Premiere des „Jedermann“: Mammon in der Spielbank
Ensemble Burgspiele Hohensalzburg: Walter Stapper, Silvio Rudolf, Ferdinand Rother, Sergio Vesely, Ingo Neise, Eva Röder, Hans Jürgen Stockerl, Bettina Ullrich, Sabine Hajdu-Perschy, Christine Winter (v.l.). Foto: Ines Wagner
Theaterpremiere in Bad Wiessee
Geld und Kasino? Passt zusammen. Spannend wird’s, wenn Hofmannsthals Mysterienstück „Jedermann“ in einer Spielbank aufgeführt wird. Am „Zahltag“ vor dem Herrn wird das irdische Kassenbuch geprüft. Da nützt der Reichtum wenig. Warum ist es trotzdem ein gelungener Kontrast – oder gerade deswegen?
Zum zweiten Mal jährt sich die Spielzeit des „Jedermann“ auf der Waldbühne der Spielbank in Bad Wiessee. Eine Schallschutzmauer schirmt inzwischen gegen Strassenlärm ab und verbessert die Akustik, der Boden wurde befestigt und die Rückwand des Parkhauses in einem Farbton gestrichen, der die Bühnenlichteffekte unterstützt.
Die Stimme Gottes erschallt: Christine Winter, Eva Röder, Hans Jürgen Stockerl, Bettina Ullrich, Ferdinand Rother (v.l. hinten), Walter Stapper (vorn). Foto: Ines Wagner
Die Kulisse auf der Waldbühne erstrahlt golden im Abendlicht, als das Ensemble inmitten des fröhlichen Einzugs Gottes mahnende Stimme vernimmt, die zu ihnen spricht. Gott hat ein Auge auf die Menschen. Heute hat er es auf Jedermann gerichtet. Er befielt dem Tod (Ingo Neise), Jedermann vor seinen göttlichen Richterstuhl zu bringen.
Fataler Fehler: Geld ist nicht alles
Der reiche Jedermann (Hans Jürgen Stockerl), lebt in Saus und Braus und rechnet noch lange nicht mit seinem Ende. Die Armen und Schwachen haben keinen Platz in seinem Leben, in dem sich alles um Geld dreht. Das sitzt ihm lose in der Tasche und er glaubt, er kann sich alles damit erkaufen. Ein fataler Fehler, den er erkennt, als der Tod ihn inmitten eines fröhlichen Banketts abholen kommt. Niemand seiner erkauften, schmarotzenden Freunde und gierigen Vettern möchte ihn begleiten auf seinem letzten Weg.
Ein noch fatalerer Irrtum wird ihm bewusst, als sich auch sein Reichtum in Form des Mammon (Sabine Hajdu-Perschy) laut lachend von ihm abwendet. Nicht er hatte den Reichtum in der Hand, sondern – umgekehrt – er war der Hampelmann des Mammons. Erst als er sich auf seine Guten Werke (Christine Winter) und seinen Glauben (Walter Stapper) besinnt, findet er Unterstützer auf seinem letzten Weg. Und der Teufel (Eva Röder) kann ihn nicht für sich beanspruchen, mag er noch so heulen, fluchen und toben.
Regisseur Ingo Neise, der auch die Rolle des Todes spielt – Einführung der Premiere. Foto: Ines Wagner
Sind wir nicht alle Jedermänner? Das Ensemble Burgspiele Hohensalzburg bringt das zeitlose Stück Hofmannsthals aus dem Jahr 1911 lebendig, authentisch und packend auf die Bühne. Manche der Darsteller spielen bereits seit 16 Jahren im Ensemble den Jedermann. Und jedes Mal sind sie selbst wieder überrascht. Ingo Neise spricht von dem Gefühl, als Ensembletheater wie eine große Familie zu sein. Tatsächlich sind alle Rollen den Schauspielern quasi auf den Leib geschrieben. Auch wenn sich Ferdinand Rother als Dicker Vetter dagegen verwahrt – er trägt ein Kissen unterm Hemd.
