Die Zukunft der Medien ist die Zukunft der Demokratie
Dr. h.c. Wolfgang Thierse und Georg Mascolo, Foto: Ruth Alexander
Tagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing, Tutzing
Journalismus versus Fake News – die Sommertagung des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie in Tutzing griff ein Thema auf, das viele umtreibt.
Dass diese Tagung an einem derart an Aktualität aufgeladenem Wochenende stattfinden würde, hatten sich die Organisatoren Wolfgang Thierse, Leiter des Politischen Clubs, und Akademiedirektor Udo Hahn vor einem Jahr sicher so nicht vorgestellt. Einen Tag davor war die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU in Berlin kurzzeitig ins Wanken geraten. Der Konflikt ist nun erstmal vertagt, noch weiß niemand, ob es zum Bruch kommt und wenn ja, mit welchen Folgen.
Wolfgang Thierse zeichnet Bild der Realität
Aber zurück nach Tutzing, wo die Wellen im Starnberger See nicht ganz so hoch schlugen an diesem Wochenende. Und doch ging Wolfgang Thierse in seiner Einführung direkt in medias res. Er zeichnete ein Bild der Realität, in der sich die Gewichte von den traditionellen Medien hin zum Internet und den so genannten sozialen Medien hin verschieben. Eine Fragmentierung des gesellschaftlichen Diskurses sei die Folge, in dem Manipulationen und Fake News Tür und Tor geöffnet seien. Der politische Populismus sei die Frucht dieser Veränderung. Eine Bedrohung der politischen und ökonomischen Macht wäre längst sichtbar. Sein Postulat „Die Zukunft der Medien ist die Zukunft der Demokratie“ stand für mich als Richtschnur über der gesamten Tagung.
Ulrich Wickert, ehemaliger „Tagesthemen“-Moderator, hielt die Auftaktrede bei dieser Sommertagung, Foto: Ruth Alexander
Ulrich Wickert ging die Sache philosophisch an, zitierte Kant. Die Aufklärung, das Handeln in Freiheit und Verantwortung, sei der Maßstab für den Journalismus, nur dann könne man sein „Handwerk“ gut ausüben. Aktuell konstatierte er eine „Banalisierung der Öffentlichkeit“, in der weniger Platz (im Kopf) für kritische Berichterstattung sei, in dem der Journalist Teil des „Amüsierbetriebes“ werde, in dem seine Berichterstattung vom Voyeurismus getrieben sei. Wickert zitierte schließlich noch seine frühere ARD-Kollegin Golineh Atai, die davon spricht, dass die Angst vor einem Shitstorm zur Selbstzensur führt.
Die Legitimationskrise des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks
Der relative frischgebackene Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue beschäftigte sich mit der Frage, warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk in diversen europäischen Ländern in einer Legitimationskrise stecke. Ist er „zu fern – zu abgehoben – zu elitär“? Bilde „Social Media“ das wahre Leben ab, sei das die wahre Bürgernähe? Facebook und Google seien auch perfekte Distributionsmaschinen, die die Entfremdung des Publikums von den traditionellen Medien noch verstärken würden. Raues Ziel ist die „Re-Humanisierung des Berufs der Medienarbeit“. Starker Tobak. Aber vielleicht muss man manchmal auch provozieren, um zu dem zu kommen, was Raue fordert: die Qualitätsmarke Journalismus stärker hervorzuheben, die Angebote gerade der Öffentlich-Rechtlichen zu entschlacken – und zu personalisieren, also mit persönlichen Empfehlungen die Distanz zum Publikum abzubauen. Das sieht er als einzige Chance für ein Überleben des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Unbedingt sacken lassen musste man diese Sätze bei einem Bier in den Salons des Schlosses.
Emotionale Dauererregung
Georg Mascolo, der Leiter des Rechercheverbundes von NDR, WDR und SZ begann am nächsten Morgen nicht minder dramatisch: „Unsere Glaubwürdigkeit als Journalisten ist bedroht.“ Um im nächsten Satz zu sagen, dass wir selber dafür auch einen Teil der Verantwortung trügen. Wichtigstes Kriterium dafür: die Dauererregung. Was läuft schief? Behauptungen würden ungeprüft übernommen, man gestehe keine Fehler ein und es sei mittlerweile einfach geworden, uns Journalisten in die Irre zu führen. Mascolo nahm Bezug auf einen gefälschten Tweet eines Redakteurs des Satiremagazins „Titanic“, der seinen Twitter-Account als Nachrichtenseite des Hessischen Rundfunks ausgegeben hatte und dort meldete, dass Innenminister Seehofer die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU aufkündige. Der Tweet schlug hohe Wellen, zahlreiche Medien und eine Nachrichtenagentur fielen darauf rein, sogar der Dax verlor ein halbes Prozent. Die Konsequenz für Mascolo: Journalismus müsse wieder Ort der Mäßigung und des zweiten Gedankens werden, sonst verfälsche er seine eigene Substanz und stelle sich damit selbst in Frage. Der gestandene Journalist – und als solcher saß Mascolo vor uns – sei unvoreingenommen und aufrichtig und könne zwischen Fakt und Fake unterscheiden.
