Also sprach Zarathustra
Mit Philosoph Christoph Quarch in den Bergen bei Pontresina. Foto: Ines Wagner
Wandern und Philosophieren im Engadin
Die Wolken von Sils Maria
„Mut zur Größe – mit Nietzsche über sich Selbst hinauswachsen“ so der Titel des Seminars. Wir sind neun philosophisch interessierte Wandererlustige unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Berufe und Nationalitäten. Christoph Quarch will, dass wir uns an Nietzsche reiben, dass er uns unbequem ist, dass wir uns an ihm stören. Bis wir schliesslich begreifen, warum das so sein muss. Und was wir für uns daraus ableiten und mit nach Hause nehmen können. Friedrich Nietzsche wollte die Menschen dahin führen, dass sie inneres Wachstum zulassen und zu seelischer Größe finden. Bis dahin ist es aber ein steiniger Weg. Uns führt dieser Weg hinein ins Gebirge. Mit Aussicht auf die Seen im Tal, auf hohe schneebedeckte Gipfel, auf die Gletscher.
Rasten und Philosophierem mit Christoph Quarch. Foto: Ines Wagner
Dabei geht es über schmale, steile Pfade hoch hinauf. Unser Blick fällt in tiefe Abgründe. Genau wie bei Nietzsche. Im Rucksack tragen wir den „Zarathustra“. Und wann immer Christoph Quarch ein windschattiges Plätzchen findet, wird gelesen und philosophiert. Die Wolken über Sils Maria sind finster, es regnet nahezu immer. Das Wetter ist so gewaltig wie Nietzsches Gedanken radikal. Wir wandern, um Nietzsches Philosophie zu verdauen. Es ist eine raue „Höhenluftphilosophie“.
Der Philosoph mit dem Hammer
Der experimentelle Denker und Altphilologe Nietzsche, der erst nach seinem Tod angemessene Würdigung als Philosoph fand, verbrachte in Sils Maria mehrere Sommer. Hier hat er seinen Zarathustra ersonnen, einige seiner Bücher radikaler Lebensbejahung geschrieben. Zu den Wanderungen gibt es philosophische Einheiten im Seminarraum des Hotels. Wir studieren an diesem besonderen Ort seinen brillanten Geist. Nähern uns seinen Gedanken, seinem Leben. Auch in der Ausstellung des Nietzsche-Hauses. Dem Menschen und Psychologen Friedrich Nietzsche kommen wir näher in Pinchas Perrys Film „Und Nietzsche weinte“.
Es ist ein Herantasten von allen Seiten. Als Laie „Zarathustra“ zu lesen bedeutet, dass man Hilfestellung braucht, einen Schlüssel. Christoph Quarch bringt uns den Gedanken näher, den Nietzsche den Menschen „schenkte“. Den „Gedanke von der ewigen Wiederkunft des Gleichen“. Um dieses Gedankenexperiment zu denken muss man zuerst Nietzsches provokantesten Satz verstanden und angenommen haben: „Gott ist tot!“ Die Wortwahl ist für uns harter Tobak. Auch an den Worten „Übermensch“, „Untergang“, „Wille zur Macht“ und an Nietzsches scheinbarer Verachtung für die Menschen stören wir uns zunächst. Wir winden uns, weil wir etwas Freundlicheres, Gemäßigteres, weniger Radikales hören wollen.
Ihr höheren Menschen – lernt mir Lachen!
Wenn man aber Nietzsche zu verstehen beginnt, leuchtet ein, warum er sagt „Gott ist tot!“ Weil die Menschen aufgehört haben, an ihn zu glauben, existiert er nicht mehr. Und darum muss nun der Mensch sich selbst orientieren, eigene Maßstäbe setzen und Werte definieren. Kraft seines Wollens soll der Mensch zu seelischer Größe heranwachsen. Damit er zu jedem Augenblick „Ja!“ sagen kann und „Da capo!“ rufen: „Noch einmal!“
Philosophische Wanderung mit Christoph Quarch in Sils Maria. Foto: Ines Wagner
Nachdem wir wandernd auf unsere Gipfel hinauf und in unsere Abgründe hinab gestiegen sind, erfolgt am vierten Tag ein Aha-Erlebnis. Es ist der „Tag des Aufstiegs und der Selbstüberwindung“ und wir stehen wieder einmal durchnässt im Sturm auf einem Gipfel. Da ruft es aus uns heraus: „Regen!? Na und? Sturm? Ja! Und, da capo!“ Wir können es bejahen, weil wir es so gewollt haben!
Statt dessen hätten wir ja auch im Trockenen im Tal bleiben können. Das ist es, was Nietzsche von uns erwartete. Dass wir das Leben bejahen und zu jedem Augenblick sagen können: „So wie es jetzt ist, will ich es!“ Das bedeutet voll entfaltete Schaffenskraft, Lebendigkeit und Leidenschaft. Das ist Tanzen und Lachen! Dahin hat Christoph Quarch uns geführt, auf Nietzsches Spuren.