Christian Rohlfs Weg in die Abstraktion
Kurator Michael Beck präsentiert Christian Rohlfs. Foto: IW
Ausstellung am Tegernsee
Ein zu Unrecht in Vergessenheit geratener Künstler und unterschätzter Wegbereiter für die Moderne der Nachkriegszeit und des Informal war Christian Rohlfs. Die neue Sonderausstellung im Olaf Gulbransson Museum rückt den Künstler aus dem Schatten ins wohlverdiente Licht. Etwa 60 Werke aus Privatbesitz zeigen die Komplexität seines Schaffens – vom Naturalismus über Impressionismus, Pointillismus und Expressionismus in die Abstraktion.
Über 400 Bilder Christian Rohlfs (1849 bis 1938) entfernten die Nazis als „Entartete Kunst“ aus Museen und Sammlungen und den Künstler selbst posthum – ein halbes Jahr nach seinem Tod im Jahr 1938, er war bereits 88-jährig – aus der Preußischen Akademie der Künste. Wer war der einst hoch angesehene und dann diffamierte Künstler, dessen Namen heute viel zu wenige Menschen kennen? Dessen Werke in den Archiven vieler Museen, aber nur vereinzelt sichtbar in Sammlungen hängen – kaum jedoch der vollständige Bogen einer über 70 Jahre währenden künstlerischen Schaffensperiode?
Christian Rohlfs „Reethäuser hinter Bäumen“ entstand 1899. Foto: © Hubertus Melsheimer
In den 1920er-Jahren galt Christian Rohlfs als bedeutendster Vertreter der Klassischen Moderne. 1929 wurde in Hagen sogar ein Museum nach ihm benannt, das erste Museum Deutschlands, das einem Maler zu dessen Lebzeiten gewidmet wurde. „Es ist an der Zeit“, ist Michael Beck überzeugt, „den Künstler wieder einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren.“ Der Vorsitzende der Olaf Gulbransson Gesellschaft und international angesehene Galerist zeigt ein feines Gespür für den richtigen Zeitpunkt – und folgt bedingungslos seiner Liebe zur Malerei. Gerade noch blickt er zurück auf die erfolgreichste der letztjährigen Ausstellungen: „Nach Chagall mit 17.000 Besuchern 2021 haben wir nicht gedacht, dass sich das noch toppen lässt.“ Die Chagall-Ausstellung hatte das Museum aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Gerhardt Richter lockte in diesem Jahr schließlich knapp 20.000 Besucher in das kleine Olaf Gulbransson Museum an den Tegernsee: „Am letzten Tag hatten wir allein 444 Gäste“.
Azurblauer Himmel über Christian Rohlfs „Weg zum Hügelhaus“, 1921. Foto: © Privatsammlung
Es sei ein langer Prozess, das Museum in die Zukunft zu führen. Der erste Schritt: Weg von den Karikaturen in die freie Kunst und Malerei. Dann weiter aus der Klassischen Moderne über Impressionismus und Expressionismus in die Moderne schließlich zur Zeitgenössischen Kunst. „Unser Ziel ist es, Menschen zu überraschen“, so Michael Beck. Es gelingt immer wieder aufs Neue. Betritt man die Ausstellung, begegnet man zuerst einem der auffälligsten und zugleich rätselhaftesten Bildern Christian Rohlfs: „Das rote Männchen“. Mit diesem Titel gibt das Bild Anlass für Spekulationen wie gleichwohl Möglichkeit zu Interpretationsversuchen. Das rote Männchen scheint auf der Leinwand zu glühen. Es ist in kräftigen, expressiven Strichen mit Tempera gemalt und zieht mit seiner Lebendigkeit die Blicke der Eintretenden auf sich.
Starkes Spätwerk Christian Rohlfs
Das Œuvre des Künstlers sei insofern außerordentlich spannend, als sich seine Vielfalt und Entwicklung über die sieben Schaffensjahrzehnte in ihrer Qualität steigert. Damit bilde er eine Ausnahme unter den Expressionisten, die meist Autodidakten waren und deren Spätwerk oft schal und schwach wurde. „Bei Rohlfs ist es genau umgekehrt“, so Michael Beck. Er sei akademischer Künstler gewesen und er hätte sich dann unabhängig und abseits der großen Zeitströmungen weiterentwickelt: „Rohlfs ließ sich inspirieren von unterschiedlichen avantgardistischen Strömungen und Maltechniken wie eigenen Entdeckungen und schuf vor allem ein äußerst visionäres, spektakuläres Alterswerk.“
Weg in die Abstraktion: „Hügellandschaft mit tiefstehender Sonne“ (1911) und „Funkelnder Berg“ (1930). Foto: IW
Die Ausstellung folgt nahezu chronologisch dem Schaffen, das die Bereiche Natur- und Landschaftsmalerei, häufige Blumenmotive sowie auch biblische Motive umfasst. Unterbrochen wird der Parcours durch Blickachsen, die die Aufmerksamkeit auf neue Aspekte lenken und spannende Entdeckungen ermöglichen. So ist die „Magnolienwand“ dem offenen und meditativen Spätwerk des Künstlers mit Landschaften des Tessins gegenübergestellt. Die „Chinesische Landschaft (im Tessin)“ und weitere Werke scheinen geradezu, wie der Künstler selbst, der Welt den Rücken zu kehren.
