Die Großhändler von Nachrichten
dpa-Newsroom in der Zentralredaktion Berlin, Foto: Michael Kappeler/dpa
Film in Holzkirchen
Den Nachrichten-Journalisten über die Schulter geschaut: Friedrich Rackwitz und Christian Aichner zeigen auf Einladung der Kulturwerkstatt im Oberland ihren Film „Grundrauschen“ über die Deutsche Presse-Agentur im Fools-Theater.
Es beginnt mit der Anekdote eines älteren Kollegen, offenbar während einer Feier in den Redaktionsräumen. An seinem ersten Arbeitstag bei der dpa blockierte er die einzige Telefonzelle in einem kleinen Dorf, in dem gerade führende RAF-Terroristen festgesetzt worden waren – um die Agentur-Konkurrenz kommunikativ auszubooten. Unvorstellbar in der heutigen Zeit, in der wir im Minutentakt mit Nachrichten konfrontiert werden – meist per Smartphone, das damals eben noch keiner besaß.
Nachrichtenfabrik inklusive Fließband
Heute geht es auch im Newsroom der dpa-Zentralredaktion in Berlin anders zu, das zeigt der Film „Grundrauschen“ eindrücklich: Das einprägsamste Geräusch, das dieses Rauschen erzeugt, ist das Schreiben mit der Computer-Tastatur – daily business der dpa-Nachrichtenjournalisten, die täglich bis zu 1000 Nachrichten in den Äther schicken, oder besser gesagt an den Kunden. Von ihm ist in den Gesprächen immer wieder die Rede. Dieser Kunde ist aber nicht der „Endverbraucher“ der Nachrichten, also wir, es sind vielmehr die Gesellschafter der dpa – Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, Verleger, Rundfunkanstalten. Das unterscheidet den Agentur-Journalist vom „gängigen“ Journalist: Die einen stellen einen bunten Strauß an Nachrichten zur Verfügung, während die anderen daraus die ihrer Meinung nach wichtigsten und/oder besten auswählen.
„direct cinema“ ohne Musik, Kommentare, Interviews
Friedrich Rackwitz begleitet dieses Agentur-Geschäft in „Grundrauschen“. Der junge Filmemacher begibt sich während seines gesamten Films in die Rolle des Beobachters, er kommentiert nicht aus dem Off, er führt keine Interviews, er ist einfach nur da – bei Redaktionskonferenzen, Telefon-Recherchen, Besprechungen im Kollegenkreis, der Volontärsausbildung. So wird auch der Zuschauer zum Beobachter, dazu gezwungen, teils längere Sequenzen „auszuhalten“, in denen gerade (scheinbar) nichts passiert. Und doch bekommt man viel mit: warum Reizwörter in einer Überschrift wichtig sind, dass das Kopfkino losgehen sollte, auch bei einem noch so trockenen Thema, wie um Formulierungen gerungen wird, welche Themen an diesem einen Tag alle begleiten.
Redaktionskonferenz in der dpa-Zentralredaktion Berlin, Foto: Friedrich Rackwitz
Grundrauschen im Raumschiff dpa
Die dpa-Leute nennen ihren Newsroom „Das Raumschiff“. Es ist in Berlin gelandet, direkt neben dem Axel-Springer-Hochhaus in Kreuzberg, das man im Film auch immer mal wieder sieht. An seinem höchsten Punkt läuft Werbung für Medienprodukte der Springer-Gruppe durch. Gegenüber bei der dpa hält man sich eher bedeckt: Während der Redaktionskonferenz sind die Rollos dicht, von draußen soll nichts die Konzentration stören. Und doch sind die Redakteure ja permanent mit der Welt verbunden, über Computer, TV-Monitore, Telefone. Es ist ein eigener Kosmos, der uns teilhaben lässt an journalistischer Sorgfaltspflicht, Handwerk und Verantwortung. Deutlich wird das zum Beispiel bei der Entführung eines deutschen Paares durch die Terrormiliz Abu Sayyaf: Die genaue Uhrzeit für den Ablauf des Ultimatums der Entführer ist den dpa-Kollegen zwar bekannt, sie wird aber bewusst nicht gemeldet: um den Druck auf sich selbst nicht unnötig zu erhöhen, weil man aus Erfahrung weiß, dass Terroristen keine verlässlichen Verhandlungspartner sind, aber auch, um die Familien der Entführten nicht unnötigem Stress auszusetzen.
Fakes sind keine Nachrichten
Filmemacher Friedrich Rackwitz (li) und Drehbuchautor Christian Aichner (re) bei der Diskussion im Fools-Theater, Foto: Veronika Reisig
Der Film endet mit einem Besuch ägyptischer Journalisten-Kollegen. In der Diskussion geht es um die Einflussnahme des Staates auf den Journalismus. Ist sie in Ägypten offensichtlich, gebe es durchaus auch bei der dpa subtile Versuche. Die laut dem dpa-Redakteur allerdings ins Leere laufen – Unabhängigkeit und Freiheit in der Berichterstattung sind die wichtigsten Voraussetzungen für journalistische Qualität, so das Credo auf der dpa-Website. Im Zeitalter von Hoaxes, Fakes und Lügenpresse, in dem selbst ein amerikanischer Präsident die ihn kritisch begleitenden Medien an den Pranger stellt, sollten wir Leser uns des Wertes der journalistischen Wächter besinnen. Ja, es gibt leider genügend schwarze Schafe, die ihre Macht missbrauchen und der subjektive Blickwinkel ist immer dabei – ein Knackpunkt bei der anschließenden Diskussion mit den Filmemachern. Auch die Deutungsmacht der Journalisten ist längst durch social media in den Hintergrund geraten. Die Einwürfe des Holzkirchner Publikums zeigten, dass hier eine große Verunsicherung herrscht. Drehbuchautor Christian Aichner setzt dem eine schlichte Tatsache entgegen: Fake News seien keine Nachrichten. Sie sollten deshalb nur Fakes heißen – Lügen eben.