Denkwerk Zukunft: Einfach so weiter leben wie bisher geht nicht mehr!
Stefanie Wahl (Geschäftsführerin), Hanna und Dieter Paulmann (Gründungsstifter) und Meinhard Miegel (Vorstandsvorsitzender, v.l.) bedanken sich zum Abschluss der Konferenz. Foto: Ines Wagner
Besuch der 4. Konferenz der Stiftung Denkwerk Zukunft in Berlin
Eine Vielzahl von Menschen möchte nachhaltig leben, aber nur eine Minderheit tut oder versucht es. Warum? Welche Rolle spielen Herkunft, Bildung, politische Orientierung, Werte, Weltanschauung? Und nicht zuletzt neurobiologische Prägungen? Denkanstöße beim Denkwerk Zukunft in Berlin.
Unter dem Titel „Warum wir nicht tun was wir für richtig halten – Über die Macht tradierten Denkens“ referierten und debattierten namhafte Sozialwissenschaftler, Klima- und Nachhaltigkeitsforscher, Evolutionsbiologen, Psychologen und Philosophen am Samstag in Berlin. Zur Konferenz hatte das 2007 gegründete Denkwerk Zukunft – Stiftung für kulturelle Erneuerung eingeladen. Stefanie Wahl, Geschäftsführerin, begrüßte die über 350 Teilnehmer mit einem die Brisanz des Themas hervorhebenden Satz: „Einfach so weiter leben wie bisher geht nicht mehr!“ KulturVision e.V. hat an der Konferenz vom Denkwerk Zukunft teilgenommen, denn mit der Veranstaltungsreihe „Anders Wachsen“ beschäftigen uns die gleichen Themen. Wir möchten die Impulse aus Berlin hiermit gern mit unseren Lesern teilen.
„Vergesst Nachhaltigkeit, dazu ist es zu spät, der Zug ist schon entgleißt“ (D. Meadows)
Ausgehend von der Überzeugung, dass etwas geändert werden muss, über den Willen, etwas zu ändern, schliesslich zum Erkennen, was und wie wir etwas verändern können, beleuchteten die Experten aus den verschiedenen Bereichen das Thema. Warum sollten menschliche Gesellschaften robuster sein, als die Systeme, in die sie zerstörend eingreifen? Was mache uns so sicher, dass die große Transformation, das „Projekt des Westens“, gelingen wird? Umweltforscher Hermann E. Ott, Klimaforscher Wolfgang Lucht und Philosoph Thomas Pogge diskutierten im ersten Teil der Konferenz unter Moderation von Meinhard Miegel, Vorstandsvorsitzender von Denkwerk Zukunft, die Frage, warum es trotzdem sinnvoll sein kann, etwas zu tun, obwohl bereits zu spät ist.
Meinhard Miegel, Vorstandsvorsitzender Denkwerk Zukunft. Foto: Ines Wagner
Unsere „Klugheitslösungen“ würden nicht fruchten. Vielmehr müsse man die Menschen bei der Moral treffen, und auch die Gerichtshöfe sollten stärker auf die Politik Einfluss nehmen. Unabdingbar wäre außerdem, dass die Diskussionsprozesse auch den Mainstream erreichen. Das erschütternde Fazit der ersten Diskussionsrunde war: „Wir sind nicht auf dem Weg!“ Die Ergebnisse des Pariser Klimavertrages sind haarsträubend: Obwohl die globale Belastungsgrenze bereits weit überschritten ist, wurde nichts Verbindliches festgelegt.
Das Prinzip der Fülle austauschen gegen ein Prinzip des Genug
Ebenso spannend und lebendig ging es im zweiten Teil weiter, der von Philosoph Wolfram Eilenberger moderiert wurde. Sozialethiker Martin Schneider widmete sich der Frage, inwieweit in der christliche Religion Nachhaltigkeit verankert ist, steht doch im Buch Genesis: „Macht Euch die Erde untertan“. Der tradierte Gedanke dieses „imperialen Herrschaftsauftrages“ müsse einen neuen Blickwinkel erhalten: Suffizienz. Soziologe Karl-Siegbert Rehberg kritisierte die Beschwichtigungsrhetorik der Politik und baute auf die innere Wachstumsnotwendigkeit. Selbst die große Askese sei nicht abwegig und könnte Früchte tragen. Gemeinsam mit Philosoph Volker Gerhardt und Soziologe Claus Offe begaben sie sich in der Diskussion auf die Suche nach dem „Wir“, das in Europa ein pathologisches Angst-Wir ist. Die Heuristik der Furcht müsse verwandelt werden in ein Prinzip der Hoffnung.
Im abschließenden Teil der Konferenz diskutierten Philosoph Thomas Metzinger, Evolutionsbiologe Manfred Milinski, Umweltpsychologe Marcel Hunecke sowie der Kommunikationsexperte Michael Volkmer unter der Leitung von Reinhard Loske, Professor für Politik und Nachhaltigkeit spannend und anschaulich darüber, wie veränderbar Denk- und Verhaltensweisen sind und welche psychischen Voraussetzungen für nachhaltiges Handeln benötigt werden. Besonderes Risiko berge die Oberflächlichkeit, die in eine intellektuelle Unredlichkeit münde, in ein Handeln wider allen besseren Wissens.
Veraltete Denkmuster und Denkstrukturen überwinden, aber wie?
In der Tiefenstruktur des menschlichen Geistes zeige sich ein radikaler Egozentrismus sowie fatale Verdrängungsmechanismen. Der Vortrag machte der Menschheit evolutionsbiologisch gesehen wenig Hoffnung. Anhand zahlreicher anerkannter Tests hat sich dargestellt, dass der Mensch immer nur dann handele, wenn sein Ansehen in der Gesellschaft auf dem Spiel stehe. Das könnte aber immerhin ein Ansatz für das Nachhaltigkeitsmarketing sein. Die Menschen müssten bei ihrer Ehre, ihrem persönlichen Lebensstil gepackt werden. Dazu brauche es positive Bilder, Filme, die aufklären, Vorbilder zeigen, zum Handeln auffordern.
Wir haben keine Chance, aber wir müssen sie nutzen!
Meinhard Miegel fasste am Schluss der Konferenz nicht ohne Ironie zusammen: „Die Lage ist unübersichtlich.“ Der ökologische Fußabdruck des Menschen werde immer größer, Jahr für Jahr, weltweit. Aber weder sei das „Ist“ eindeutig definiert, noch das „Soll“, noch das „Können“: „Und diese Menschheit soll jetzt handeln?“, fragt er. Die entwickelten Länder müssten sich von ihrer Lebenslüge verabschieden: Es würde schon alles „gut gehen“. Ganz kleine Schritte ganz vieler Menschen müssten gebündelt werden. Und wir, die Industrienationen, müssten voran gehen.
4. Klimakonzert der Musiker der Staatskapelle Berlin. Foto: Ines Wagner
Zum Abschluss der Veranstaltung gab es ein Klimakonzert der Musiker der Staatskapelle Berlin in der Lokhalle. Höhepunkt: Gustav Mahlers „Das Lied von der Erde“.