Die modernen Frauen des Atelier Elvira
v.r. Sophia Goudstikker und Anita Augspurg gründeten das „Atelier Elvira“ in München. Bildgestaltung: Christoph Sauter
Ausstellung und Buchrezension
In Augsburg ist derzeit die Ausstellung „Die modernen Frauen des Atelier Elvira in München und Augsburg 1887 – 1908“ zu sehen. Im Mittelpunkt stehen drei höchst erfolgreiche Unternehmerinnen, die im ausgehenden 19. Jahrhundert Geschichte schrieben – und von denen die heutige Frauenbewegung noch immer lernen kann. Begleitend erschien beim Volk Verlag ein umfangreich illustrierter Text- und Bildband.
Die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung begeben sich auf Spurensuche nach diesen drei außergewöhnlichen, modernen Frauen und ihrem Erfolg. Die Fährte wurde sorgsam ausgelegt vom Kuratorenteam Ingvild Richardsen, Christoph Sautner und Daniel Karrasch. Die promovierte Literaturwissenschaftlerin Ingvild Richardsen beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Persönlichkeiten der Münchener Frauenbewegung. 2018 kuratierte sie bereits die erfolgreiche Ausstellung Evas Töchter in der Monacensia.
Blick in die Ausstellung im Grafischen Kabinett der Kunstsammlungen & Museen Augsburg. Foto: KMA, Monika Harrer
Enge Verbindung zur Emanzipationsbewegung
Das erste rein frauengeführte Fotoatelier Elvira gehörte zu den schillerndsten Plätzen jener Zeit in München. Dank der über zehn Jahre währenden akribischen Forschungsarbeit Ingvild Richardsens weiß man heute, dass es zugleich die „Keimzelle“ der Münchener, wenn nicht gar der gesamtdeutschen Frauenbewegung war.
Hoffotografin und Frauenrechtlerin
Gegründet von Sophia Goudstikker und ihrer Lebensgefährtin Anita Augspurg, gelangte das Atelier Elvira rasch zu Berühmtheit. Von Anfang an standen nicht nur Kunstschaffende vor der Kamera, sondern auch die bayerische Königsfamilie. Sophia Goudstikker erhielt den Titel der Hoffotografin neben zahlreichen weiteren Titeln. Sie war Mitbegründerin der Gesellschaft für geistige Interessen der Frau, dem späteren Verein für Fraueninteressen. Sie gründete 1898 die Rechtsschutzstelle für Frauen in München und war ab 1908 die erste vor Gericht zugelassene Verteidigerin von Frauen und Jugendlichen in Deutschland.
Anita Augspurg studierte Rechtswissenschaften in Zürich und war 1897 Deutschlands erste promovierte Juristin. Sie engagierte sich für das Frauenstimmrecht sowie die internationale Frauen- und Friedensbewegung und hatte großen Anteil daran, dass im Jahr 1919 Frauen in Deutschland erstmals wählen durften.
Unbekannte Schwester und Rilke-Freundin entdeckt
Interessante Details aus dem Leben der bisher kaum bekannten jüngsten Schwester Sophia Goudstikkers, Mathilde, kamen im Zuge der Recherchen zur Ausstellung ans Licht. Sie wurde – erst 17-jährig – zur Geschäftsführerin der 1891 eröffneten Augsburger Filiale des berühmten Atelier Elvira. Dass sie im Münchener Haupthaus bei einem Fototermin Rainer Maria Rilke kennenlernte, der ihr daraufhin schwärmerische Briefe schrieb und sogar ein Theaterstück widmete, ist anhand der überlieferten Briefe Rilkes dokumentiert. Später machte Mathilde Goudstikker als Architekturfotografin auf sich aufmerksam.
Kuratorin Dr. Ingvild Richardsen erläutert wichtige Forschungsergebnisse. Foto: Monika Harrer
Neue Forschungsergebnisse
Die Ausstellung und der parallel erschienene Begleitband beleuchten aufschlussreich das Leben und das Wirken der drei außergewöhnlichen Frauen und zeigen neue Forschungsergebnisse. Sogar die bisher unbekannte Namensgeberin des Ateliers konnten die Kuratierenden durch eine neu entdeckte Textquelle als die bayerische Prinzessin Elvira identifizieren, die von 1868 bis 1943 lebte. Im Rahmen der Ausstellung kolorierte Christoph Sauter eine Fotografie des Fassadenornaments des Atelier Elvira anhand seiner aufwändigen Recherchen möglichst originalgetreu. Es wurde 1898 von dem Jugendstil-Architekten August Endell erschaffen. Der Neubau am Englischen Garten galt als Initialwerk des Münchner Jugendstils und Auslöser eines deutschlandweiten Skandals mit seiner überbordenden Ornamentik. Bereits 1937 wurde das Fassadenornament durch die Nationalsozialisten abgeschlagen, das Gebäude selbst im Zweiten Weltkrieg zerstört und die Geschichte des Atelier Elvira zum Mythos.
Umfangreche Forschungsergebnisse im Begleitband
Erschienen beim Volk Verlag. Covergestaltung: Christoph Sauter
Ein umfangreicher Begleitband fasst anhand unzähliger Briefe, persönlicher Dokumente und Fotografien die umfangreichen Forschungsarbeiten der Kuratierenden zusammen. Anlässlich der Ausstellung entstanden, ist er jedoch ein eigenständiges Werk, in dem zahlreiche namhafte Experten in Aufsätzen ihre langjährigen Forschungsarbeiten zu beiden Ateliers präsentieren, die weit über die Ausstellung hinaus gehen. Sie erzählen vom Einfluss der drei schillernden Frauengestalten auf die Münchener Frauenbewegung, interpretieren den skandalträchtigen Neubau des Münchner Ateliers und legen Zeugnis ab über den Einfluss der drei modernen Frauen auf ihre Zeit.