Corona-Kommunikation – was lief schief?
Waltraus Milazzo „Der Kuss“. Foto: privat
Neuerscheinung auf dem Buchmarkt
„Corona-Kommunikation – Eine Krise in Wissenschaft, Politik und Medien“ heißt das Buch, das Marc-Denis Weitze soeben im Wissenschaftsverlag Springer herausgebracht hat. Der Privatdozent für Wissenschaftskommunikation an der TU München erläutert im Interview sein Anliegen.
MZ: Warum dieses Buch? So lautet auch eine Kapitelüberschrift.
MDW: Seit März 2020 hatte ich dieses Unwohlsein, dass in der Corona-Krise etwas schiefläuft. Damit meine ich nicht nur das Virus, Infektionen, Krankheiten und Todesfälle, sondern ich habe beobachtet, dass in der Kommunikation der Dialog und die Pluralität gefehlt hat, dass sie intransparent war. Zwei Jahre lang habe ich Material zusammengetragen und sortiert, immer mit den Fragen: was ist wie gelaufen, und wie hätte es aus Sicht der Wissenschaftskommunikation – ausgehend von früheren Erfahrungen und den Leitfäden der Wissenschaftsorganisationen – laufen sollen?
MZ: Wir haben ja gemeinsam im Rahmen unseres Projektes „anders wachsen“ insgesamt drei Veranstaltungen zum Thema Corona-Kommunikation gemacht.
MDW: Für mich war es wichtig, dass wir damals versucht haben, im Landkreis Miesbach den Dialog mit Interessierten herzustellen. Einmal ging es ja sogar in Präsenz in Warngau, das war eine recht aufregende Diskussion. Und es war aus meiner Sicht frappierend, dass eine BR-Journalistin bei einer unserer Zoom-Veranstaltungen offen sagte, dass die Medien die harten Entscheidungen der Regierung in der Krisensituation nicht behindern wollten und mit der Politik zusammenarbeiten müssen. Das ist aus meiner Sicht aber nicht die Aufgabe des Journalismus. Journalisten haben unzulässigerweise die Rolle des Regierungssprechers übernommen, wie es auch Claus Kleber, der langjährige ZDF-Moderator und Korrespondent erkannte und monierte.
Landrat Olaf von Löwis beim Open Space von KulturVision e.V. im Altwirtsaal dicht umlagert. Foto: Petra Kurbjuhn
MZ: Heißt das, dass insgesamt eine Hofberichtserstattung erfolgte?
MDW: Insgesamt nicht, aber es gibt leider sehr viele Beispiele dafür, dass Journalisten unterstützten, was die Politik vorgab, und zu wenig hinterfragten.
MZ: Wie stand es um die die Wissenschaftskommunikation?
MDW: Kontroversen, Skepsis und Kritik sind Schlüsselelemente der Wissenschaft. Die Öffentlichkeit erwartet dagegen Klarheit und Eindeutigkeit. Dieser Widerspruch trat auch in der Corona-Krise immer wieder zutage. Transparenz statt Übertreibungen, Trennung von Beschreibung und Bewertung: Es gelten für die Kommunikation Maßstäbe wissenschaftlicher Integrität, wie sie auch für Forschung und Lehre gelten. Nach anfänglicher Euphorie zu den Errungenschaften der Wissenschaft zeigte sich eine Art der Wissenschaftskommunikation, die einseitig und wenig dialogorientiert war. Die Chance, Transparenz, Pluralität und Dialog zu pflegen, wurde nicht genutzt.
Der Autor Marc-Denis Weitze bei der Buchvorstellung an der LMU München. Foto: privat
MZ: War es denn nicht eine „Sternstunde der Wissenschaft“ wie ein Abschnitt überschrieben ist?
MDW: Zu Beginn der Pandemie wurden Wissenschaft und Kommunikation von vielen Seiten gelobt. Virologen haben den Krankheitserreger rasch identifiziert, erste Tests wurden entwickelt, Wissenschaftler haben Impfstoffe in „Rekordzeit“ – wie immer wieder betont wurde – geliefert. Virologen, später auch andere Wissenschaftler, haben Politik, Öffentlichkeit und Medien ausführlich informiert. Damals konnte man noch sagen: „Die Corona-Krise ist eine Sternstunde der Wissenschaft“. Aber wir haben dann in Teilen der Wissenschaft ein kommunikatives Desaster erlebt – mit falschen Versprechungen, dünnhäutigen Reaktionen bei Kritik und Einseitigkeit in der Politikberatung. Leider bis heute.
Etablierte Prinzipien missachtet
MZ: Wie ist die Politikberatung einzuschätzen?
