Harte Tage, gute Jahre – ein Leben auf dem Geigelstein
Christiane Tramitz liest aus „Harte Tage, gute Jahre“. Foto: Ines Wagner
Lesung in Schliersee
Das Leben ist hart auf 1.600m Höhe. Warum hat Mare den Geigelstein über 70 Jahre nicht verlassen? Christiane Tramitz besuchte die alte Sennerin auf der Oberkaseralm drei Jahre lang. Ihre Romanbiografie erzählt das Schicksal einer bemerkenswerten Frau.
Ein junges Mädchen liegt 1938 frierend unter ihrer dünnen Wolldecke, das erste Tageslicht schimmert durch die Fenster. Eine alte Frau hockt 2009 frierend am Küchentisch, ihre Hütte von einer Lawine überrollt, es herrscht tiefschwarze Finsternis. Hier erwacht die erste Liebe in der 14-jährigen Mare. Dort lacht die 84-jährige Sennerin vor sich hin: „Eine Lawine, bloß Schnee?“, und streichelt die Katze. Die junge und die alte Mare – gelesen von Christiane Tramitz und Helmfried von Lüttichau im Wechsel, in Zeitsprüngen, so, wie das Buch konzipiert wurde. Gelesen auf der Gschwandbachalm in Schliersee, vor einhundert Gästen, mehr passten nicht hinein, die Lesung war ausverkauft.
Christiane Tramitz und Helmfried von Lüttichau. Foto: Ines Wagner
Christiane Tramitz lebt im Chiemgau, in der Nähe des Geigelsteins. Die Geschichte der Sennerin, die sich mit 17 entschied, auf die Alm zu gehen und sie nie mehr zu verlassen, fesselte sie sogleich. Der Geigelstein war Mares Schicksalberg. „Harte Tage, gute Jahre“ ist ein persönliches Buch geworden, denn ihm liegt eine echte, außergewöhnliche Lebensgeschichte zugrunde. Die Geschichte einer willensstarken Frau, die ihr ganzes Leben frei und selbstbestimmt verbracht hat. Im Gang der Jahreszeiten, im Gleichklang mit der Natur, in Demut und Bescheidenheit. Nur ein Flascherl Bier hat sie gern mögn, das war ihr einziger Luxus. Aber einsam war die Mare nie, sondern sogar sehr gesellig. Das durfte Christiane Tramitz bei ihren Besuchen oft erleben.
Christiane Tramitz liest. Foto: Ines Wagner
Zuerst hatte Mare nichts von dem Buch wissen wollen, schließlich zugestimmt: „Von mir aus, damit du Ruhe gibst.“ Nach und nach hat sich die Sennerin der Autorin geöffnet. Und sie hatten viel Spass miteinander. Nicht nur die Lawinengefahr bedrohte Mares Leben. Einmal wäre sie fast verbrannt, einmal fast erfroren. Trotzdem war sie nicht dazu zu bewegen, ihre Almhütte zu verlassen. Sie wollte da leben und sterben und basta. Schließlich erfüllte sich ihr Wunsch. Kurz nachdem das Buch erschien, schlief Mare 93-jährig friedlich ein.
Entbehrungsreiches, aber selbstbestimmtes Leben
Am Freitag auf der Gschwendneralm war die Sennerin mitten unter den einhundert lauschenden Gästen der Lesung. Auf behutsame, aufmerksame und respektvolle Weise hat Christiane Tramitz ihr Leben porträtiert. Die Romanform war eine bewusste Entscheidung aus Achtung vor Mare und ihren Angehörigen. Das Buch nimmt die Leser mit in eine längst untergegangene Welt der traditionellen Almwirtschaft, in eine unwirtliche Natur und ein entbehrungsreiches, aber selbstbestimmtes Leben einer starken Frau. Bemerkenswert war der Humor, mit dem sie Lawinen, Wasserrohrbrüche, Knochenbrüche, Frost und Hunger als Lappalien abtat.
Buchtrailer beschreibt Mare feinfühlig
Ebenfalls bemerkenswert ist das Video, das Stephan Guntli mit seiner machwerk Film- und TV-Produktion auf dem Geigelstein gedreht hat. Es war zunächst nicht als Buchtrailer gedacht. Die Fotos und Kurzsequenzen der Besuche in unterschiedlichen Jahreszeiten haben sich am Ende zu einem Bild gefügt, das uns von Marie Wiesbeck bleibt, die immer Mare genannt wurde.
Helmfried von Lüttichau leiht der alten Mare seine Stimme. Foto: Ines Wagner
Helmfried von Lüttichau lebt in Schliersee. Er kaufte ein Haus, das ehemals Christiane Tramitz‘ Großvater gehörte. Auch da verweben sich Familiengeschichten, wie im Roman. So kam es, dass er eines Tages in Patrick Edler von Hoessles Bücheroase in Schliersee stand. Er erzählte dem Buchhändler von der Romanbiografie. Und schließlich verlieh er der alten Mare seine Stimme: Brabbelte, schimpfte und fluchte munter vor sich hin, liebevoll mit den Katzen und Hennen, böse mit den Einbrechern und Terroristen. Eine perfekte Ergänzung zu Christiane Tramitz‘ Passagen des jungen Mädchens. Die Zitherhex und ihre Gitarrenbegleitung untermalten die Lesung musikalisch fein abgestimmt.
Buchcover. Foto: Knaur Verlag