Fünf starke Frauen
Stephanie Rühl, Sepp Brugger, Theresia Benda-Pelzer, Stephan Rühl, Heidi Völkl, Ursula Lippkau (v.l.), Foto: Ruth Alexander
Freilichtbühne im Waitzinger Park, Miesbach
Ein großes Gemeinschaftswerk feiert Premiere: Walter Kohlhauf inszeniert mit der „Rumplhanni“ von Lena Christ einen bayerischen Klassiker auf der Freilichtbühne im Waitzinger Park. Eine realistische Zeitreise in die bäuerliche Welt vor hundert Jahren.
Besser hätten die Bedingungen an diesem Freitag, den 13. nicht sein können: Ein traumhafter Sommerabend garantierte das, womit Freilichtveranstalter stets hadern: bestes Wetter und angenehme Temperaturen. Und so ließen sich die 270 Zuschauer von Walter Kohlhauf und seinem Ensemble mitnehmen nach Miesbach im Jahr 1914, genauer in die Wies. Doch die scheinbare Idylle, die einem die schmucken bäuerlichen Kulissen zunächst vermitteln, trügt: der Krieg hält Einzug im Oberland. Die Einberufungsbescheide sind verschickt und wer noch keinen hat, meldet sich freiwillig – Ehrensache. Die Euphorie ist historisch belegt: diesen Krieg sah man damals als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
Es scheint, als wären es bei der „Rumplhanni“ die Frauen, die schon damals mehr Weitblick und Realismus hatten. Schließlich fehlen die jungen Männer am Hof und in der Schmiede als Arbeitskräfte – vielleicht ja sogar auf Dauer. Am lautesten klagen da die Hauserin (Heidi Völkl) und ihre Mutter, die Kollerin (Theresia Benda-Pelzer).
Die Rumplhanni (Ursula Lippkau) beichtet dem Simmerl (Sepp Brugger), dass sie ein Kind von ihm erwartet, Foto: Ruth Alexander
Die Burschen fehlen aber auch als Liebhaber: vor allem der Simmerl (Sepp Brugger), Sohn der Hauserin der Rumplhanni (Ursula Lippkau), die bei den Hausers als Dienstmagd arbeitet. Die Hanni hat sich Ziele gesetzt, sie will den Hof übernehmen. Aber das geht nur, wenn der Simmerl sie zur Frau nimmt. Kurz bevor der die Wies verlässt, dichtet sie ihm ein Kind an und will ihm damit sein Eheversprechen entlocken.
Status versus Freiheit
Immer wieder lässt Walter Kohlhauf in seiner Inszenierung durchscheinen, wie sehr der gesellschaftliche Status das Leben vor hundert Jahren prägte. Wie die Kollerin beim Honigschleudern vor Arbeit stöhnt und flucht – mit Wonne hört man Theresia Benda-Pelzer zu, wenn sie die Rumplhanni „Malefiz“ schimpft, weil die am Feiertag lieber in die Kirche geht als zu arbeiten. Überhaupt ist Benda-Pelzer die herausragende Darstellerin des Abends. Ihre verbitterte und böse Art transportiert sie mit jeder Faser ihres Spiels, ihre Präsenz auf dieser Freilichtbühne spürt selbst der Zuschauer in den hintersten Reihen. Oder wenn die Ödenhuaberin (Claudia Rühl) der Hanni, als die bei den Hausers vom Hof geworfen wird, weil der Altbauer ihr auf die Schliche gekommen ist, sie der Gastwirtschaft verweist, weil für so „oane wia di ham mir da koan Platz.“ Die beiden Frauen sind in der alten Ordnung verhaftet und halten mit allen Mitteln daran fest. Sie reagieren auf die dahergelaufene Rumplhanni, die „Pfannaflickadirn“, nur mit Häme und Boshaftigkeit – weil sie spüren, dass die eine Unabhängigkeit und Freiheit in sich trägt, die sie nie werden erreichen können.
Zielstrebig und wortgewandt
Ursula Lippkau verkörpert dieses jugendliche Selbstbewusstsein der Rumplhanni ausgesprochen gut. Die 29-Jährige, die schon in diversen Stücken bei den „Waller Brettlhupfern“ Theaterluft schnupperte, ist eine emanzipierte Hanni und damit ihrer Zeit weit voraus. Erzogen wurde sie von der Rumplwabn, ihrer Großmutter (Simona Eckl). Auch sie ist eine starke Frau, anerkannt bei den Männern für ihre Weisheit, bespottet und gefürchtet von den hiesigen Frauen als „Kräuterhex“. Doch während die Wabn sich mit ihrem kärglichen Dasein in der Wies abgefunden hat und Hannis Pläne von der vorgetäuschten Schwangerschaft nicht gutheißt, bereitet die sich schon auf die nächste Herausforderung vor: München. Denn der reiche Staudenschneider Girgl, der ihr Avancen macht, hat ihr „zu wenig im Kopf und zu viel auf dem Buckel“.
