Die Bernauer Strasse: ein deutscher Schicksalsort
Die Häuser der Bernauer Strasse werden zugemauert Foto: astfilm
Einen bewegenden Abend bescherte Jürgen Ast dem Publikum im KULTUR im Oberbräu. Sein Film „Die Bernauer Strasse“ hatte gerade Premiere bei der ARD und zeigt einen Ort der Hoffnung. Hoffnung schenkte den Menschen in Ostberlin auch Tunnelbauer Hubert Hohlbein.
Was zunächst traurig stimmte, nämlich das geringe Interesse an dem Thema des Abends, der im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Anders wachsen“ lief und einen Beitrag zu „30 Jahre Mauerfall“ liefern sollte, erwies sich letztlich als Glücksumstand.
Intensiver Austausch
Denn alle Zuhörer versammelten sich nach dem Film im Kulturcafé und erlebten einen intensiven und berührenden Austausch mit den beiden Gästen. Jürgen Ast war bereits zum zweiten Mal aus Berlin nach Holzkirchen gekommen. Schon im Jahr 2016 hatte er auf Einladung von KulturVision e.V. seinen Film „Junior und der Schwan“ gezeigt, ein Film über die Stasiagententätigkeit in den USA:
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Der Ostberliner Filmemacher hat sich auf das Thema deutsche Geschichte, insbesondere die Geschichte der deutschen Teilung konzentriert. Gemeinsam mit Sohn Daniel produzierte er den Film über eine Strasse, die heute als Symbol der Teilung Deutschlands zum Erinnerungsort geworden ist. Er wird jährlich von Millionen Menschen aus der ganzen Welt besucht.
Die doppelte Mauer. Foto: astfilm
Der 45minütige Dokumentarfilm zeigt anhand einer Strasse das Leid der Menschen, die nach dem Bau der Mauer in Berlin am 13. August 1961 plötzlich in einer geteilten Stadt lebten. Die Bernauer Straße bildete einen Teil des „antifaschistischen Schutzwalls“, wie die Mauer von Partei und Regierung der DDR genannt wurde.
„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen“
Die Häuserfront gehörte zum sowjetischen Sektor, die Straße davor zum französischen Sektor Berlins. Bis zum Mauerbau hatten zweieinhalb Millionen Menschen die DDR über Berlin verlassen, das Land blutete aus. Aber Parteichef Ulbricht verkündete: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen.“
Jürgen Ast. Foto: Petra Kurbjuhn
Und dann wurde in einer Geheimaktion unter der Leitung von Erich Honecker doch die Mauer errichtet. Der Film zeigt die Szenen, wie sich Menschen aus den Häusern der Bernauer Strasse abseilen. Zeigt, wie sie aus den Fenstern springen in Sprungtücher der Westberliner Feuerwehr, unter ihnen eine Frau im neunten Monat schwanger. Dabei kamen auch Menschen ums Leben.
Tunnelbauer Hubert Hohlbein
Später werden die Häuser der Bernauer Strasse zwangsgeräumt, die Fenster zugemauert. Und der Film zeigt einen anderen Weg, Menschen zur Flucht aus dem Osten zu verhelfen. Hubert Hohlbein war einer der bekanntesten Fluchthelfer. Selbst 1963 aus Ostberlin in den Westen in einer spektakulären Tauchaktion geflohen, schloss er sich engagierten Tunnelbauern an. Er wollte Menschen in den Westen holen, insbesondere seine Mutter.
Tunnelbauer und Fluchthelfer Hubert Hohlbein in der Diskussion. Foto: Petra Kurbjuhn
In fünf Monaten bauten sie einen 11 Meter tiefen Tunnel über 140 Meter Länge. Was im Film nur angedeutet werden konnte, erzählte der heute in München lebende Tunnelbauer in spannender, atmosphärischer Lebendigkeit. Wie er seine Mutter wiedertraf und wie er eine eigentlich zu dicke Frau in den Tunnel verfrachtete.
Und wie es letztlich zu dem dramatischen Schusswechsel mit Grenzsoldaten kam.
Der Märtyrer in der Bernauer Strasse
Nachdem 57 Menschen durch den Tunnel Ostberlin verlassen hatten, wurde das Projekt verraten und dabei kam der Grenzsoldat Egon Schulze ums Leben. In der DDR wurde er als Märtyrer hingestellt und erst nach dem Fall der Mauer wurden Geheimakten zugänglich. Dabei stellte sich heraus, dass er durch das Streufeuer eigener Kameraden ums Leben gekommen war.
Perfekte Grenzanlagen
Jürgen Ast hat diese Geschichte im Film aufbereitet, ebenso wie die Sprengung der Versöhnungskirche im Todesstreifen und den immer perfekter werdenden Ausbau der Grenzanlagen.
Eine Mauer wird errichtet, die Häuser einer Strasse werden evakuiert. Foto: astfilm
Umso verblüffender nimmt sich der erfolgreiche Versuch aus, die Mauer per Leiter zu überwinden. Endgültig überwunden wurde sie im November 1989. Schon vorher hatte US-Präsident Ronald Reagan Michail Gorbatschow aufgefordert, die Mauer niederzureißen. Aber Erich Honecker hatte verkündet, dass sie noch 100 Jahre Bestand haben würde.
Ein Pompeij der Zeitgeschichte
Heute, 30 Jahre später, ist die Bernauer Strasse als Teil der Mauer ein Abschnitt des Gedenkens. Die Versöhnungskapelle soll an die Kirche erinnern. Mauerarchäologen graben heute noch in der Tiefe nach Überresten, ein Pompeij der Zeitgeschichte. In der Diskussion erzählte Hubert Hohlbein auch, dass es bereits einen Comic zum Bau des Tunnels 57 gibt. Ihm wurde in der Bernauer Strasse eine Gedenktafel gewidmet.
Gedenktafel Tunnel 57. Foto: Petra Kurbjuhn
Bewegender Film von Jürgen Ast.
Und Jürgen Ast ließ die Zuhörer Teil haben an der Entstehung des Films, der jetzt in mehreren dritten Programmen des Deutschen Fernsehens und in der Mediathek zu sehen ist. Er schuf einen bewegenden Film zur Erinnerung an die Teilung einer Stadt und die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft.