Die gesamte Gesellschaft ist auf Speed
Sehnsucht nach Entschleunigung. Foto: Ines Wagner
Vortrag und Film in Tegernsee
Was treibt uns eigentlich an? Wir sparen ständig Zeit, trotzdem läuft sie uns davon und wir in einem Hamsterrad hinterher. Regisseur Florian Opitz hat einen Film gedreht, in dem er sich auf die Suche nach der verlorenen Zeit begibt: „SPEED“.
Im Kopf geht’s zu wie in einem Flipperautomaten
Wo ist die Zeit geblieben, die wir durch immer ausgeklügeltere Zeitersparnisgeräte eingespart haben? Florian Opitz setzt sich in seinem Film mit dem Problem des modernen Zeitmanagements auseinander. „Schaffe es wieder nicht zum Abendessen“ ist die SMS, die er eingangs seiner Freundin schickt. Kommt Ihnen bekannt vor? Geht Ihnen auch oft so? „Muss nur noch kurz die Welt retten…, noch 148 Mails checken“, oder wie schon Paulchen Panter fragte: „Wer hat an der Uhr gedreht?“ Ja, geht uns allen so, müssen wir bekennen. Aber warum ist das so? Ausgangspunkt des Regisseurs ist die Frage, warum wir trotz neuer Technologien, Kommunikationsmittel und Effizienzmodellen, mit denen wir eigentlich einen Großteil an Zeit einsparen sollten, dennoch das Gefühl haben, ständig unter Zeitdruck zu stehen.
Es läuft längst alles auf Autopilot
„So sehr ich mich auch bemühe, ich habe keine Zeit“ sagt Opitz und gelangt an den Punkt: „Ich will meine Gelassenheit zurück“. Von da an begibt er sich auf eine Odyssee der Spurensuche, stellt unzählige Fragen an sich selbst, an Soziologen, Zeitforscher, Unternehmensberater, einen Burnout-Arzt. In London, im Herz der Finanzwelt, lernt er bei Reuters, dass die Zeit inzwischen in Mikrosekunden gemessen wird. Denn die Technik hat längst den Takt übernommen, der Mensch ist zu langsam. Im Zeitraffer rast die Kamera durch Großstadtmenschengewirr, über die irrwitzigste Fußgängerkreuzung der Welt in Shinjokou, zur Zerstörung der Natur durch den Menschen, „wie ein Krebsgeschwür.“ Das Tempo des sich drehenden Hamsterrades verursacht beim Zuschauer regelrechtes Herzrasen, bis Opitz Erbarmen hat. Dann geht es im zweiten Teil des Films um Entschleunigung. Und ganz intensiv spürbar ist der enorme Unterschied zwischen dem technikgetriebenen „Takt“, den unser Leben eingenommen hat, im Gegensatz zum natürlichen „Rhythmus“ den die Natur uns vorgibt.
Wieviel Geschwindigkeit ist gut für ein gutes Leben?
Was macht ein „gutes Leben“ aus? Herr zu sein über die eigene Zeit! Sagen beispielsweise Bergbauern im Berner Oberland, die zwar ein körperlich hartes Leben führen, aber mit dem Rhythmus der Natur in gesunder Entschleuningung leben. In Bhutan hat der Staat das „Bruttonationalglück“ in der Verfassung verankert. Die Menschen dort haben zwar ein niedriges Einkommen, gehören aber zu den glücklichsten Menschen der Welt. Der Regisseur bereist auch Patagonien, wo der inzwischen verstorbene ehemalige ESPRIT und Northface-Inhaber Douglas Tompkins einen riesigen Nationalpark als „Laboratorium der Langsamkeit“ angelegt hat. Opitz setzt Fragment um Fragment zusammen, zeigt verschiedene Wege und landet bei der Frage: Was kann jeder Einzelne für sich selbst tun?
Diese Frage beschäftigte auch die Zuschauer im Pfarrzentrum Quirinal in Tegernsee. Christof Langer vom KBW Miesbach hat den Film am Mittwoch Abend vorgestellt. Was ein jeder für sich mitnehme, und was besonders berührt habe, wollte Langer wissen. „Digitales Fasten“ war eins der prägnanten Themen, denn wir alle sind viel zu abhängig von unseren Smartphones und Computern. Wie gelingt es, bescheidener und anspruchsloser zu werden, war ein weiterer Gedanke. Auch das bedingungslose Grundeinkommen als Voraussetzung für ein selbstbestimmtes, entschleunigteres Leben wurde diskutiert. Und, wie man bei einfacher Gartenarbeit entspannen kann oder beim Skitourengehen den „Rhythmus der Natur“ spüren, statt im Takt der Technik, der Schneekanonen und Liftanlagen, einmal mehr im Hamsterrad der „Frei-Zeit“ zu hetzen.
Text/Foto: Ines Wagner