Christian Rohlfs Tessiner Landschaften. Foto: Stefan Schweihofer
Weimar – Ascona – Hagen
Die drei Städte im Ausstellungstitel widerspiegeln die signifikanten Phasen in der künstlerischen Entwicklung Rohlfs. Als Sohn mittelloser Kleinbauern war ihm die Künstlerkarriere nicht in die Wiege gelegt. Sein Talent wäre möglicherweise der Welt und sogar ihm selbst unentdeckt geblieben, hätte ihm nicht nach einem Unfall ein Krankenhausarzt zum Zeitvertreib Malzeug gegeben. Später, der junge Künstler war gerade an der großherzoglichen Kunstschule zu Weimar zugelassen, wurde sein Bein noch amputiert. Aber ein großartiger Maler war auf dem richtigen Weg, der ihn von Weimar nach Hagen und schließlich nach Ancona führte.
Christian Rohlfs „Steine in der Maggia“ entstanden 1937 im Tessin. Foto: © Privatsammlung
„Abgesehen von zahlreichen einzigartigen Werken, die Rohlfs schuf, nimmt sein im Tessin entstandenes Alterswerk als Krönung singulär seinen Platz in der Kunstgeschichte ein“, erläutert Michael Beck die Faszination an Christian Rohlfs, die es wiederzuentdecken gilt. Es sind insbesondere die Werke der späteren Schaffensphasen, die den Nazis missfielen – ebenjene, mit denen der Künstler den Weg in die Abstraktion beschritt. …und deren Impulse von den Künstlern der Nachkriegsmoderne und des Informel aufgegriffen und weitergeführt wurden.
Blumen nehmen einen zentralen Platz in Christian Rohlfs Werk ein – er malte „Rote Dahlien“ im Jahr 1930. Foto: © Privatsammlung
Die Ausstellung wurde von Michael Beck mit Unterstützung von Dr. Andrea Knop kuratiert. Folgt man ihrer Logik, passiert man Rohlfs naturalistische Landschaften, in denen bereits impressionistische Elemente anklingen, dann seine pastös-signifikanten Anlehnungen in den Pointillismus, Einflüsse von Monet und van Gogh und erlebt, wie sich nach und nach ein eigener, unverkennbarer Stil herausbildet. Blumendarstellungen zeigen nicht die duftige Lieblichkeit der Realität, sondern sind Mittel zum Zweck, expressionistische, ornamentale Verfremdungen, mit Borstenpinsel auf dickes Büttenpapier aufgetragen und kraftvoll wieder herausgebürstet.
Werke aus Privatbesitz
Das strikte Konzentrieren auf Landschaft und vereinzelte Stillleben der profansten Objekte wie Steinhaufen oder Porree gleicht einer inneren Immigration – insbesondere später unter der Naziherrschaft, der sich Rohlfs nicht beugen will, als er dazu aufgefordert wird, die Akademie zu verlassen. Das letzte Bild der Ausstellung mit dem mysteriösen Namen „Freund Hein“ zeigt den Tod mit Zylinder. Es entstand im Jahr Hitlers Machtergreifung 1933. Zufall oder Statement?
Wiederum hat der Galerist und Vorstandsvorsitzende der Olaf Gulbransson Gesellschaft die Ausstellung aus Privatbesitz zusammengetragen. „Werden sie im Februar abgehängt“, so Michael Beck, „gehen sie quasi direkt zurück in die privaten Wohn- und Schlafzimmer der Sammler“. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal des Museums und ausschließlich seinen Kontakten als Galerist zu verdanken. Eine Begegnung mit der Witwe von Christian Rohlfs hinterließ bei ihm, damals noch Branchenneuling, tiefen Eindruck: „Sie war eine direkte, unmittelbare Verbindung zum Impressionismus!“
Michael Beck eröffnete am Samstag die Christian Rohlfs-Ausstellung. Foto: Stefan Schweihofer
Christian Rohlfs wiederentdecken
Die Messlatte hängt nicht erst seit der letzten, der Richter-Ausstellung hoch, und mit Christian Rohlfs präsentiert das Museum jetzt einen weniger bekannten Künstler. Andererseits haben die Aufmerksamkeit und Anerkennung durch die letzten Ausstellungen das Museum in eine neue Liga katapultiert, in der man einen ausgezeichneten Ruf hat, einen so mutigen wie visionären Schritt gehen zu können. Wer weiß, vielleicht löst Tegernsee damit einen neuen Christian Rohlfs-Hype aus? Es wäre dem Olaf Gulbransson Museum wie auch dem Künstler sehr zu gönnen.
Auch von Außen und treppab ein Hingucker: Das rote Männchen. Foto: IW
Mit dem Wachstum in eine neue Liga muss auch die ganze Infrastruktur des Museums mitwachsen. Vor Ausstellungsstart konnte eine neue Lichtanlage installiert werden. Sie ermöglicht es, alle Bilder einzeln und individuell auszuleuchten – ein Quantensprung in der Qualität der Präsentation. „Das wäre nicht möglich ohne zwei neue ehrenamtliche Mitglieder im Vorstand, die bei technischen und organisatorischen Arbeiten unterstützen: Hermann Sperber und Helmut Kowoli“, resümiert Michael Beck. Die nötigen 70.000 Euro für die Lichtanlage konnte über die Mitglieder der Olaf Gulbransson Gesellschaft aufgebracht werden – ein Glück, dass den Vorsitzenden der Olaf Gulbransson Gesellschaft noch immer staunen lässt.
Zur Vernissage am vergangenen Samstag strömten zahlreiche Gäste. Foto: Stefan Schweihofer