Auch ZDF-Chefredakteur Peter Frey stellt die Frage nach der Glaubwürdigkeit im Nachrichtenjournalismus, Foto: Ruth Alexander
ZDF-Chefredakteur Peter Frey fand einen persönlichen Einstieg, in dem er auf Alexander Gauland und seinem Postulat, die NS-Zeit sei ein „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte Bezug nahm. „Die Verschiebung des Sagbaren schmerzt mich“. Die AfD repräsentiere eine Stimmung in der Bevölkerung, man solle sie auch nicht größer machen also sie sei. Trotzdem sei ihr Ausschluss aus den Talkshows nicht die richtige Antwort, damit wäre die Partei nur in ihrer Opferrolle bestätigt. Frey warnte davor, Ausdrücke wie „Lügenpresse“ unreflektiert zu übernehmen. Denn schließlich habe dieser im historischen Kontext eine eindeutige antisemitische Konnotation. Journalisten hätten in Zeiten des Internets ihre Gatekeeper-Funktion eingebüßt, auf Social Media sei eine Parallelgesellschaft entstanden. Die Struktur der Öffentlichkeit habe sich dadurch verändert, es gäbe neue Rahmenbedingungen, neue, prägende Grundströmungen, die eine offen, die andere geschlossen.
Vertrauen in öffentlich-rechtlichen Rundfunk ungebrochen
Trotzdem will Frey nicht von einer Krise des Journalismus sprechen. Dieser werde in den kommenden Jahren mehr gebraucht denn je. Es gäbe auch keine Medienverdrossenheit, das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei ungebrochen. Es ginge aber darum, Vertrauen zurückzugewinnen: indem wir unseren Job machen, kritisch berichten, unsere Arbeitsweise erklären und Fehler zugeben. Mit Menschen, auch Zweiflern müsse man ins Gespräch kommen, ob digital oder analog. „Verstehen ist nicht das Gleiche wie Verständnis haben oder sich mit einer Sache gemein machen“. Dabei gehe es auch um das Funktionieren der Demokratie, so Frey.
Die Macht über die Kontrolle der Inhalte verloren
Nach der Mittagspause wurde es dann noch konkreter: Christian Feld, der künftig im ARD-Hauptstadtstudio arbeiten wird, beschäftigte sich mit fake news und Hassbotschaften im Internet und der Frage der Praktikabilität des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. SZ.de-Chefredakteurin Julia Bönisch offerierte dem zum Großteil älteren Publikum des Politischen Clubs einen Einblick in die Arbeitsweisen einer Online-Redaktion. Hängen blieb hier ihr Satz „Wir haben die Macht über die Kontrolle der Inhalte verloren.“ Die Verlegerin Alexandra Holland, die unter anderem die Augsburger Allgemeine verantwortet und mit dieser eine stabile, respektable Auflage verzeichnet, sieht in der digitalen Herausforderung eine Anstrengung, die auch spannend ist. Man sei nun „auf Augenhöhe mit den Lesern“. Und schließlich BR-Chefredakteur Christian Nitsche, der über die manipulative Kraft der Algorithmen sprach und vom Projekt seines Intendanten Ulrich Wilhelm berichtete, eine eigene europäische Plattform als Pendant zu Facebook aufzubauen.
CSU-Generalsekretär Markus Blume, Medien-Staatssekretärin Heike Raab, Grünen-Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner und Wolfgang Thierse, Foto: Ruth Alexander
Am Sonntag hatte schließlich noch die Politik das Wort. Markus Blume, Heike Raab und Tabea Rößner sahen alle ihre Aufgabe darin, Medienfreiheit, Medienvielfalt und demokratische Kommunikationskultur zu erhalten und wieder zu stärken – mit unterschiedlichen Instrumenten. Einer eigenen europäischen Plattform erteilte Markus Blume eine Absage – dieser Zug sei abgefahren. Vielmehr ginge es um eine wirkmächtige Regulierung der Digital-Riesen, damit auch dort bestimmte Inhalte ausgespielt werden und nicht nur das, was „außergewöhnlich“ sei. Wolfgang Thierse zitierte am Ende der Tagung Hanns-Joachim Friedrichs: „Guter Journalismus macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer Guten.“ Doch mit der Sache der Demokratie könne und müsse man sich sehr wohl gemein machen, so Thierse.
Friedrichs starb 1995. Das war die Zeit, in der in ganz Europa Demokratie, Freiheit und Menschenrechte bejubelt wurden.