Comeback für den President of the Heart?
Vor dem Vortrag: Wilhem Vossenkuhl, Christian Wulff, Korbinian Kohler (v.l.). Foto: MZ
Vortrag in Weissach
Mit seinem beeindruckenden Vortrag „Gewinnen in der Niederlage“ machte Bundespräsident a.D. Christian Wulff im Rahmen des Korbinians Kollegs im Hotel Bachmair Weissach Mut, Niederlagen als Chance zu begreifen und rief gleichzeitig zum politischen Engagement auf.
Das Thema, so führte Hotelier Korbinian Kohler in den Abend ein, sei Christian Wulff auf den Leib geschneidert, er habe beruflich und privat Krisen gemeistert. Er habe ihn als besonders empathischen Menschen kennengelernt, der sich Zeit für die Menschen nehme. So habe er ihm während der Pandemie, als seine Existenz auf dem Spiel stand, immer wieder gecoacht.
Hotelier Korbinian Kohler. Foto: MZ
Auch Kurator Wilhelm Vossenkuhl fand warme Worte der Anerkennung. Christian Wulff habe in den zwei Jahren als Bundepräsident mehr geleistet als so mancher Amtsbruder in zwei Legislaturperioden. Ihm sei ein Schub beim Thema Integration und Dialog der Religionen zu verdanken und so habe er auch zahlreiche Preise für diese Themen erhalten. Als President of the Heart bezeichnete er den Politiker, der auch heute noch politisch aktiv ist.
Philosoph und Kurator Wilhelm Vossenkuhl. Foto: MZ
An einem der schönsten Orte Deutschlands so eingeführt zu werden, das sei ihm noch nicht oft passiert, bedankte sich ein offensichtlich entspannter Christian Wulff und startete seinen Vortrag mit einer kritischen Betrachtung zum Semesterthema des Korbinians Kollegs „Krisen“.
Man höre oft, es müsse besser werden, aber nur gelegentlich, dass man dafür auch etwas tun müsse. Der Politiker holte weit aus bis ins Jahr 1923 und zeigte auf, dass jede Zeit ihre Herausforderungen hatte und manche bedeutend größer als heute. „Die Lage ist gut, aber die Stimmung ist mies“, fasste der Redner zusammen.
Bundespräsident a.D. Christian Wulff. Foto: MZ
Die größte Gefahr sehe er darin, dass es eine zunehmende Entfremdung zu den Entscheidungsträgern gebe, mehr Nichtwähler und weniger Mitglieder in politischen Parteien. Ein Drittel der Bevölkerung sei der Meinung, dass wir in einer Scheindemokratie leben. „Wir sind nicht nur von außen, sondern auch von innen gefährdet“, mahnte er.
Es brauche mehr Demokraten, aber es gebe zu viele von denen, die nur wissen, wie es besser zu machen ist. Oberstes Ziel müsse es sein, die Freiheit zu verteidigen. Aber sogenannte alternative Fakten, Überheblichkeit, Nationalismus und die Gefahr von Radikalismus würden zunehmen. Internet und digitale Kommunikation förderten die Spaltung der Gesellschaft.
Menschen, die sich ums Ganze kümmern
„Was brauchen Menschen, die sich um das Ganze kümmern?“, forderte Christian Wulff und ging zum zweiten Teil seines Vortrages über, in dem er fragte: „Was kann ich beitragen?“
Gewinnen, so sagte er, ist wunderbar. Dazu gehöre aber nicht nur eigene Genialität und Glück, sondern auch der Beitrag anderer Menschen. „Der Nobelpreis ist nicht das Ticket zum Glück“, konstatierte er. Er selbst habe mehrfach erfolglos kandidiert, so wie viele andere Politiker auch. „Die bekannteste Niederlage ist die von 2011 und 12“, dazu gebe es viele Bücher und es habe die mediale Welt beschäftigt. Einige wenige, die ihn damals ungerecht verletzten, hätten sich entschuldigt, die meisten indes nicht.
Christian Wulff. Foto: MZ
In seinem Buch „Ganz oben, ganz unten“ habe er die Verletzungen abgehandelt. Viele Menschen berichten, so der ehemalige Bundespräsident, dass sie bei Niederlagen ins Nachdenken gekommen seien. Zugrunde gehen, das bedeute auch, auf den Grund gehen, tief schürfen und eröffne die Chance, dass sich das Unterbewusstsein wieder freuen könne.
Das Leben ist eine Achterbahnfahrt
Da sei die Gewissheit, dass das Leben nicht so verlaufe, wie man es sich vorstelle. „Das Leben ist eine Achterbahnfahrt.“ Da sei aber auch die Überzeugung, dass Rückschläge und Krisen gelassen und resilient machen. Er empfehle, die Kindheitserinnerungen von Udo Lindenberg oder Hape Kerkeling zu lesen, er habe großen Respekt, wie sie ihre Hindernisse überwunden haben. Auch er habe früh Verantwortung übernehmen müssen, als er aufgrund der Erkrankung der Mutter, die jüngere Schwester betreuen musste.
Zur Überwindung der Hindernisse auf dem Lebensweg, so Christian Wulff, sind soziale Kontakte zu Familie und Freunden bedeutsam. So habe er in Gesprächen lernen dürfen, dass Verlust ein Gewinn sein kann, dann nämlich, wenn man das Ruder in der Hand behält, sich nicht zum Opfer machen lässt und nicht anderen die Macht über sich überlässt.
Die alte Weisheit der Großmutter „Alles ist für etwas gut“, sei wahr.
Die Glücksformel
Für ein gelingendes Leben empfahl Christian Wulff seine abendliche Glücksformel. Er buchstabiere das Wort „Glück“ als Akrostichon: G für geistige Erbauung, L für Liebe, Ü für überschäumende Lebensfreude, C für Commitment, also Verbundenheit und K wie Körperlichkeit und überlege, wie der Tag in diesen Kategorien verlaufen sei.
Er resümierte: „Alles lernen kommt von Verlusten“, mit Niederlagen erlebe man das wirkliche Leben. Letztlich forderte er, man möge das Wort Krise nicht inflationär benutzen, sondern eher etwas tun, insbesondere junge, kluge Menschen für die Politik gewinnen.
In der anschließenden Diskussion betonte Christian Wulff noch einmal, dass sich die Politik mit wirklich wichtigen Dingen befassen müsse und rief dazu auf, die Ärmel hochzukrempeln und etwas zu tun.
Nach dem Vortrag: Wilhelm Vossenkuhl, Korbinian Kohler und Christian Wulff (v.l.). Foto: MZ
Auf die Frage von Verleger und Publizist Wolfram Weimer, warum er nicht selbst in die Politik zurückkehre, das C in „Glück“ könne doch für Comeback stehen, betonte der Bundespräsident a.D.: „Meine Rolle bleibt aktiv im Hintergrund und nicht im Schaufenster.“ Das wäre nicht mit der Realität kompatibel. Er stehe aber als Mentor für junge Menschen zur Verfügung. „Ich bin da und bleibe da und alles ist gut.“
Zum Weiterlesen: Multiple Krisen: Wissen allein reicht nicht