Spione, Alchemisten und Mätressen
Pikante Details in der Kostümabteilung der Dauerausstellung „Barocker Luxus“. Foto: IW
Museumsbesuch in München
Museum ist langweilig? Kein bisschen. Im Gegenteil, im Museum gibt es sogar jede Menge Sex & Crime. Beim Boggerwalk unter dem Hashtag #BarockerLuxus öffnete das Bayerische Nationalmuseum in einer Sonderführung neue Blickwinkel, während die Mitarbeiter kompetent aus dem Nähkästchen plauderten.
Das Bayerische Nationalmuseum in München hat sich etwas Besonderes einfallen lassen, um die Besucher in seine Schatzkammern meisterlicher Kunst in der neuen Dauerausstellung „Barocker Luxus“ zu locken. Die Idee: Blogger vermitteln Kunst anders als Kunsthistoriker. „Sie sprechen eine andere Sprache“, sagt Frank Matthias Kammel, Generaldirektor des Museums, „da fehlt uns manchmal der Anschluss“. Die 20 Bloggerinnen und Blogger bewegten sich wie Paparazzi im Museum, fotografieren erlaubt, blitzen allerdings nicht. KulturVision war auch dabei.
Die Fassade des Bayerischen Nationalmuseums lädt zur neuen Dauerausstellung „Barocker Luxus“ ein. Foto: IW
Barocker Luxus in Kunst und Kunsthandwerk
Auf rund 1.300 Quadratmetern gab es Erstaunliches zu entdecken. Kompetent führten sechs hoch spezialisierte Museumsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen durch die neue Dauerausstellung „Barocker Luxus“. Alle brennen leidenschaftlich für ihre Fachgebiete. Die Flamme der Begeisterung sprang schnell über, während uns Prunk und Lebenslust der höfischen Welt des Barock in all ihren Facetten in Bann zogen. Aber die Ausstellung zeigt nicht nur die Welt des Barock und Rokoko. Sie schlägt zugleich eine Brücke zur Gegenwart. Alchemisten, die versuchen, Gold herzustellen, gibt es freilich nicht mehr. Die Faszination des Luxus ist uns jedoch erhalten geblieben: „Früher sammelte man Elfenbeinschnitzereien, so wie man heute Andy Warhols sammelt“, konstatierte Dr. Jens Ludwig Burk, der Experte für Elfenbeinkunst.
Spezialwissen für den Bloggerwalk: Elfenbeinfiguren als kostbare Sammelobjekte. Foto: IW
Schon gewusst? Elfenbeinschnitzerei ist eine der ältesten kulturellen Handwerkstechniken der Menschheit. Im Barock gehörte das Elfenbeindrechseln zur Ausbildung der jungen Prinzen und zum Hobby der Herrscher, erfuhren wir. Das war aber weit mehr als künstlerische Freizeitgestaltung. Die komplizierten Drechselmaschinen erforderten ein hohes Maß an Geduld, Strategie, technische sowie planerische Fähigkeiten – alles Eigenschaften, die künftige Staatslenker benötigten. Gezeigt wird in München eine der umfangreichsten Elfenbeinsammlungen Europas.
Sammelleidenschaft und Spionage
Später wurde Elfenbein von Porzellan abgelöst und damit ging es auch in der nächsten Abteilung weiter. Bis es die europäischen Höfe von der Sammelleidenschaft chinesischer Objekte zur Herstellung von eigenem Porzellan brachten, war indes ein langer Weg. Erfährt man darüber Details aus kompetentem Munde, klingt es fast wie ein hochmoderner Spionagekrimi. Johann Friedrich Böttger war beispielsweise in Meißen eingekerkert, damit die Geheimnisse nicht nach draußen drangen, als er das Porzellan erfand statt Gold „zu machen“.
Porzellan und Glas statt Gold
Ähnlich erging es Johann Kunckel in Berlin. Gefangen auf der Pfaueninsel stellte er statt Gold schließlich das begehrte Rubinglas her. Die Sammlungen zeigen eine frühe, weiße Henkeltasse aus Meißen von 1710, noch bevor eine farbige Bemalung glückte. Und natürlich gibt es auch zahlreiche Exponate Kunckels aus Rubinglas und kostbares barockes Kristallglas zu sehen.
