Das Leiden hat einen Sinn
Sabine Lessig hat für das Cover ihres Buches „Lebenswege jüdischer Frauen“ eine Menora gemalt. Foto: MZ
Buchtipp von KulturVision
Lebenswege jüdischer Frauen hat Sabine Lessig aufgeschrieben, genauso, wie sie es ihr erzählt haben. Es sind bewegende, erschütternde, aber auch Mut machende Geschichten von Frauen, die unermessliches Leid erfahren haben und trotzdem oder gerade deshalb ihren Weg gingen.
Sabine Lessig ist Malerin der Leipziger Schule und hat viele Jahre im Landkreis Miesbach gewohnt. Sie studierte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, unter anderem bei Werner Tübke und reiste 1986 nach Bayern aus. Als freiberufliche Malerin wirkt sie bis heute.
Daneben absolvierte sie eine Ausbildung zur Fachtherapeutin Psychotherapie und arbeitete als Kunsttherapeutin sowie als ehrenamtliche Interviewerin für die Shoah-Foundation von Steven Spielberg.
Die Künstlerin Sabine Lessig. Foto: privat
Jahrelang war sie in einem jüdischen Seniorenheim in München tätig und machte Interviews mit den Bewohnerinnen. „Ich wollte nicht, dass das untergeht und habe die Gespräche jetzt in einem Buch im Eigenverlag veröffentlicht“, erzählt sie. Frustriert von der fehlenden Unterstützung durch Politik und gesellschaftliche Organisationen sagt sie: „Das scheint niemanden zu interessieren.“
Das Buch sei keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine sehr persönliche Darstellung von Frauenschicksalen. Sie habe die Bewohnerinnen gefragt und alle Antworten genau dokumentiert. Auch später habe sie den Kontakt zu den Frauen noch gehalten. Inzwischen sind die meisten ihrer Gesprächspartnerinnen verstorben. Aber sie wolle nicht, dass das, was sie erleben mussten, in Vergessenheit gerät, betont Sabine Lessig.
Grabstein von Irma Putziger. Foto: Sabine Lessig
Statt eines Vorwortes zitiert sie den Bildhauer Yehuda Bacon aus dem Buch von Viktor E. Frankl „Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn“. Das Zitat schließt mit den aufrüttelnden Worten: „Erst viel später habe ich wirklich verstanden, was der Sinn des Leidens ist. Das Leiden hat nämlich dann einen Sinn, wenn du selbst ein andrer wirst.“
Das Buch beginnt mit der Erzählung von Aranka Baum, die 1912 in Wien zur Welt kam und 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde. Sie überlebte, aber die Familie und ihr Ehemann kamen ums Leben. Davon berichtet sie ebenso wie von ihrem Auswandern nach Israel, zweiter Heirat und wieder Heimkehren, lakonisch und gerade deshalb berührend.
Flucht vor Mengele
Eva Grünberg, 1929 in Polen geboren, erzählt ihre Geschichte lebendig und mit vielen Einzelheiten, so dass sich der Lesende sehr gut in die dramatischen Geschehnisse einfühlen kann. Sie floh vor dem KZ-Arzt Mengele aus dem Krankenzimmer und überlebte eine Blutvergiftung.
Rachel Knobler, 1924 in Polen geboren, konnte zweimal bei einer „Selektion“ dem drohenden Tod in der Gaskammer entkommen. Dafür musste sie hart arbeiten und bekam kaum etwas zu essen. Aber auch nach der Befreiung durch die russische Armee nahm das Leid kein Ende. Ein Ventil schuf sie sich durch die Fertigung von Hinterglasmalerei.
Hinterglasmalerei von Rachel Knobler. Foto: Sabine Lessig
In den folgenden Geschichten über die Leidenswege von Dora Lang, Beate Mann und Irma Putziger kommen andere Facetten ans Licht, so das sich Verstecken müssen vor den Nazis, Flucht nach Israel und Rückkehr nach Deutschland.
In der letzten Geschichte erzählt Helga Verleger ausführlich von Denunzianten aber auch hilfsbereiten Deutschen. Letztlich aber wurde auch ihre Familie deportiert und die Mutter wurde in einem Vergasungsbus ermordet. Nach entwürdigender Zwangsarbeit gelang es ihr, aus einem Zug von Todeskandidaten zu entkommen und durch eine dramatische Flucht rettete sie ihr Leben.
Beim Lesen der Lebenswege dieser Frauen fragt sich der Lesende, wie solches Leiden auszuhalten ist und wie es überhaupt möglich sein kann, nach all dem Leiden noch ein normales Leben führen zu können.
„Lebenswege jüdischer Frauen“. Foto: MZ
Es ist wichtig, dass es nicht in Vergessenheit gerät, wie schnell ein Volk zum Antisemitismus verleitet wird und was daraus entstehen kann. So ist das Buch „Lebenswege jüdischer Frauen“ von Sabine Lessig ein Zeitdokument von gravierender Bedeutung.
Zum Weiterlesen: Hochgradig aktuelles Buch