Die Verantwortlichen und Kulturschaffenden

Hier aber blühen Ruinen

Trugen zum Gelingen des Thementages bei: Peter Becher, Elisabeth Krisch-Kranich, Lenka Ovčačková, Peter Coreth, Monika Ziegler, Christoph Janacs und Josef Gušlbauer (v.l.). Foto: Hannes Reisinger

Kulturpartnerschaft Bayern-Niederösterreich

„Böhmerwaldgeschichten – eine literarische Begehung“ war der Titel des Thementages bei der Kulturbrücke Fratres im Niederösterreichischen Waldviertel am vergangenen Samstag. KulturVision hat dazu als oberbayrischer Partner Kulturschaffende aus Bayern, Tschechien und Österreich zu Lesungen, Musik und Film eingeladen.

Es war bereits der zehnte Thementag, den KulturVision im Waldviertel organisierte. Monika Ziegler hob die langjährige Partnerschaft und befruchtende, gegenseitige Inspiration hervor, nachdem sich die letzten Gäste im Stadl des Gutshofes eingefunden hatten. Gemeinsam mit der Vorstandsvorsitzenden begrüßte Peter Becher die etwa achtzig Besucherinnen und Besucher – auf Deutsch und Tschechisch. Der Vorsitzende des Münchner Adalbert Stifter Vereins und Mitglied des tschechischen PEN freute sich über die vielen Menschen, die von diesseits und jenseits der Grenze nach Fratres geströmt waren. Das Anliegen des Kuratorenteams und der mitwirkenden Kunstschaffenden dreier Länder sei es, den europäischen Gedanken über die Literatur zu tragen, so der Holzkirchner Journalist und Autor.

Monika Ziegler und Peter Becher eröffneten den Thementag "Böhmerwaldgeschichten"
Monika Ziegler und Peter Becher eröffneten den Thementag „Böhmerwaldgeschichten“. Foto: Hannes Reisinger

Der Böhmerwald entlang der tschechisch-deutsch-österreichischen Grenze hat seit jeher Künstler und Schriftsteller inspiriert, von Adalbert Stifter und Eliška Krásnohorská bis hin zu Alfred Kubin und Josef Váchal. Wer von jenseits der Grenze, sprich über das nur einen Steinwurf entfernte tschechische Slavonice angereist war, hatte jene markante Stelle passiert, an der auf einem sanften Hügel in riesigen Lettern die Frage „Wohin verschwinden die Grenzen?“ prangt.

Diese zentrale Frage beschäftigt die Kulturbrückler wie Bewohner der Region und Gäste gleichermaßen. „Wir bewegen uns auf dünnem Eis“, antwortete Schriftsteller Thomas Sautner beim literarischen Thementag „Literaturcafé Melange“ im letzten Jahr darauf. Und im Laufe der diesjährigen Veranstaltung werden wir hören: Während die Grenzen in vielen Köpfen abgebaut werden, gibt es auch bedenkliche Gegenströmungen, die sie aufs Neue errichten. Doch der Reihe nach.

Lenka Ovčačková folgt dabei den lyrischen Spuren des Privatgelehrten Graf Georg Franz August von Buquoy - beim Thementag Böhmerwaldgeschichten
Filmemacherin Lenka Ovčačková folgt dem pluralistischen Prinzip. Foto: Petra Kurbjuhn

Um die Grenzen ging es gleich im ersten Beitrag des Tages, im feinfühlig erzählten Dokumentarfilm „Im Einen Alles, im All nur Eines“ von Lenka Ovčačková. Die Prager Filmemacherin und Wissenschaftlerin, die mit dem Satz „Der Böhmerwald ist meine große Liebe“ einstieg, verfolgt sowohl in ihrer künstlerischen als auch wissenschaftlichen Arbeit das pluralistische Prinzip – und damit die Aufhebung der Grenzen zwischen den Disziplinen. Der Film zeichnet auf poetische und zugleich populärwissenschaftliche Weise die Landschaft in der südböhmischen Region des Gratzener Berglands (Novohradské hory) nach.

