Das Geheimnis von animal
Bodo Kirchhoff. Foto: Moritz Reich 2023
Neuerscheinung auf dem Buchmarkt
In dem Titel seines soeben erschienenen Buches „Seit er sein Leben mit einem Tier teilt“ spiegelt sich bereits die Sehnsucht des Autors. Bodo Kirchhoff gelingt es wieder einmal, Melancholie, Liebe, Verlangen, Verlust und Vergänglichkeit in seiner unnachahmlichen Sprache zu verdichten und dabei ganz neue Töne anzuschlagen.
Die Hauptperson, und das vermittelt bereits das Cover, ist aber in diesem Buch nicht eine Frau, sondern eine Hündin. Mit ihr, Ascha, hat sich der ehemalige Hollywoodschauspieler Louis Arthur Schongauer in sein Haus oberhalb des Gardasees zurückgezogen. Hier will er nach dem Unfalltod seiner Frau mit ihr leben. Denn, so schreibt Bodo Kirchhoff, wenn man von animal den letzten Buchstaben weglässt, dann ahne man sein Geheimnis. „Ascha weiß nicht, dass es Liebe gibt aber liebt“, sagt er.
Es geht um Nähe, Liebe und Glück
Der Roman erzählt nun eine Geschichte, die sich in wenigen Tagen um Maria Himmelfahrt abspielt, denn in sein Leben fallen zunächst zwei, dann aber noch eine dritte und am Ende eine vierte Frau ein. Zunächst verirrt sich Frida, die 24jährige Reisebloggerin im Wohnmobil in seine Zufahrt und bleibt dort mit einer Panne stecken. Am nächsten Tag kommt die Journalistin, die ein Porträt von dem Schauspieler, der immer nur in Nebenrollen den Bösen spielte, schreiben will.
Die beiden vom Alter und vom Wesen her sehr unterschiedlichen Frauen interessieren sich für Schongauer und wollen sich ihm, der Nähe zunächst nicht zulassen will, nähern. Almut Stein, die Journalistin, fragt ebenso direkt wie Frida und dabei geht es dann auch um seine Ehe, über die er nicht reden will, und sagt doch einen wichtigen Satz: „Nur weil wir jemanden lieben, ist der uns nicht das eigene Glück schuldig.“
Cover: Seit er sein Leben mit einem Tier teilt. Foto: dtv
Immer wieder geht es um die Sehnsucht, etwa, noch etwas vom Leben abzubekommen, obwohl es eigentlich hinter einem liegt. Die Sehnsucht wahrgenommen zu werden. Dabei aber muss sich Schongauer auch schmerzlichen Fragen stellen, warum er seine Frau nicht abgehalten habe, in die tödliche Brandung zu gehen.
Zwischen ihm und Almut baut sich eine zaghafte, aber tiefe Verbindung auf. Schongauer erkennt durch ihre Fragen, dass das große Foto vom toten Pferd vor der Brandung im Wohnraum, das seine Frau Magda machte, eine Metapher ist. Sie habe ihn, „das geschmähte Tier“ gerettet, gerettet von den ewigen Nazifiguren, den Bösen in Hollywood, die er darzustellen hatte. Durch ihre Fragen steht seine Vergangenheit in ihm auf und er stellt sich ihr.
Vergänglichkeit mit Schuss Selbstironie
Ein wichtiges Thema, das Bodo Kirchhoff aufgreift und tiefgründig bearbeitet, ist die Vergänglichkeit. Sie kommt in der Figur Schongauers, der Mitte siebzig und herzkrank ist, ebenso zum Ausdruck, wie in dem verheerenden Sturm, der sein Boot auf dem Gardasee zerstört. Dem Schriftsteller gelingt es meisterhaft, die Vergänglichkeit sowohl melancholisch als auch mit einem Schuss Selbstironie darzustellen.
Aber auch Frida konfrontiert ihn mit grundlegenden Fragen: Worum es ihm im Leben überhaupt gegangen sei. Bei einem Gang durch Florenz revanchiert sich Schongauer bei ihr mit dem Hinweis auf Michelangelos Satz, dem Buch vorangestellt: „Was ist dies Amor, das durch die Augen ins Herz dringt und dort auf kleinstem Raum zu wachsen scheint? Und sich anschickt, alles zu überschwemmen?“
Große Literatur
Letztlich taucht als Kontrapunkt zu Almut und Frida deren Mutter auf, ein Medienstar mit eigener Sendung, die der Stimmung ein eigenes Gepräge gibt, aber auch erkennt, dass Schongauer sich eigentlich immer versteckt. Und als Abschluss meldet sich eine vierte Frau.
Den richtigen Menschen gegenüber versteckt er sich nicht. Dann zeigt er sich von seiner verletzlichen Seite und teilt mit ihnen, was ihm wichtig ist. So ist das Buch ein tröstliches, auch wenn es von Vergänglichkeit erzählt. Bodo Kirchhoff versteht es wie in seinen hochgelobten Romanen der Vergangenheit auch in diesem Roman, das Wesentliche im Leben zu ergründen, Saiten im Lesenden anzuschlagen, die nachklingen und reflektieren und fühlen lassen, genau das, was große Literatur ausmacht.
Ulrike Bauer und Bodo Kirchhoff beim Schreibseminar am Gardasee 2016. Foto: MZ
Mit seiner Sprache gelingt es ihm die Kunst des Erzählens zu perfektionieren, die Bodo Kirchhoff Schreibinteressierten gemeinsam mit seiner Frau Ulrike Bauer im gemeinsamen Haus am Gardasee vermittelt.
Und was ist die Quintessenz seines aktuellen Buches? „Seit ich mit einem Tier lebe, geht es mir gut“, sagt Schongauer, und das kann auch eine Katze sein.
Zum Weiterlesen: Bericht zur Lage des Glücks