Q wie Kuh – natürlich
Der Maler und sein Modell – der Künstler und Autodidakt Christian Stadelbacher fotografiert, malt und sammelt Kühe in jeder Lebenslage. Und stellt die Frage nach der Lebensqualität. Foto: Anja Gild
Ausstellung in Bad Tölz
Tierische Leidenschaft: Der Maler Christian Stadelbacher liebt Kühe in jeder Art. In der Ausstellung „Natürlich“ im Tölzer Stadtmuseum entsteht ein Spannungsfeld zwischen tierischer Natur und menschlicher Dekadenz. Ein Gespräch über seine Beziehung zu Kühen, Lebensqualität und Milch im Tetra Pak.
Am Ende seiner Performance hat Christian Stadelbacher den Ausstellungsraum im Tölzer Stadtmuseum in eine sterile Milchproduktionshalle verwandelt: Ein Großteil der knapp 40 Besucher seiner Vernissage war in weiße Hygienekleidung, Überschuhe und Kopfhauben gehüllt. Unwirklich, unnatürlich, irgendwie futuristisch das ganze Szenario. Und das inmitten der Ausstellung „Natürlich“, die der Künstler unter der kuratorischen Aufsicht von Elisabeth Hinterstocker eröffnete. An den Wänden Bilder, überwiegend Öl auf Leinwand, mit Kühen in jeder Form, meist Köpfe ganz nah, aber auch Kuhgruppen auf Weiden mit Wasserbanzen. Dazwischen Kate Moss oder Cutti, das rosa Kalb, mit Schmucksteinen verziert – entlang der Schnittlinien des Metzgers. Schnell wird klar: Dem Autodidakt Stadelbacher geht es um ein Spannungsfeld. Hier die Kuh, Inbegriff der Natürlichkeit und Lebensqualität – dort die Entfremdung, das Künstliche. Hier das Tier – dort der Mensch. Die einfühlsame Zithermusik, gespielt vom Schuster Hans Obermeier aus Valley, unterstrich den Kontrast der Welten, die hier aufeinanderprallten.
Herr Stadelbacher, warum die Kuh und nicht das Pferd, das Schwein, das Schaf oder die Ziege?
Kühe sind meine Seerosen. Claude Monet hat die Seerosen in seinem Gartenteich gemalt. Wenn ich auf meinem Balkon stehe und hinausschaue, sehe ich Kühe. Ich finde, zeitgenössische Kunst macht nur dann Sinn, wenn man sich mit dem auseinandersetzt, was einen umgibt. Irgendwann habe ich eine Berliner Familie beobachtet. Da sagte die Mutter zu ihrem Sohn: „Guck, det sind die Kühe, det sind die Berge, det is Bayern.“ Das ist das zentrale Thema hier. Kühe und Berge macht Bayern aus. Und das umgibt mich.
Dank der Freilaufställe, die wie Pilze aus dem Boden schießen, verschwinden die Kühe aus unserer Kulturlandschaft.
Das stimmt. Die Tiere verschwinden meist hornlos in den Laufställen. Ich glaube deshalb auch, dass ich der letzte Kuhmaler bin. Diese in der Renaissance begonnene Landschafts- und Tiermalerei beende ich gerade, zumindest, was die Kuh angeht. Nicht, weil ich was Besonderes mache, sondern weil das Motiv nicht mehr da ist. In Oberbayern sieht man wenigsten noch ein paar Kühe, aber ich glaube, da geht was still zu Ende. Damit es nicht ganz so still ist, male ich.
Kuh küsst Betrachterin – Stadelbacher bedauert, dass die Kühe meist hornlos in riesigen Freilaufställen verschwinden. Stattdessen: das Horn in der Ausstellungsvitrine. Foto: Anja Gild
Apropos hornlos, man sagt, dass die Milch von Kühen mit Hörnern anders und besser schmeckt als die Milch von Kühen ohne Hörner. Haben Sie diesen Unterschied schon einmal festgestellt?
Gehört habe ich das auch schon. Aber dazu müsste man eine Blindverkostung machen. Und das wird, meiner Kenntnis nach, nirgendwo angeboten.
Stehen Sie beim Malen eigentlich auf der grünen Wiese?
Nein, ich fotografiere die Szenerien und male dann in meinem Atelier. Ich mache oft mehr als 50 Aufnahmen von einer Szene und suche dann das Motiv aus.
Kommen Sie selbst aus dem ländlichen Raum oder sind Sie eher im städtischen Bereich aufgewachsen?
Ich bin in Freiburg geboren, bin da auch zur Schule gegangen. Meine Eltern hatten einen Bauernhof oben im Hochschwarzwald. In den Ferien war ich immer auf dem Hof. Ich bin sozusagen ein Freizeit-Ländler. Es gab auf dem Hof eine Kuh namens Rosa, die hat mich 16 Jahre lang begleitet und sie hat immer sehr aufmerksam zugehört. Das war schon was Besonderes.
Diese Kuh Rosa – war das die Kuh, die Ihre Liebe zu den Kühen ausgelöst hat?
Ich habe eine sehr große Zuneigung zu den Kühen, aber ich kann nicht sagen, woher das kommt.
Sie sagen, dass die Kuh die Seele berührt. Was löst dieses Tier in Ihnen aus?
Wenn ich spazieren gehe und ich begegne einer Kuh, sie kommt, schaut mich an, dann passiert in mir etwas. Ich kann es eigentlich gar nicht genau definieren oder beschreiben. Ich wünsche Ihnen jedenfalls, dass Sie dieses Gefühl erleben könnten.