Auf Spuren von Graf von Buquoy

Lenka Ovčačková folgt dabei den lyrischen Spuren des Privatgelehrten Graf Georg Franz August von Buquoy (1781–1851), der 1838 das erste Naturreservat Europas gründete. Zugleich lässt sie Menschen unterschiedlichen Alters ihre Geschichten erzählen. Menschen, die dies- und jenseits des einstigen Eisernen Vorhangs leben und sich seit den knapp 35 Jahren der Öffnung mit den Narben in Land- und Gesellschaft sowie dem Zusammenwachsen dessen, das einst zusammengehörte, beschäftigen.

Böhmerwaldgeschichten erzählt

„Die Geschichte der Heimat des Grafen von Buquoy erblüht anhand der Menschen, die dort leben und lebten“, erläuterte sie ihren filmischen Ansatz. Am Ende entsteht im verwilderten ehemaligen Sperrgebiet aus dem Mosaik dieser Geschichten das Bild einer blühenden Wiese. „Sie und wir waren am Ende der Welt“, resümieren die Interviewten, „und heute sind wir in der Mitte“. So baut etwa ein junges tschechisches Architektenpaar im Niemandsland der einstigen Sperrzone aus einer Ruine eine zu den Bäumen hin offene Kapelle des Lichtes. „Durch das Interesse an unserer gemeinsamen Geschichte überwinden wir Vorurteile“, so die Botschaft.

Lyriker Christoph Janacs
Christoph Janacs liest aus seinem Lyrikband „Zweistromland“. Foto: Hannes Reisinger

Um Grenzen im Kopf und in der Landschaft geht es auch dem Schriftsteller, Lyriker und Essayist Christoph Janacs aus Niederalm, Mitglied der Grazer Autorenversammlung und Träger des Salzburger Lyrikpreises. Sein „Zweistromland“ sind das Mühlviertel und Südböhmen, getrennt und verbunden durch den Böhmerwald und begrenzt von Donau und Moldau. Als Kind schon blickte er von den Grenztürmen aus „nach drüben“ und wanderte nach der Öffnung auf den Spuren Adalbert Stifters durch den Böhmerwald.

Zweistromland

Aus diesen Erfahrungen, Erinnerungen und Empfindungen ist ein wunderbarer Lyrikband entstanden: „Zweistromland“ – über „Geschichte, die wie Unkraut wuchert und sich in Geschichten fortsetzt“. So zeuge die Landschaft vom „Echo verletzter Geschichte“ und weise Narben auf, doch stets „vertrauend darauf, dass es hinter dem Horizont weitergeht“. Denn „das Land hört nie auf und lässt sich von Grenzen nicht behindern“.

„Hier aber blühen Ruinen“, las er aus seinem Lyrikband; Heiteres und Ernstes, fein Beobachtetes, fein Empfundenes und in Worte Gefasstes. Nicht nur die Landschaft, auch die Menschen beobachtet er nachdenklich: „Freiheit bedeutet mehr als unfrei zu sein und ist kein Geschenk.“ Die zwei Ströme selbst lässt er ebenfalls zu Wort kommen. So ist das letzte Gedicht des Bandes der Moldau gewidmet, sie „spricht in vielen Sprachen, die keiner mehr spricht“.

Autor Peter Becher liest aus seinem Roman
Peter Becher geht es um Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen. Foto: Hannes Reisinger

Mit einer Lesung aus „Unter dem Steinernen Meer“ berührte Peter Becher im dritten Teil des Thementages der „Böhmerwaldgeschichten“. Sein Roman, der „zurückführt in nicht so heitere Zeiten“ erzählt die Geschichte zweier Budweiser Jugendfreunde, die sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erstmals wiedertreffen: der deutsche Arzt Karl Tomaschek und der tschechische Ingenieur Jan Hadrava. Damit wird die gemeinsame Jugendzeit der beiden Protagonisten in den 1930er Jahren wieder lebendig, die Erinnerungen an das Protektorat Mähren-Böhmen und die Gräueltaten der Nationalsozialisten, der Holocaust und die Vertreibung der Sudetendeutschen, die Kriegs- und Nachkriegswirren.

