Unbändiger Hass im Idyll
Mit „Das Dorf und der Tod“ hat Christiane Tramitz einen Mordfall in ihrer Heimat neu aufgerollt. Foto: IW
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Die Verhaltensforscherin und Autorin zahlreicher Bücher Christiane Tramitz hat einen fesselnden True Crime Roman über eine Familientragödie geschrieben, die sich in einem kleinen Dorf im bayerischen Oberland zugetragen hat.
Die Autorin lebt selbst in diesem Idyll. Sie ist nach vielen Jahren in der Großstadt zurückgekehrt in das Dorf ihrer Kindheit. Mit journalistischer Neugier und durch die Brille der Verhaltensforscherin interessiert sie sich für die Menschen in ihrer Heimatregion, für ihre Schicksale und die Beweggründe ihres Handelns. Der letzte Roman, den sie veröffentlichte, war die bewegende Geschichte der Sennerin Mare auf dem Geigelstein.
Eine Liebe, die nicht sein darf
„Das Dorf und der Tod“ beginnt im Jahr 1921 mit einer Liebesgeschichte und endet 1995 mit einer entsetzlichen Tragödie. Einhundert Jahre nachdem alles begann, beschreibt der Roman die alptraumhafte Agonie eines jungen Mädchens, das im Oberbayern des frühen 20. Jahrhunderts an der Hartherzigkeit ihrer Familie und der konservativen Moralvorstellung auf dem Lande zerbricht – mit schwerwiegenden Folgen für die nächsten Generationen.
Das tragische Schicksal Vronis führte in der übernächsten Generation zur Katastrophe. Foto: Olaf Gruß
Gewalt, Demütigungen, Hass
Zunächst beginnt alles so idyllisch wie die Landschaft des oberbayerischen Berglandes an einem prächtigen Sommertag nur sein kann: Die 17-jährige Vroni verliebt sich in den 20-jährigen Lenz. Sie erwartet schließlich ein Kind von ihm und der junge Vater möchte sich seiner Verantwortung stellen. Hier hätte noch alles gut ausgehen können und Christiane Tramitz sich einen anderen Stoff suchen müssen. Aber dann nimmt eine Geschichte von Demütigung, Gewalt und abgrundtiefem Hass ihren Lauf. Ein Hass, der in der übernächsten Generation zu einem Mehrfachmord führt und im Suizid des Täters endet.
Trailer zum Buch. Gestaltung: Stephan Guntli
Christiane Tramitz führt den Mörder und seine Gedankenwelt parallel zum historischen Stoff ein, sodass die Leser schaudernd hinsteuern auf die unabwendbare Katastrophe. Sein Motiv ist, so heißt es später im Polizeibericht, tiefer Hass auf die Verwandten. Auf dem Friedhof liegen die drei Gräber der Opfer und für die Polizei ist der Fall erledigt. Aber die Autorin interessiert sich nicht nur für das erschütternde Motiv, sondern dafür, wie es dazu kam.
Frauenpower in der Stadt – Abhängigkeit auf dem Land
Im Jahr 1921 kämpft die Münchener Frauenbewegung schon über vierzig Jahre für die Selbständigkeit von Frauen. Auf dem Land in Oberbayern sieht es noch anders aus. Deshalb gibt es für die lebenslustige Vroni keine Chance auf ein selbst bestimmtes Glück.
Christiane Tramitz hat u.a.im Bundesarchiv recherchiert. Foto: Stephan Guntli
Traumata vererben sich weiter
Nach 30 Jahren der Veröffentlichung von Sachbüchern ist die promovierte Verhaltensforscherin angekommen in einem Nischen-Genre, das ihre Neugier weckt und zugleich ihr kreatives, literarisches Schreiben beflügelt. Eine akribische Recherche und Zeitzeugengesprächen gehören zu ihrer Herangehensweise als Wissenschaftlerin dazu. Der „True Crime“ Roman ermöglicht ihr, die psychologischen Aspekte der Taten zu analysieren. Anhand der Geschehnisse, die dem Roman „Der Tod und das Dorf“ zugrunde liegen, setzt sie sich mit der transgenerationalen Weitergabe von Traumata auseinander. Sie rollt den Fall neu auf. Die tragische Geschichte, die in tiefste menschliche Abgründe hinabblicken lässt, hat auch ihre persönliche Neugier geweckt: Der Täter ist in ihrer Nachbarschaft aufgewachsen.
True Crime ist echt
Ihr fesselnder Kriminalroman ist in seiner Authentizität schonungslos ehrlich, die menschlichen Abgründe derart gewaltig und das Ende Seite um Seite so unausweichlich vorgezeichnet, dass es manchmal Mut braucht, sich dem zu stellen und weiterzulesen. True Crime ist keine Fiktion. Die Autorin sucht und versucht Antworten, auch für die geschockt zurückgebliebenen Einwohner des Dorfes, welche die Personen kannten. Beim Erzählen hilft ihr die Figur des Simon Weber alias „Simmerl“ Distanz zu wahren, der wie die Autorin selbst nach Jahren der Abwesenheit ins Dorf zurückkehrt und fassungslos auf dem Friedhof steht.