Christen in Syrien
Children Uni Syria. Foto: missio magazin
Zum Stephanustag
Am heutigen zweiten Weihnachtsfeiertag, dem sogenannten Stephanustag, wird an verfolgte Christen erinnert. Unser Beitrag befasst sich mit der christlichen Minderheit in Syrien, die sich um ihre Sicherheit unter islamistischer Herrschaft sorgt.
In einer Pressemitteilung von missio München heißt es: Zum Gedenktag hofft missio-Präsident Monsignore Wolfgang Huber auf eine historische Wende in der wechselvollen Geschichte der christlichen Minderheiten im Nahen Osten: „Die christlichen Gemeinschaften in Syrien gehören zu den ältesten der Welt. Ihre Diskriminierung und Vertreibung ist beispiellos und seit vielen Jahren von großem Leid getragen. Dieser Tage sind alle Augen auf Syrien gerichtet: Gelingt es, in einem von Instabilität und Extremismus geprägten Land eine neue Wertegemeinschaft in Politik und Gesellschaft zu installieren, die sich der Toleranz und dem friedlichen Miteinander verschreibt, dann kann das eine Blaupause sein für weitere Krisenregionen und vielen Christinnen und Christen unter Druck und in der Diaspora neue Hoffnung geben.“
Neue Zeichen für interreligiösen Dialog
Jetzt sei es an der Zeit, so der missio-Präsident, neue Zeichen zu setzen für den interreligiösen Dialog – und damit auch für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit. „Die Machthaber in Syrien müssen erkennen, dass es ohne die Christinnen und Christen keinen Frieden und auch keinen Wohlstand für das Land geben wird.“ Dazu sei es wichtig, dass sich auch Deutschland mit all seinen Möglichkeiten anbiete, diesen Prozess zu unterstützen.
„Christen gehören zu Syrien“
missio-Präsident Huber erinnert auch an das verheerende Erdbeben, das vor knapp zwei Jahren großes Leid über die Menschen in der Region gebracht hat. Bis heute sitze der Schrecken tief, noch immer werde wichtige Aufbauarbeit geleistet. „Die Kirche wird in Aleppo mehr denn je gebraucht. Christen gehören zu Syrien. Sie sind der Gemeinschaft eine Stütze und geben ihr eine Perspektive, wo es scheinbar keine gibt. Wir beten für die Menschen in Aleppo.“
Dazu passt ein Interview, das unser Autor Christian Selbherr im missio magazin 4/2024 veröffentlichte:
Als sie sich im Frühsommer 2024 zu Besuch in München aufhält, bekommt Carla Audo regelmäßig Anrufe aus ihrer Heimat Aleppo. ,,Du kommst aber schon wieder zurück, oder?“, fragen die Leute. Das Thema Auswanderung beschäftigt alle im Krisenland Syrien – und nach dem schweren Erdbeben 2023 hat sich die Lage in Aleppo und Umgebung noch weiter verschärft. Seit Anfang Dezember 2024 sind die Kämpfe um Aleppo wieder aufgeflammt.
Carla Audo. Foto: privat
CS: Die christliche Minderheit in Syrien wird immer kleiner. Aber Sie sagen: Es gibt uns noch!
CA: Als der Krieg begann, sind die Menschen vor Verzweiflung quasi erstickt. Todesangst trieb die Menschen außer Landes, wir erlebten riesige Auswanderungswellen. In diesem Umfeld wurde unser „Christian Hope Center“ 2018 in Aleppo gegründet. Wir kämpfen dafür, dass christliche Familien in Syrien bleiben können. Wenn wir unsere Familien beschützen können, dann wird es auch eine Hoffnung für uns Christen in Syrien geben. Es ist ganz einfach: Wenn es keine Arbeitsplätze gibt, keine Freizeitaktivitäten, kein Familienleben – dann sehen die Menschen nur einen Ausweg: die Auswanderung.
Hilfsprogramme
CS: Dem wollen Sie entgegenwirken.
CA: Ja, wir haben derzeit sechs verschiedene Hilfsprogramme, zum Beispiel geben wir finanzielle Unterstützung an bedürftige Familien, und wir fördern kleine Geschäfte und Unternehmen – das sind zum Beispiel Ladenbesitzer, die ihr Geschäft während des Krieges verloren haben und jetzt wieder neu anfangen möchten. Seit 12 Jahren sind wir von Nothilfe abhängig – und trotzdem hat sich in manchen Bereichen nicht viel getan. Wir suchen nach neuen Ideen.
CS: Dabei zielen Sie besonders auf die jüngere Generation ab.
CA: Wir sorgen dafür, dass Schüler und Studierende Räume bekommen, in denen sie lernen können. Das scheitert oft schon daran, dass es nur zwei Stunden Strom am Tag gibt. Den Rest muss man mit Diesel-Generatoren bereitstellen. Das kostet viel Geld. Und unsere Hilfe erstreckt sich neben Aleppo, Homs und Damaskus auch auf andere Gebiete.
Christen kämpfen ums Überleben
CS: Wo zum Beispiel?
CA: Die Mehrheit der christlichen Familien lebt jetzt in ländlichen Regionen. Sie kämpfen dort ums Überleben. Wir helfen ihnen mit Wasserpumpen, mit Solarpanelen und anderen Dingen. Jedes Dorf hat andere Probleme, aber das größte ist immer die Wasserversorgung. Sie müssen sehr tief graben, um einen Brunnen anzulegen. Und wenn Wasser gefunden wird, fehlt oft das Benzin für eine Pumpe, um das Wasser nach oben zu bringen. Die meisten dieser christlichen Dörfer bekommen keinerlei Hilfe, auch nicht von den Vereinten Nationen.