MDW: Politikberatung fand auf mehreren Ebenen statt, etwa von einzelnen Wissenschaftlern, ad hoc eingerichteten Gremien und von etablierten Institutionen wie dem Robert-Koch-Institut oder dem Deutschen Ethikrat. Eine besondere Rolle spielte die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina: Diese betrieb in großen Teilen einseitige Politikberatung. Sie hat sich in die Rolle eines Advokaten der Regierungsposition begeben mit Papieren, die auf intransparente Weise zustande gekommen sind und etablierten Standards der Politikberatung nicht genügen.
MZ: Welches weitere konkrete Beispiel für das Versagen der Politikberatung ist zu nennen?
MDW: Es lagen schon lange vor 2020 konkrete Untersuchungen vor, wie bei einem Auftreten einer Pandemie zu agieren sei. Aber alle haben so getan, als wäre es neu. Die sorgfältig erarbeiteten Pandemiepläne wurden nicht genutzt. Und ich bin besorgt, dass das auch beim nächsten Mal so sein wird, vielleicht bei der Klimakrise: Man ruft eine „völlig neuartige“ Krise aus und reagiert improvisiert, unter Missachtung etablierter Prinzipien von Wissenschaft und Kommunikation.
Was kann Wissenschaftskommunikation und was nicht?
MZ: Was also sollte Wissenschaftskommunikation leisten?
MDW: Sie soll ein Dialog sein und nicht nach dem Motto verfahren: Der kluge Wissenschaftler erklärt etwas dem dummen Volk. Wissenschaftskommunikation soll hören, was die Menschen brauchen, befürchten, wünschen. Die Frage ist dabei immer: In welcher Welt wollen wir leben?
Als Grundlage für einen demokratischen Diskurs müssen die jeweiligen Möglichkeiten, die Wissenschaft und Technik erarbeiten, mit den damit verbundenen Chancen und Risiken offengelegt werden, ebenso die Unsicherheiten, veränderliche und mitunter widerstreitende Ergebnisse.
Wissenschaft darf nicht sagen „Wir wissen Bescheid und wir sagen, was zu tun ist“, wie es in der Corona-Krise teilweise der Fall war. Politische Entscheidungen zum Umgang mit der Krise brauchen wissenschaftliche Expertise, aber die Entscheidungen müssen verschiedene Interessen und Wertvorstellungen berücksichtigen und Entstehen auf Basis des Abwägens, dem Aushandeln von Interessenkonflikten und dem Ringen um Kompromisse.
Cover Corona-Kommunikation. Foto: Springer-Verlag
MZ: Wird das Buch aufgrund seiner kritischen Aussagen einen Shitstorm hervorrufen?
MDW: Ich habe die Beispiele sorgfältig ausgewählt, meine Position begründet. Natürlich freut sich niemand, wenn er als Negativbeispiel kritisiert wird. Der Verlag und einige Mitstreiter werden mir aber Rückhalt geben in einer emotionalisierten und polarisierten Debatte.
MZ: Das Buch bietet dem Interessierten ein Kompendium an Fallbeispielen und mit Literaturzitaten belegte Informationen zum Thema Corona-Kommunikation. Und es hat einen positiven letzten Teil.
MDW: Das Buch soll auch als Perspektive für den Wissenschaftskommunikation dienen. Ich zitiere dabei den Soziologen Ralf Dahrendorf, der sagte: „Sie alle, die Intellektuellen, haben als Hofnarren der modernen Gesellschaft geradezu die Pflicht, alles Unbezweifelte anzuzweifeln, über alles Selbstverständliche zu erstaunen, alle Autorität kritisch zu relativieren…“
Ich möchte das auch meinen Studenten an der TUM mitgeben und bin optimistisch, dass die nächste Generation in diesem Sinne ihrer Rolle gerecht wird.
Was sagt Albert Einstein?
MZ: Und das letzte Wort hat Albert Einstein.
MDW: „Wenn du ein wirklicher Wissenschaftler werden willst, denke wenigstens eine halbe Stunde am Tag das Gegenteil von dem, was deine Kollegen denken.“ Auch eine Weisheit, die sich Studenten ebenso wie etablierte Wissenschaftler über den Schreibtisch hängen sollten.
MZ: Unser letztes Wort aber soll das Titelbild des Buches haben, womit wiederum ein Lokalbezug hergestellt wird.
MDW: Die Titelseite wurde gestaltet unter Verwendung einer Arbeit aus Steinzeug von Waltraud Milazzo. Die sagt viel über die verrückte Situation in der Coronazeit aus und zeigt sehr schön, wie sensibel Menschen auch außerhalb der Wissenschaft zu diesen Themen sind und sich Gedanken gemacht machen. Ich bin der Künstlerin dankbar, dass „Der Kuss“ auf das Titelbild genommen werden durfte.
Die Arbeit „Der Kuss“ reichte Waltraud Milazzo im Rahmen des Projektes „Dokurona“ von „anders wachsen“ bei KulturVision e.V. ein.