Bastian Berbner und die 180 Grad-Wendung
Bastian Berbner. Foto: privat
Buchrezension
Ein überaus wichtiges Buch hat Bastian Berbner mit „180 Grad – Geschichten gegen den Hass“ geschrieben. Mit wissenschaftlicher Begründung weist er nach, wie man Hass und Vorurteile überwinden und wie jeder Einzelne etwas gegen die Spaltung unserer Gesellschaft beitragen kann.
Bastian Berbner ist Journalist und arbeitet für die Wochenzeitung DIE ZEIT. Er erhielt 2019 den Egon-Erwin-Kisch-Preis für seinen Beitrag im SZ-Magazin „Ich und die anderen“. Diese Geschichte und viele andere aus allen Teilen der Welt hat er in dem Buch „180 Grad“ zusammengestellt.
Es sind Geschichten, die Hoffnung machen, Geschichten, die nicht von Hass und Gewalt, von Terror und Rassismus berichten, so wie wir es normalerweise aus den Medien gewohnt sind. Der Journalist hat sich auf den Weg gemacht, über Menschen zu berichten, die dem Hass etwas entgegensetzen.
Strategie zur Überwindung von Polarität der Meinungen
Diese Menschen, diese Orte, wo die Polarität von Meinungen überwunden wird, gibt es. “Nur schaut kam jemand hin“, sagt Bastian Berbner. Ihm fiel im Laufe seiner Recherche auf, dass es immer derselbe Mechanismus war, der zum Erfolg geführt hatte. Und er stellte sich die Frage: wenn das im Kleinen funktioniert, dann steckt vermutlich eine große Strategie dahinter, die auch in der großen Politik funktionieren sollte.
In seinem Vorwort berichtet er, wie er mit Wissenschaftlern, Politologen, Soziologen und vor allem Sozialpsychologen gesprochen habe. Er erfuhr, dass der Mechanismus, der zur Überwindung von Hass führt, seit siebzig Jahren wissenschaftlich erforscht und begründet ist. Dass er es aber nie aus der akademischen Welt in die reale geschafft habe.
Bastian Berbner schenkt Hoffnung
Mit seinem Buch will Bastian Berbner nun genau das tun. Er erzählt Beispiele, wo und wie der Mechanismus funktionierte. Er schenkt Hoffnung in unserer krisengeschüttelten Zeit, in der man allerorten Vorurteilen auf das Andere, das Fremde begegnet und er beschreibt konkret erste Schritte, die jeder tun kann. In der bayerischen Kommune ebenso wie in der großen Politik.
Das Buch startet mit der Geschichte von Christa und Harald Hermes in einer Reihenhaussiedlung in Hamburg. 2014 zogen dort Flüchtlinge ein und die bereits vorhandenen Vorurteile bestätigten sich, es war laut, auf den Balkonen wurde nachts gegrillt, die Heizkosten stiegen, man beschwerte sich, es half nichts.
Beginn einer wunderbaren Freundschaft
Als eines Tages Wasser auf den Balkon der Hermes tropfte, ging Christa Hermes hinauf. Da sei es in ihrem Kopf heller geworden, erzählte sie später. Die Roma-Familie aus Serbien hatte keine Waschmaschine, kein Geschirr, keine Bettdecken.
Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft und als die serbische Familie abgeschoben wurden, setzte sich das Ehepaar Hermes ins Flugzeug. Bis heute schickt es Hilfsgüter nach Serbien.
Bastian Berbner argumentiert, dass unsere Gesellschaft in soziale Sphären getrennt ist, ein jeder bewege sich in seiner Filterblase, der ideale Nährboden für Vorurteile. Das Ehepaar Hermes und viele andere aber verließen ihre Filterblasen.
Cover Bastian berbner: 180 Grad. Foto: Verlag C.H.Beck
Der Journalist suchte und fand viele weitere Beispiele, wo Menschen, durch die Realität gezwungen, plötzlich die Menschlichkeit des Anderen, des Fremden, sogar des Gegners erkannten. Ein Beispiel aus den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges landete bei dem Sozialpsychologen Gordon Allport. Basierend auf Studien und Umfragen formulierte er die sogenannte Kontakthypothese: Kontakt zwischen Feinden reduziert Vorurteile. Allerdings muss der Kontakt intensiv sein.
Wahl durch Los
In der Folgezeit wurde diese Hypothese durch zahlreiche Studien und eine Metastudie verifiziert, aus der Hypothese wurde eine Theorie, aber die wurde nicht wahrgenommen.
Zumeist vergessen indes wurde das System, das die Demokratie im antiken Athen stabilisierte. Dort nämlich wurden die Politiker nicht gewählt, sondern auf bestimmte Zeit aus allen Bürgern gelost. Bis hin ins 18. Jahrhundert wurde der von Aristoteles geprägte Satz „Wahl durch Los entspricht der Natur der Demokratie, Wahl durch Abstimmung der Aristokratie“ beherzigt.
Wenn Empathie keine Chance hat
In Irland ließ man das Losverfahren wiederaufleben, als es um eine neue Verfassung ging. 100 zufällig ausgewählte Bürger aus allen Schichten der Bevölkerung berieten alle wichtigen Themen. Da saß der Schwulengegner dem Schwulen gegenüber und freundete sich mit ihm an, stimmte sogar für die Homoehe.
Ein aber steht dem Prinzip Kontakt entgegen, und das betont Bastian Berbner anhand mehrerer Untersuchungen: das Prinzip des Stammesdenkens. „Manchmal hat Empathie keine Chance“, schreibt er. „Dann, wenn starke Gruppenidentitäten sie betäuben.“
Bürgerversammlungen
In Botswana gelang es der Regierung im Gegensatz zu den anderen afrikanischen Ländern, dieses Stammesdenken zu überwinden. Sie schickte ihre Beamten alle paar Jahre in andere Regionen.
Der Autor schließt sein Buch mit Berichten von Initiativen, die seine Berichterstattung in der Wochenzeitung DIE ZEIT ausgelöst haben. In ganz Deutschland haben sich Menschen gefunden, die seine Anregungen aufgreifen, ob Bürgerversammlung oder Gespräche mit Andersdenkenden.
So ist das Buch alles in allem: Theoretische Fundierung eines hoffnungsversprechenden Mechanismus zur Überwindung von Hass und Vorurteilen, eine Reportage aus der ganzen Welt, wo der Mechanismus funktionierte. Der Autor bringt aber auch in journalistischer Perfektion Einschränkungen und er ruft anhand aktueller Beispiele zum Mitmachen auf. Politikern und Bürgern dringend zum Lesen empfohlen.