juni 2013