Charlotte Salomon – eine Hommage
Poetisches Porträt einer Künstlerin: „Charlotte“ von David Foenkinos. Foto: mi
Buchlesung in der Bücheroase Schliersee
Texte aus dem preisgekrönten Buch „Charlotte“ von David Foenkinos, Bilder aus dem opulenten Werk der Künstlerin, dazu klassische und jiddische Musik am Flügel — gemeinsam mit Marianne Gmelin und Markus Zellinger begibt sich Jennifer Roger auf die Spuren von Charlotte Salomon.
„Sie war eine Besessene, diese Charlotte Salomon“, erzählt Jennifer Roger zu Beginn der Lesung, „ein junges Mädchen, eine junge Frau, die besessen war von bestimmten Personen, von der Malerei, von Musik.“ Und diese Besessenheit habe sich wie von magischer Hand auf den französischen Autor David Foenkinos übertragen, der von dieser Frau eingenommen war, über sie schreiben wollte, aber den Weg nicht fand, den Zugang. Foenkinos begann, sich Notizen zu machen, erwähnte Charlotte in seinen anderen Romanen, aber wollte immer dieses eine Buch über sie schreiben. Das ging so über Jahre, seine Obsession blieb, und schließlich fand er den Zugang: 2014 erschien sein inzwischen mit zahlreichen Preisen ausgezeichnetes Buch über Charlotte Salomon.
Die Literaturwissenschaftlerin Jennifer Roger, damals Dozentin am romanistischen Institut der Universität Rostock, lud den Autor ein Jahr nach der Veröffentlichung des Romans zu einer Veranstaltung mit ihren Studenten ein. Und nun passierte erneut das Ungeheuerliche: Auch Jennifer Roger fühlte diesen Sog zu dieser ungewöhnlichen Künstlerin Charlotte, eine Besessenheit fast, deren künstlerisches Werk zu sehen. Nun endlich wurde dieser Wunsch erfüllt — mit der im Lenbachhaus gerade zu Ende gegangenen Ausstellung „Leben? Oder Theater?“.
Große Bühne für eine große Künstlerin
Jennifer Roger, begeistert von der Ausstellung, beschloss auf der Stelle, Charlotte Salomon auch nach Schliersee zu bringen. Aber es sollte mehr werden als eine Lesung, eine Hommage vielmehr an die hochbegabte Künstlerin, deren Leben so früh und so mörderisch endete. Und so holte sich Roger einige weitere Akteure mit ins Boot: die Freundin Britta Kögl, die mit dem „oiden Büro“ auch gleich einen wunderbaren Veranstaltungsort organisierte, den Musiklehrer Markus Zellinger sowie Marianne Gmelin. Alle machten begeistert mit, um Charlotte Salomon eine Bühne zu geben: Britta Kögl moderierte, Marianne Gmelin verschaffte dem Publikum einen Überblick über biografische und zeitgeschichtliche Eckdaten, und Markus Zellinger begleitete mit Bach, Schumann, Mozart und Brahms nicht nur am Flügel, sondern gab mit „Tumbalalaika“ außerdem eine wunderbare jiddische Gesangseinlage.
Markus Zellinger am Flügel. Foto: mi
Das kurze Leben der Charlotte Salomon
Charlotte Salomons kurzes Leben ist ebenso beeindruckend wie beklemmend. 1917 in Berlin geboren, wächst sie in einer liberal-jüdischen, bürgerlichen Familie auf, in der die Schwermut zu Hause ist und in der sich die Suizide häufen — auch Charlottes Mutter begeht Selbstmord. Charlotte selbst lebt in ihrer eigenen Welt, findet schwer Kontakt zu anderen; einige Menschen jedoch — das Kindermädchen, die Stiefmutter, der Gesangslehrer der Stiefmutter — sind prägend für sie. Auf einer Italienreise mit den Großeltern findet sie den Weg zur Kunst und beginnt zu malen. Sie hat Talent, enormes Talent, und das Malen wird zur Obsession. 1936 bewirbt sich Charlotte an der Kunstakademie, wo ihr Talent erkannt und sie — trotz ihrer Herkunft — aufgrund eines ihr wohlgesonnenen Professors aufgenommen wird. 1938 gewinnt sie den ersten Preis bei einem Kunst-Wettbewerb. Nachdem sie diesen als Jüdin jedoch nicht entgegennehmen darf, verlässt sie die Akademie.
Jennifer Roger (l.), Marianne Gmelin und Markus Zellinger am Flügel. Foto: mi
Inzwischen ist das Leben für Juden in Deutschland unerträglich geworden und auf Drängen des Vaters geht Charlotte nach Frankreich zu ihren Großeltern, die bereits 1933 emigriert sind. Sie malt dort wie besessen, und sie verwebt ihre Bilder mit Texten und Musik. Als habe sie gewusst, dass ihre Zeit knapp bemessen ist, schafft sie innerhalb von 18 Monaten ein beachtenswertes, opulentes Werk. 1942 schließlich übergibt sie ihrem französischen Arzt Dr. Moridis einen Koffer mit den Worten: „Das ist mein ganzes Leben.“ Kurz darauf heiratet sie einen österreichischen Emigranten, den sie in ihrem französischen Exil kennenlernt. 1943 wird das Ehepaar denunziert, in das Sammellager Drancy gebracht und schließlich nach Auschwitz deportiert, wo die 26jährige Charlotte, im fünften Monat schwanger, sogleich nach der Ankunft ermordet wird. Der Koffer, versteckt von Dr. Moridis, überlebt, und damit Charlotte Salomons Leben in ihren Werken.
Poetisches Meisterwerk
Behutsam und mit sehr viel Einfühlungsvermögen zeichnet David Foenkinos das Leben der Charlotte Salomon nach. Beeindruckend ist jedoch vor allem die Sprache, die er findet, um der Künstlerin ein Denkmal zu setzen: Schnörkellos, Zeile für Zeile in kurzen Hauptsätzen, mit „Luft zum Atemholen“, wie Jennifer Roger anmerkt — da geht dem Leser kein einziger Satz verloren. Schon wegen dieser poetischen Sprache muss man dieses Buch einfach lesen.
Jennifer Roger gelang es, dieser Sprache gerecht zu werden. Mit zarter, zurückgenommener Stimme las sie Texte aus dem Buch und überlies Charlotte damit die Bühne.
Jennifer Roger (l.) und Marianne Gmelin. Foto: mi
„Ein kleines Wagnis war es ja schon“, sagt die Buchhändlerin, „die Biografie von Charlotte Salomon ist keine leichte Kost und ich war nicht sicher, ob das Thema angenommen wird.“ Ihre Sorge war unbegründet: Das „oide Büro“, dieser wunderbare Veranstaltungsraum, war mit zweiundfünfzig verkauften Karten komplett ausgebucht, jeder Platz war besetzt. Es ist eben ein Glücksfall, eine Buchhändlerin zu haben, die Weltliteratur nach Schliersee bringt.
Zum Weiterlesen: Meine Familie und ihr Henker