Für den Staudenschneider (Florian Ruml) hat die Rumplhanni (Ursula Lippkau) nichts übrig, Foto: Ruth Alexander
Nach einer längeren Umbaupause verwandelt sich die bäuerliche Szenerie, bei der übrigens zwei Gebäude aus dem Salzburger Freilichtmuseum als Vorlage dienten, in die bayerische Hauptstadt. Waren die Häuser in der Wies noch geschraubt und gehämmert – da profitierte das Team von der Handwerkskunst vieler Beteiligter und der professionellen Erfahrung eines Stefan Baumgartner, der als Bühnenmeister die Werkstätten des Bayerischen Staatsschauspiels leitet – so tut sich jetzt eine Kulisse auf, die mit Fotos von Großstadthäusern bestückt ist. Lediglich die Gastwirtschaft in der Mitte der Szenerie, eine ärmliche Wohnung und der Kerker bleiben reale Spielstätten.
Armut und Reichtum dicht beinander
Kerker? Mit dem macht die Rumplhanni kurz nach ihrer Ankunft in München Bekanntschaft. Unverschuldet gerät sie in einen Tumult zwischen der Polizei und einem Ganoven und landet so über Nacht im Kittchen. Dort trifft sie auf die Weinzierl Franzi (Susanne Kray), die einsitzt, weil sie immer mal wieder Holzscheite klaut – um ihre Kinder und ihren kranken Mann durchzubringen. Hanni lernt nun echte Armut kennen, als sie bei der Franzi als Obstverkäuferin Unterschlupf findet.
Die Weinzierl Franzi (Susanne Kray) zeigt der Rumplhanni, wie sie Obst verkauft, Foto: Isabella Krobisch
Es kommt die starke fünfte Frau ins Spiel. Wegen der Krankheit ihres Mannes hat die Franzi gar keine andere Wahl, als ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Die schiere Not treibt sie dazu, eigene Entscheidungen zu treffen, die sie auch immer wieder ins Gefängnis bringen. Dort überbringt ihr die Hanni schließlich die Nachricht vom Tod ihres Mannes. Nun muss die Franzi an sich und ihre drei barfüßigen Kinder denken und entlässt die Rumplhanni. Doch die ist ein Stehaufweibchen und bewirbt sich sogleich in der Gastwirtschaft „Martlbräu“ als Küchenhilfe. Als ihr Wunsch-Ehemann Ferdl (Benedikt Bernöcker), der Sohn im „Martl“, ihr eine reiche Dame aus der Münchner Gesellschaft vorzieht und im Krieg fällt, verbindet die Hanni schließlich das Angenehme mit dem Nützlichen und heiratet den hiesigen Metzger (Klaus Ruml), um mit ihm die Gastwirtschaft von der Martlbräuwirtin (Veronika Walther) zu übernehmen. Hanni ist endlich am Ziel angelangt: „Glei frisch drauf los und mitten eine ins Glück“, wie es im Roman bei Lena Christ heißt.
Ihrer Zeit voraus
So wie die Rumplhanni war auch Lena Christ ihrer Zeit weit voraus. 1881 in Glonn geboren, veröffentlichte sie schon 1912 ihren ersten Roman – zu einer Zeit, als das Frauenwahlrecht im Deutschen Reich noch Jahre entfernt war. Die „Rumplhanni“ ist ein Stück, das die Frauen in den Mittelpunkt rückt, Männer spielen nur Nebenrollen. Walter Kohlhauf hat das verstanden und sehr gut umgesetzt. Gewonnen hätte die Inszenierung noch durch eine straffere Szenenfolge, vor allem im ersten Teil, der ein wenig langatmig war. Gekonnt nutzte der Regisseur die Umgebung der Trachtenhütte für die Inszenierung, inklusive eines fahrenden Pferdefuhrwerks. Und so durften auch die Pferde Hannerl und Wendy nicht fehlen, als sich am Ende alle Beteiligten vor dem Publikum verneigten, bevor das nach Hause durch die mittlerweile kalte Nacht eilte.