„Service à la française“ – das am vollständigsten erhaltene silberne Tafelservice aus Augsburg in ganz Europa. Foto: IW
Die festlichen Tafeln sind weitere Höhepunkte der Sammlungen – in Porzellan ebenso opulent wie in Tafelsilber. Dass bei der Luxusschwelgerei nicht die kulinarischen Genüsse im Vordergrund standen, sondern Repräsentation und Selbstdarstellung des Gastgebers, verwundert nicht. Hochinteressant waren indes wieder die kundigen und teils pikanten Erläuterungen. Weil die Speisen ohne Kühlung oft nicht mehr frisch waren, würde alles in kräftiger Soße ertränkt. Bevor das Porzellan kam, wurden besondere Speisen wie Wildragout, Schwanenpastete oder Schildkrötensuppe oft in Gebäckbehältern serviert, an die Fell, Federn oder sogar halbe Tiere hindrapiert waren. Deren „Haltbarkeitsdatum“ war oft bereits deutlich überschritten – mit Gewürm und allem, was dazu gehört. Also nicht nur was die Mode betraf, war man „außen hui, innen Pfui“ – fürs Prestige. Alles folgte indes strengen Reglements – orientiert am französischen, später britischen Adel.
Höfisches Tafelsilber und Roentgenmöbel
Interessant war auch zu erfahren, dass die Heißgetränke Tee, Kaffee und Trinkschokolade erst mit dem Porzellan en vogue wurden, weil man sich zuvor am Silber die Finger verbrannt hätte. Ausschweifende alkoholische Trinkspiele nahmen einen großen Raum bei Hofe ein. Der Kunstfertigkeit und raffinierten Formenvielfalt silberner und vergoldeter Trinkgefäße waren keine Grenzen gesetzt. Geradezu perfide hingegen mutet heute die Tatsache an, dass das Vergolden des Tafelgeschirrs mittels Quecksilber den Lehrlingen überlassen wurde. Man wusste bereits von dessen Schädlichkeit und der kurzen Lebensdauer der Silberschmiede.
Auch für die Blogger ist das Fotografieren nur ohne Blitzlicht erlaubt: faszinierende Roentgenmöbel. Foto: IW
Dass die Kunstschreinerfamilie Roentgen Möbel von Weltrang mit hoch komplizierten Mechanismen und extrem feinen Intarsien herstellte, war vielen bekannt. Dass die Roentgens jedoch der Herrnhuter Gemeinschaft angehörten, ähnlich den Quäkern, war neu. Sie durften solche luxuriösen Möbel selbst gar nicht besitzen und auch die Herstellung war verpönt. David Roentgen wurde gar aus der Gemeinschaft verstoßen.
Roentgen-Möbel erzielen Höchstpreise auf Auktionen
Heute gibt es weltweit noch etwa 2.000 Exemplare der aufwendigen Möbelstücke. Wird eines bei Sotheby’s versteigert, erzielt es noch immer Höchstpreise. Die Sammlung der kostbaren Roentgen-Möbel im Bayerischen Nationalmuseum ist ebenso bemerkenswert wie ein komplett mit bemalter Seide ausgekleideter Salon aus dem späten Rokoko. Er zeigt Motive aus dem höfischen Leben und der umfassenden Prinzenerziehung.
Alles Künstliche war „en vogue“ – Barocker Reifrock. Foto: IW
Interessant ging es auch im Jagdsaal weiter. Handwerkskunst rund um die Falknerei und Schusswaffen, geschmückt mit feinen Arbeiten aus Schildpatt, Muschel und Fischgräten, bildeten schließlich den Übergang zur letzten Abteilung: den Kostümen des Barock. Hier gab es naturgemäß allerhand aus dem Nähkästchen zu plaudern. Pikantes Detail war beispielsweise ein Spazierstock, in dem blondes Haar eingearbeitet wurde – das Geschenk einer Mätresse an ihren Fürsten.
Dekadenz, Pomp und sagenhaftes Handwerk
„Alles künstliche war en vogue“, erklärte Dr. Johannes Pietsch. Dazu erläuterte er die Mechanik eines aufklappbaren Reifrockes, chinesische Fächer, Perückenständer, Schönheitspflästerchen – und natürlich sagenhaft prächtige Gewänder. Sein ganzer Stolz indes ist ein Affe im eleganten, seidenen Justaucorps – er setzt der Dekanenz am Hofe die Krone auf: „Sogar ein Affe trägt eine roba à la française“.
Luxus pur: Affe im seidenen Prachtgewand. Foto: IW
Das Museum verwaltet eine bemerkenswerte Sammlung voller spannender Details und Geschichten. Mal wie ein Krimi, mal gespickt mit pikanten Details à la Casanova. Gewürzt mit barocken Tafelrezepten, kunsthandwerklichen Raffinessen und Szenen aus dem höfischen Leben. Und was machen nun die 20 Blogger? Sie tragen die Botschaft nach draußen: „Auf ins Bayerische Nationalmuseum!“ Die nächste Gelegenheit bietet sich am 20. Oktober zur Langen Nacht der Museen in München.
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