Atomforschung

Das deutsche Atomprogramm 1939 bis 1945

Foto: Candida Schlichting

Vortrag in Miesbach

Waren die deutschen Wissenschaftler während des Zweiten Weltkrieges technisch in der Lage und moralisch bereit, die Atombombe zu bauen? Diese Frage beantwortete jetzt im Rahmen der Reihe „Kultur Geschichte Brauch“ Dr. Wilhelm Füßl anhand brisanter Geheimdokumente.

Der Leiter des Archivs des Deutschen Museums war auf Einladung von Adelheid Schmid in das Katholische Bildungswerk Miesbach gekommen. Sie plant und leitet seit Jahren erfolgreich die Reihe, die Vorträge und Exkursionen zu unterschiedlichen Themen umfasst.

Deutsches Atomprogramm
Projektleiterin Adelheid Schmid. Foto: Monika Ziegler

Füßl brachte einen Koffer voller Originaldokumente mit, die er in seinem lebendigen und informativen Vortrag kommentierte. Dabei verknüpfte er bekannte historische Gegebenheiten mit neuen Erkenntnissen, die so manches Weltbild über bekannte Forscherpersönlichkeiten erschüttern dürften.

Lise Meitner fand die Erklärung

Bekannt ist, dass der Chemiker Otto Hahn am 17. Dezember 1938 mit seinem Kollegen Fritz Strassmann ein Experiment an Uran macht, dessen Ergebnis er nicht versteht. Zwei Ausrufezeichen markieren dies in seinem Labortagebuch. Er schickt die Resultate an Physikerin Lise Meitner in Kopenhagen, die vor den Nazis flüchten musste. Sie findet die Erklärung, für die Hahn später den Nobelpreis erhält: Der Urankern war gespalten.

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Dr. Wilhelm Füßl zeigt Originaldokumente. Foto: Monika Ziegler

Die Entdeckung, 1939 publiziert, wurde weltweit bekannt und auch, dass bei der Kernspaltung enorme Energiemengen freigesetzt werden. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, so Füßl, hatten die Alliierten verständliches Interesse daran, ob die Deutschen diese physikalischen Erkenntnisse in den Bau einer Bombe umsetzten und suchten sowohl Unterlagen als auch Wissenschaftler, aber ohne Erfolg.

Insbesondere die Aussage des deutschen Chemikers Ernst Nagelstein, den die Amerikaner 1944 gefangen nahmen, schürte die Befürchtung, dass die Deutschen an der Bombe bauen. Wilhelm Füßl berichtete spannend, wie er selbst den hochbetagten Atomforscher Rudolf Fleischmann noch befragen konnte, der sein eigenes Laborbuch identifizierte.

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Ein Original-Laborbuch aus dem Archiv des Deutschen Museums. Foto: Monika Ziegler

Lange Jahre war ungewiss, ob die deutschen Kernforscher, neben Hahn insbesondere Werner Heisenberg und Carl-Friedrich von Weizsäcker, während des Krieges wirklich an einer Bombe arbeiteten. Wilhelm Füßl legte jetzt Dokumente vor, in denen Heisenberg Ende 1939 an das Heereswaffenamt schreibt, dass durch die Anreicherung von Uran Explosivstoffe ungeheurer Kraft erzeugt werden könne. Heisenberg, so erklärte der Historiker, sei zu der Zeit bereits zum Militär eingezogen gewesen, die Ostfront habe gedroht.

Uran als Waffe geeignet

Auch der spätere Friedensforscher Carl-Friedrich von Weizsäcker habe in einem Bericht von 1940 bestätigt, dass Uran für den Einsatz als Waffe geeignet gewesen sei. Einen Kommentar habe der Physiker auf seine Befragung im Zusammenhang mit einer Ausstellung nicht abgegeben, sondern nur gesagt: „Machen Sie doch was Sie wollen.“

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Der Historiker ließ auch Dokumente im Publikum herumgehen. Foto: Monika Ziegler

Die technische Umsetzung indes gelang den Wissenschaftlern nur teilweise, berichtete der Historiker. Man forschte mit Uranpulver und mit Uranwürfeln, sowie mit Paraffin und schwerem Wasser als Moderator, hatte aber Probleme, die notwendigen Materialien in genügender Menge herbei zu schaffen. Auch gab es mehrere Unfälle, bei denen sich das Uran entzündete und man sich nur helfen konnte, indem man das Spaltmaterial tief in der Erde vergrub.

Der Reinwaschungsprozess

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Historiker Dr. Wilhelm Füßl. Foto: Monika Ziegler

Als die Forscher 1943 vom Heereswaffenamt befragt worden seien, ob sie eine kriegsentscheidende Bombe liefern könnten, hätten sie geantwortet „Wir wissen es nicht“, woraufhin das Atomprogramm einer zivilen Behörde unterstellt wurde. Füßl berichtete, dass der letzte Versuch kurz vor Kriegsende fast kritisch gewesen sei. Dann aber wurden die Forscher von den Alliierten verhaftet und nach Farm Hall in England gebracht.

Göttinger Appell

Nach neuen Dokumenten, die der Historiker Dieter Hoffman in seinem Buch „Operation Epsilon“ verarbeitete, schrieben die inhaftierten 18 Wissenschaftler nach dem Atombombenabwurf der Amerikaner auf Hiroshima ein Memorandum. Sie betonen, dass die technischen Voraussetzungen zum Bau der Bombe in Deutschland nicht vorhanden gewesen seien. „Ob sie aber intellektuell und moralisch bereit waren, die Bombe zu bauen, sagen sie nicht“, hob Füßl hervor, „das war der Beginn des Reinwaschungsprozesses der Atomforscher.“
Dieser habe 1957 sein Ende mit dem „Göttinger Appell“ gefunden, in dem die 18 Forscher sich gegen eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr aussprachen.

Das Thema ist in dem zweiteiligen Spielfilm „Das Ende der Unschuld“ aus dem Jahr 1991 aufgearbeitet. Im deutschen Museum können der Labortisch Otto Hahns und weitere Exponate besichtigt werden.

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