Volles Haus beim fünften Thementag 2024 Böhmerwaldgeschichten
Volles Haus beim fünften Thementag 2024 „Böhmerwaldgeschichten – Eine literarische Begehung“. Foto: Hannes Reisinger

Konzentriert lauschten die Gäste der unauflösbaren Verstrickung von Freundschaft und Verrat, Triumph und Niederlage, Gewalt und Schwäche, die die verhängnisvolle böhmische Geschichte des 20. Jahrhunderts schrieb. „Wie schwer ihr euch tut, euren eigenen Nationalismus einzugestehen, während ihr den der Sudetendeutschen anprangert“ ist nur einer der beispielhaften Sätze, die den Konflikt der ehemaligen Freunde aufzeigt, stellvertretend für die Menschen, die der Nationalsozialismus im Böhmerwald entzweite. Während der Autor seit der Wende das Thema der Versöhnung und Vermittlung, insbesondere zwischen Deutschen und Tschechen, in den Fokus rückt, zeigt er zugleich, wie schwierig das ist.

Josef Guslbauer beim Thementag "Böhmerwaldgeschichten" in Fratres
Der tschechische Musiker Josef Gušlbauer, alias Josef G, rettete den Thementag. Foto: Petra Kurbjuhn

Versöhnlich und heiter war in jedem Fall die Musik, mit der der tschechische Musiker Josef Gušlbauer, alias Josef G, den Thementag begleitete. „Ein absoluter Glücksfall“, so Monika Ziegler und bedankte sich auch bei Elisabeth Springer vom Verein Together, die bei der spontanen Vermittlung half. Denn nur zwei Tage zuvor konnte der tschechische Musiker, der auch schon in der Kapelle von Reingers ein viel beachtetes Konzert gespielt hatte, anstelle des kurzfristig verhinderten bayerischen Musikbeitrages gewonnen werden. Josef G wohnt in Prag und geründete vor acht Jahren die Veranstaltungsreihe Landsteiner Legenden (Landštejnské legendy). Er führt unter anderem regelmäßig durch die romanische Kirchenruine Pomesí.

Zwischen Blues und Rock’n’Roll

So wie Christoph Janacs Lyrik im Zweistromland zwischen Donau und Moldau mäandert, mäanderte auch Josef Gušlbauer an diesem Nachsommer-Tag mit Stimme und E-Gitarre zwischen Rock ’n’ Roll und Blues, zwischen Liedermacherei, Folk und Rock. So leicht und lässig hat man selten eine E-Gitarre gehört. Ohne große Vorbereitungszeit gelang es dem Musiker, die feinen, nachdenklichen Schwingungen der Beiträge aufzunehmen und miteinander zu verbinden. Wo Versöhnung nottat, schenkte er den Zuhörenden mit seiner Musik eine sommerliche Leichtigkeit, die einige sogar zum Tanzen motivierte.

Diese herrliche sommerliche Leichtigkeit ist es, die oft die Thementage in Fratres trägt, auch jene mit nachdenklichen, sperrigen oder vulnerablen Themen. Auch diesmal spielte das Wetter auf wunderbare Weise mit. Zwischen draußen und drinnen, zwischen Lesung, Film und Musik, zwischen Sommerg‘spritztn und angeregten Gesprächen endete der letzte Thementag dieses Jahres. Nächstes Jahr wird die Kulturbrücke Fratres 30 Jahre alt.

Gefällt Ihnen dieser Beitrag? Bitte besuchen Sie uns auf