Lang ersehnt, endlich zurück: das Internationale Musikfest Kreuth
Stuttgarter Kammerorchester. Foto: Wolfgang Schmidt
Das Eröffnungskonzert des Internationalen Musikfests Kreuth am Tegernsee mit dem Stuttgarter Kammerorchester und der Mezzosopranistin Okka von der Damerau geriet zur Erfüllung jeglicher Träume von Klassikfans und der Sehnsucht nach echtem, tief empfundenem Live-Erlebnis.
Eröffnungskonzert in Rottach-Egern
In seiner Begrüßung ging der Leiter des Festivals Dieter Nonhoff kurz auf die pandemiebedingten Schwierigkeiten ein und würdigte besonders die Verdienste des 2020 verstorbenen Förderers des Internationalen Musikfestes Kreuth und Vorsitzenden der Olaf-Gulbransson-Gesellschaft, Helmut Nanz, dem dieses Eröffnungskonzert gewidmet war. Gleichzeitig dankte er der Familie für die weitere Unterstützung des Musikfests.
Stuttgarter Kammerorchester: Capriccio oder das Gefühl von Leichtigkeit
Die Einleitung zur Oper „Capriccio“ von Richard Strauss (1864-1949) verströmte gleich zu Beginn des Konzerts ein wunderbar zartes Gefühl von Leichtigkeit, schwerelos dahingleitend, getragen von sanften Wellen und Wogen. Das Stuttgarter Kammerorchester unter der hervorragenden Leitung von Thomas Zehetmair setzte schon früh die bestimmenden Akzente für ein inspirierendes Konzertvergnügen. Wie das Orchester an Tempo und Intensität Fahrt aufnimmt, angeführt vom Dialog mit der Solovioline, und ebenso schnell und elegant hinüberwechselt zu einer anmutigen Konversation zwischen Celli, Kontrabässen und Geigen, ist schier atemberaubend.
Plastische Dichte mit organischen Übergängen zu den Solopassagen erzeugen eine zeitlose Stimmung der Zuversicht und erinnern an die Einleitung zum Hauptteil der Strauss-Oper Ariadne auf Naxos. 1942 während des 2. Weltkriegs in München uraufgeführt wirkt das Stück auch heute seiner Zeit entrückt. Strauss war sich damals des Anachronismus durchaus bewusst und schrieb: „Schreiben wir es eben für uns und ein paar Leute, die noch nicht den Verstand verloren haben.“
Thomas Zehetmair. Foto: Wolfgang Schmidt
Die Wesendonck-Lieder interpretiert von Okka von der Damerau
Ein weiterer Höhepunkt des Konzerts war Okka von der Dameraus Interpretation von Richard Wagners (1813-1883) fünf Liedern auf Gedichte von Mathilde Wesendonck. Die seit 2010 an der Bayerischen Staatsoper gefeierte Mezzosopranistin gab ihr Debüt beim Musikfest Kreuth und bestach sogleich durch ihre kraftvolle, makellos geführte Stimme mit natürlichem, gefühlvollem Timbre. Im ersten Lied „Der Engel“ besang sie anrührend die Kindheit in frühen Tagen, in „Stehe still!“ gestaltete die Künstlerin das sausende, brausende Rad der Zeit und das selig süße Vergessen ausdruckvoll und tief empfunden bis zur ersehnten Erlösung.
Für Richard Wagner waren die Wesendonck-Lieder „Studien zu Tristan“, für die herausragende Wagnersängerin von der Damerau bei „Im Treibhaus“ mit ihrem intensiven Gefühl für das Liebesduett mit klaren Höhen und tiefem Leiden ein Glanzstück ihrer Interpretation. Nicht von ungefähr ist die Sängerin derzeit in München als Brangäne in der Neuinszenierung von Tristan und Isolde zu hören. „Schmerzen“ und „Träume“ sind die zentralen Themen dieser Gedichte. Wagner setzt den Schmerz dunkel, mit vollem Klang, explosiv und exzessiv in Szene und bringt die Träume in Freude, sanft und leise verklingend zum Ausdruck.
Das Orchester setzt alle Gefühle und Stimmungen mit einer großen Palette an Gestaltungsmöglichkeiten um, zeigt eine wunderbare Phrasierung herrlicher Bögen und eine fast selbstverständlich anmutende subtile Begleitung. Thomas Zehetmair beweist in seinem Dirigat eine langjährige Erfahrung im Opernrepertoire und stellt die Tristanstimmung fast leichtfüßig her.
Okka von der Damerau. Foto: Simon Pauly
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Metamorphosen als Ausdruck des Wandels
In den letzten Kriegsmonaten komponierte Richard Strauss die „Metamorphosen“ als Studie für 23 Solostreicher auch im Gedenken an die Zerstörung der Opernhäuser in München, Dresden und Berlin, an denen er gearbeitet hatte. Wandlung, Wechsel und Erneuerung spiegeln sich in den Metamorphosen. Es entsteht ein Widerstreit der Elemente, eine beständige Veränderung der Klangfülle von zehn Violinen, fünf Violen, fünf Celli und drei Kontrabässen, denen jeweils eine Einzelstimme zugewiesen wird.
Der Trauercharakter, den das Stück zweifellos beinhaltet, wird durch Vielstimmigkeit und Chromatik mit großer Energie ausgestattet und mündet in Hoffnung, die zum Ende hin gleichsam einem zarten Pflänzchen ähnlich zu erspüren ist. Zehetmair erweist sich als großer Strauss-Kenner, der sein erstklassiges Kammerorchester exzellent und engagiert leitet. So gelingt eine Symbiose aus Gesamtklang und solistischen Passagen, die auf solchem Niveau nur live zu erleben ist.
Stille und Ergriffenheit im dankbaren Publikum entlädt sich in heftigem Applaus.