Q wie Kuh – am Ende der Performance reduziert Christian Stadelbacher die Kuh auf ein Q wie (Lebens-) Qualität. Spontan gepinselt, handsigniert. Foto: Anja Gild
Gibt es eine irgendeine Schlüsselszene, eine Begegnung mit Kühen, die dieses Gefühl ausgelöst hat? Eine Szene, die Ihnen für immer in Ihrer Erinnerung bleiben wird?
Kein Schlüsselerlebnis. Aber die Kuh steht in einem direkten Zusammenhang mit der Landwirtschaft. Und wenn ich mit Landwirten ins Gespräch komme, dann erfahre ich sehr viel Hoffnung. Ich begegne unheimlich gescheiten Leuten, die ganz still vor sich hinarbeiten und nach Wegen suchen, wie man das Problem der Ernährung und der Autarkie in diesen wirren Zeiten lösen kann.
Für Sie ist die Kuh etwas sehr Lebendiges, sehr Elementares.
Unbedingt! Landwirtschaft ist die Urform des Wirtschaftens. Alles, was wir in der Betriebswirtschaft oder Volkswirtschaft an Modellen entwickelt haben, hat ihre Urgründe in der Landwirtschaft. Die ursächlichste Landwirtschaft funktioniert wie ein Perpetuum mobile. Man benutzt ein Stück Feld, bepflanzt es im nächsten Jahr so, dass wieder etwas anderes wächst. Der Boden selbst erschöpft ja nicht. Wenn man mit dem Boden richtig und vorsichtig umgeht, ist der Boden eine endlos sich ergebende Quelle.
Haben Sie eine Sehnsucht nach dem Ursprünglichen?
Gerhard Polt hat mal gesagt, dass der Mensch wie ein Mülleimer isst. Diese Aussage hat mich wachgerüttelt und ich habe begonnen, auf gesunde Ernährung zu achten. Bei gesunder Nahrung hüpft jede Zelle im Körper. Es freut sich alles in einem. Das ist das Einfache. Und die Kuh steht für das Einfach, das Ursprüngliche, für das Authentische.
Im Berufsleben arbeiten Sie als Trainer im Bereich Individual- und Teamentwicklung. Spielt in Ihrem Beruf die Kuh und alles, was Sie damit verbinden, eine Rolle?
(Lacht)Ein buddhistischer Lama hat mal zu mir gesagt, das einzige, was Du wirklich musst ist, wie die Kuh fressen, scheißen, saufen, atmen. Oftmals, wenn ich heute in Unternehmen über Kreativitätsentfaltung spreche oder mit Menschen in Kreativitätsworkshops arbeite, dann denke ich, mein Gott, was treibt die Leute eigentlich!?
Die Kuh ist also als Sinnbild für Einfachheit und Ruhe in einer komplexen Welt?
Ja, es ist sehr ruhig. Man kann wunderbar entspannen, wenn man auf einer Bank sitzt und Kühe beobachtet.
Christian Stadelbacher malt nicht nur Kühe, sondern alles, was dazugehört. Auch Kuhmilch im Tetra Pak. Eine Hommage an Andy Warhols Suppendosen. Foto: Anja Gild
Welche Vorbilder für Ihre Tiermalerei haben Sie? Beispielsweise Heinrich von Zügel?
Natürlich habe ich Vorbilder. Kunst zu machen ohne sich mit Kunst zu beschäftigen, das macht keinen Sinn. Gaultier zum Beispiel (Er deutet auf das Bild „Kate Moss“ nach einer Fotografie von Gaulthier“, Anm. d. Red.). Edvard Munch hat mit dazu inspiriert, das berühmte Motiv „Der Schrei“ in Gestalt einer Kuh darzustellen. Da hinten (er deutete auf eine gemalte JA!-Milchtüte, Anm. d. Red.) sehen Sie Andy Warhol als Vorbild, die Milchtüte als eine Hommage an seine Suppendose.
Wieso die JA!-Tüte?
Ich finde es faszinierend, dass uns die Industrie schon sagt, wozu wir JA! sagen sollen.
Zurück zu Ihren Vorbildern…
Natürlich orientiere ich mich an Malern wie Zügel. Aber ich glaube, dass sie handwerklich sehr viel sauberer waren. Zeitgenössische Kunst muss weniger im Handwerklichen ansetzen. Es ist ja schon jedes Bild gemalt. Es geht eher um die Auseinandersetzung mit dem Moment, dem Jetzt und mit den Rahmenbedingungen. Und zu viel Perfektion macht auch etwas kaputt. Tizian ist beispielsweise einer meiner ganz besonderen Freunde. Als er das Bild „die Häutung des Marsyas“ gemalt hat, da sitzt er im Bild daneben und beobachtet ganz fasziniert diese Szene. Und bei diesem Bild geht es darum, dass Halbgöttliches oder Sterbliches sich über das Göttliche erheben will. Wenn man versucht, gottgleiche Perfektion zu erreichen, dann endet das meistens im Tod oder im Martyrium. Es geht mir nicht immer um Perfektion, sondern um Lebensqualität.
Hat das Stichwort Lebensqualität mit der Ausstellung zu tun?
Ja, der Titel dieser Ausstellung ist „Natürlich“. Und das hinterfragt diesen Begriff – was ist denn schon natürlich? Ich male abstrakt, so sehe ich meine Bilder. Andere sehen dies anders, sie sagen, ich bilde die Natur ab. Also, was ist natürlich? „Natürlich“ bedeutet für mich Lebensqualität.
Würden Sie gerne selbst eine Kuh bei sich zuhause halten?
Das möchte ich der Kuh nicht zumuten (lacht).
Herr Stadelbacher, vielen Dank für das Gespräch.