CS: Warum bleibt dort die Hilfe aus?
CA: Wenn wir uns das Ausmaß an Gefährdung, an Armut anschauen, dann sind wir Christen vielleicht nicht die am stärksten betroffene Gruppe. Es gibt andere, denen es noch schlechter geht. Aber auch, wenn wir nicht in Flüchtlingszelten hausen, so gibt es doch eine Menge Schwierigkeiten für uns. Sie sind nur nicht sofort sichtbar. Wir sind schon lange eine Minderheit gewesen, und die Lage wird jetzt deutlich schlechter durch die hohe Auswanderung.
Children Uni Syria. Foto: missio magazin
CS: Was hat sich durch das schwere Erdbeben vom Februar 2023 verändert?
CA: Wir waren überhaupt nicht darauf vorbereitet – obwohl wir eigentlich seit 12 Jahren daran gewöhnt sind, dass wir Nothilfe leisten müssen. Kirchen haben als erste ihre Tore geöffnet und Notquartiere eingerichtet. Schon ab der ersten Woche nach dem Beben haben wir den Überlebenden mit warmem Essen geholfen – diese Hilfe läuft bis heute weiter. Wir haben inzwischen 230 Häuser wieder reparieren können.
CS: Wie erinnern Sie sich an diesen Tag?
CA: Das Erdbeben begann ziemlich früh am Morgen, gegen 4 Uhr. Diese Minute, die das Beben dauerte, war die längste Minute meines Lebens. Ich war im 4. Stock unseres Hauses, als die Wände zu „tanzen“ anfingen. Innerhalb weniger Sekunden liefen wir alle auf die Straße hinaus. Meine Eltern und mein Bruder schliefen noch, ich musste sie aufwecken und wir liefen hinaus. Zum Glück ist das Haus nicht eingestürzt und es hat keine größeren Schäden davongetragen. Aber wir sind bis heute nicht wieder eingezogen. Wir haben zwei Monate in Notunterkünften verbracht, dann sind wir ins Haus meiner Großeltern gezogen. Ich kann mir nicht vorstellen, jemals wieder in einem 4. Stock zu wohnen!
Erdbeben zerstörte Existenz
CS: Viele Häuser wurden an diesem Tag komplett zerstört. Was bedeutet das für die Menschen?
CA: Für die Generation meiner Eltern gehört es zu den wichtigsten Dingen in ihrem Leben, dass sie ein eigenes Haus besitzen. Und wenn es noch so klein ist! Wenn diese Häuser jetzt zerstört oder beschädigt sind, dann haben sie auch das Letzte verloren, was sie noch im Land gehalten hat. Jetzt verkaufen sie ihre Häuser, und sie bekommen gerade noch genug Geld dafür, um sich damit die Emigration zu leisten. Und wer kein Haus mehr hat, der hat auch nichts mehr, wohin man zurückkehren kann.
Die Christen kamen vor allem aus der Mittelschicht. Jetzt haben wir so gut wie keine Mittelschicht mehr. Es gibt entweder die Superreichen, die während des Krieges noch reicher geworden sind. Oder die Armen, die sich die Auswanderung nicht leisten können.
CS: Hat sich dieser Trend jetzt, fast zwei Jahre nach dem Erdbeben, fortgesetzt?
CA: Ja, nach dem Erdbeben sind die Menschen zu Hunderten ausgewandert, manchmal waren es im Durchschnitt zehn Familien jede Woche. Auch mein eigener Bruder ist schon gegangen, er lebt jetzt in Armenien. Kanada ist ein weiteres Ziel, für das sich viele Menschen aus Syrien entscheiden.
Junge Christen gehen weg
CS: Was sind die Folgen?
CA: Wir verlieren unsere Jugend. Junge Menschen machen den größten Anteil an den Auswanderern aus. Das Durchschnittsalter der verbliebenen Christen in Syrien liegt heute schon bei 47 – das heißt, es bleiben vor allem die Älteren zurück. Wenn wir nichts dagegen tun, dann werden wir bald ganz verschwunden sein. Für jeden jungen Christen und jede junge Christin ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis sie weggehen. Das hat mehrere Gründe, und manchen Realitäten müssen wir uns einfach stellen.
CS: Welche sind das?
CA: Zum Beispiel der Wehrdienst. Der ist für junge Männer verpflichtend – wer den Dienst antritt, weiß oft nicht, wann er wieder entlassen wird. Manche bleiben zehn oder zwölf Jahre in der Armee. Viele wandern aus, um dem Militärdienst zu entgehen. Eine weitere traurige Wahrheit: Praktisch jeder, der Medizin studiert, belegt gleichzeitig auch Deutschkurse. Sie wissen, dass in Deutschland Ärztinnen und Pflegepersonal gesucht werden und sie eine Chance haben, nach Deutschland zu kommen. Ich kann niemanden verurteilen, weil er ein besseres Leben für sich erhofft. Aber für uns wird die Lage damit nur noch schwieriger.
Lage ist komplex
CS: Die Lage ist auch deshalb so schwierig, weil viele Mächte am Werk sind – politisch, religiös, militärisch. Wie haben sich die Christen hier positioniert?
CA: Es stimmt, die Lage ist sehr komplex. Deshalb gibt es auch keine einheitliche Meinung unter den Christen. Aber was so gut wie alle sagen werden: Die internationalen Sanktionen treffen wirklich jeden einzelnen Menschen in Syrien. Und leider treffen sie die ärmeren Menschen viel heftiger, als diejenigen, für die diese Sanktionen eigentlich gedacht waren.
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