Der Teufel (Eva Röder) flucht und wehklagt, weil er den Jedermann nicht bekommen kann. Foto: Ines Wagner
Das komödiantische Talent des Ensembles ist enorm: Ob nun der Dicke mit dem Dünnen Vetter wetteifert, wie man sich am besten aus der Lage herauswinde, Jedermann auf seinem letzten Weg zu begleiten; oder der Gute Gesell des Jedermann (Silvio Rudolf) heimlich seinen Batzen Scheine wegsteckt. Eva Röder als enttäuschter Teufel jammert und wehklagt, flucht und trotzt aufs Schönste und auch die zunge- und zähnefletschenden Bettelweiber beleben urkomisch die Szenerie.
Jedermann bittet vergebens seinen Dicken und Dünnen Vetter, ihn zu begleiten (Ferdinand Rother, Hans Jürgen Stockerl, Sergio Vesely). Foto: Ines Wagner
Hans Jürgen Stockerls dichtes, konzentriertes Spiel lässt niemanden im Publikum kalt, sondern packt gewissermassen jedermann. Weil schliesslich auch jedermann angesprochen ist und sich nicht entziehen kann. Das Mysterienspiel spielt sich nicht nur auf der Bühne ab. Die Schauspieler laufen durch die Zuschauerreihen und der Tod selbst sitzt in der ersten Reihe. Jedermann holt ihn dort ab, als er bereit ist für seinen letzten Gang. „Jedermann“ ist quasi überall und wir alle mittendrin.
Jedermann ist angesprochen
Lebendig machen das Stück die enorme Spielfreude des Ensembles und auch die musikalischen Raffinessen. Der gebürtige Chilene Sergio Vesley spielt als Koch und musikalischer Leiter virtuos auf dem Akkordeon. Buhlschaft Bettina Ullrich ist eine hervorragend ausgebildete Sängerin und Schauspielerin, die ihr Können auf der Bühne voll ausspielt.
Die Guten Werke (Christine Winter) und der Glaube (Walter Stapper) begleiten Jedermanns Heimgang. Foto: Ines Wagner
„Das Stück ist insgesamt reifer geworden“, erklärt Hans Jürgen Stockerl, „nach einem Jahr Abstand bringt jeder seine persönliche Weiterentwicklung mit hinein“. Eva Röder betont, wie sehr das Ensemble zusammengewachsen ist in all den Jahren. Die unterschiedlichen, starken Persönlichkeiten ergänzen sich auf ideale Weise. Bei Hofmannsthal gab es keine Anweisung, wie man die Guten Werke, den Glaube oder Mammon darstellt. Es sind Allegorien, und die müssen mit Individualismus und Authentizität belebt werden. Das gelingt dem Ensemble durch sein intensives, lebhaftes Spiel und die Zusammengehörigkeit, die es ausstrahlt.
Eva Röder ist auch für die Kostüme verantwortlich: „Wir wollen nicht modernistisch sein, sondern zeitlos“. Dann deutet auf die mit Glitzersteinen besetzte Maske des Todes: „Außer die Maske – die ist eine Hommage an Damien Hirst“, eigenhändig Stein für Stein geklebt.
Der Tod kommt Jedermann holen. Foto: Ines Wagner
Die Premiere ist hervorragend gelungen, laute Bravorufe und Beifall erschallen über die Waldbühne. Die Zuschauer strömen nach der Vorstellung zahlreich in die Spielbank. Mit der Eintrittskarte locken der freie Eintritt in die Spielsäle und gratis VIP-Jetons.
Die Botschaft des „Jedermann“ und das Glücksspiel sind spannende Gegensätze, die sich nicht ausschließen, sondern lustvoll ergänzen. Auf Erden will gelebt werden. Und das Kassenbuch – kann man am Ende immer noch richten. Oder? Aber das geht dann meistens doch nicht. Und da bleibt es spannend.
Hier geht es zu unserem Artikel über den Jedermann in der ersten Spielzeit 2016: