Beginn einer neuen Qualität in der Kommunikation?
Blick in die gut besuchte Veranstaltung. Foto: Petra Kurbjuhn
Open Space Veranstaltung in Warngau
Der Versuch, eine Annäherung zu schaffen, ist gelungen. Bei der mit etwa 60 Teilnehmenden gut besuchten Open Space Veranstaltung im Rahmen von „anders wachsen“ mit hochkarätigen Referenten kamen Befürworter und Kritiker der Corona-Maßnahmen, die uns nun seit drei Jahren beschäftigen, zu Wort.
„Corona – Ende der Kommunikation?“ so hieß die Veranstaltung, zu der KulturVision in den Warngauer Altwirtsaal eingeladen hatte. Wie konnte es dazu kommen, dass ein Virus eine Gesellschaft auseinanderdriften lässt? Viel wichtiger aber: Wie kommen wir wieder zusammen?
Als Referenten stellten sich dem Publikum Landrat Olaf von Löwis, der Ärztliche Direktor des Kreiskrankenhauses Agatharied Dr. Steffen Herdtle, Physiker, Patentanwalt und Mediator Dr. Klaus Beckord, der Redaktionsleiter des Miesbacher Merkur Stephen Hank und Wissenschaftskommunikator und Privatdozent an der TU München Dr. Marc-Denis Weitze. Nach einem kurzen Impulsreferat konnte das Publikum mit dem Referenten seiner Wahl in den direkten Austausch treten. Es folgte eine rege, teils auch aufgebrachte Diskussion an den einzelnen Tischen, deren Ergebnisse anschließend durch die Referenten im Forum vorgestellt wurden.
Angst als verbindendes Glied
In meiner Anmoderation fragte ich, wie es zur Polarisierung der Gesellschaft mit Denunziantentum, Nichtverstehenwollen und Aggressionen gegen Andersdenkende kommen konnte und nannte als verbindendes Glied der Menschen die Angst. Die einen hatten Angst zu erkranken, die anderen Angst vor der Impfung, Einschränkung ihrer Freiheit, wirtschaftlichem Desaster und vielen anderen Folgen der Pandemie.
Was Corona mit dem Einzelnen macht, hatte „anders wachsen“ im Projekt „Dokurona“ gesammelt und dargestellt. Zudem war das Thema „Corona und die Medien“ in zwei Zoom-Diskussionen im Herbst 2020 und Herbst 2021 diskutiert worden – jetzt aber sollte wieder in Präsenz, im Open Space Format, mit Experten geredet und gestritten werden.
Sachliche Kommunikation nötig
Landrat Olaf von Löwis betonte wie wichtig die Bereitschaft zum Zuhören und zur Kritikfähigkeit sei. Corona war für ihn ohne Präzedenzfall. Besserwisserei sei nicht angebracht. Er erklärte, wie seine Behörde die von oben hereingekommenen Vorschriften umsetzen, seinen Beratern vertrauen und einen Weg finden musste, dies der Bevölkerung zu kommunizieren. Dabei sei er einem Shitstorm und sogar Morddrohungen ausgesetzt gewesen. Er warb dafür, dass jeder seine Meinung hinterfragen müsse, um eine sachliche Kommunikation zu erreichen.
Landrat Olaf von Löwis in der Open Space Diskussion. Foto: Petra Kurbjuhn
Die Herausforderungen vor denen das Kreiskrankenhaus in der Pandemie und auch jetzt noch steht, erklärte Steffen Herdtle. Auch er suchte zu Beginn der Pandemie verzweifelt Wissen, klammerte sich an die Virologen. Die strengen Regeln, die dem Krankenhaus bis zum heutigen Tag auferlegt wurden, hätten Personal ebenso belastet wie Besucher und Patienten, sagte er. Bis heute habe das Krankenhaus 1300 Coronakranke behandelt, wovon 400 Patienten starben. „Meine Mitarbeiter haben sich der Gefahr ausgesetzt und mussten auch hören: Corona gibt es nicht“, konstatierte er. Und heute müsse das Personal sich nach wie vor testen und impfen lassen und Masken trage, während außerhalb Normalität eingekehrt sei.
Klaus Beckord. Foto: Petra Kurbjuhn
Die Sicht des kritischen Bürgers trug Klaus Beckord vor und als Mediator rief er dazu auf, diese Ängste ernst zu nehmen. Er benannte Fakten, die die Sichtweise der Kritiker unterstützt hätten. Ob Inzidenzen oder exponentieller Anstieg der Fallzahlen, bei genauem Hinsehen sei hier ebenso Kritik angebracht wie bei der Impfung, da die Impfstoffe nicht die notwendigen Zulassungstests durchlaufen hätten. „In der Mediationsausbildung heißt es, dass Konflikte nur zu regeln sind, wenn die zugrundeliegenden Ängste und Bedürfnisse und ihre Ursachen ausgeleuchtet werden. In diesem Sinne: Scheinwerfer drauf“, forderte er und leitete damit zum Impuls von Stephen Hank über.
Stephen Hank. Foto: Petra Kurbjuhn
„Wir sind unserer lokalen Leserschaft verpflichtet“, machte der Redaktionsleiter deutlich. Man habe am Anfang der Pandemie die Sorgen und Nöte der Menschen angehört und einen Austausch forciert. Später aber habe die Skepsis der Leser zugenommen, die immer wieder hinterfragt hätten, ob die Berichterstattung richtig sei. Man sei angefeindet worden, das Vertrauen habe gefehlt und die Menschen hätten sich gescheut, sich öffentlich zu äußern.
Marc-Denis Weitze. Foto: Petra Kurbjuhn
Das Grundproblem der Kommunikation zwischen Bevölkerung und Wissenschaft stellte Marc-Denis Weitze dar. „Wissenschaft ist unsicher und veränderlich, aber die Menschen wollen Sicherheit.“ Das betreffe die Frage nach Inzidenzen ebenso wie die Sicherheit von Masken. Was könne die Wissenschaft leisten, fragte er und betonte, dass Fakten und Meinungen streng getrennt werden müssen. Zudem müsse die Vielfalt an Informationen zugelassen werden. Er forderte echten Dialog und freute sich, dass das an diesem Abend gelingt.
Respekt und Vertrauen in der Kommunikation
In der Diskussion sei die Allianz zwischen Politik und Wissenschaft, sowie regierungsfreundlicher Journalismus angesprochen worden, informierte Marc-Denis Weitze.
Er habe in der Diskussion die geballte Wut über die überregionale Berichterstattung abbekommen und forderte mehr Sachlichkeit, Respekt, Vertrauen und einen Blick nach vorn, sagte Stephen Hank.
Steffen Herdtle in der Open Space Diskussion. Foto: Petra Kurbjuhn
Korruption, fehlendes Grundvertrauen, Forderung nach Transparenz seien die wichtigsten Themen an seinem Tisch gewesen, meinte Klaus Beckord.
Niemand dürfe in der medizinischen Behandlung stigmatisiert werden, resümierte Steffen Herdtle: „Wir behandeln jeden gleich.“
Der Landrat signalisierte Gesprächsbereitschaft: „Ich reiche die Hand und öffne meine Arme“, sagte er nach der Diskussion mit dem Publikum.
Fazit: „anders wachsen“ gab einen Anstoß zum Dialog, der dringend fortgeführt werden muss, um wieder mehr Vertrauen in Politik, Wissenschaft und Medien zu schaffen. Dazu bedarf es Transparenz ebenso wie Sachlichkeit und respektvollen Umgang – auf allen Seiten. Zudem scheint es wichtig zu sein, das Thema der Angst als verbindendes Glied in der Gesellschaft wissenschaftlich näher zu erforschen.
Lea und Benjamin Wittmann. Foto: Petra Kurbjuhn
Einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen des Abends trugen Lea und Benjamin Wittmann bei. Die Flötistin und der Gitarrist konnten mit ihren musikalischen Darbietungen dem Publikum zu den Beiträgen der Vernunft den gefühlsmäßigen Zugang zum gewünschten Dialog schenken.