Dinner mit Risiko
Risiko. Foto: pixabay
Podiumsdiskussion in Bad Heilbrunn
„No risk – no fun“ heißt es für die Einen, „Nur kein Risiko!“ für die Anderen. Risiken begleiten unser Leben, sie können uns lähmen, inspirieren und herausfordern. Die „Stiftung Nantesbuch“ hat am 9. Juli zu einem Kamingespräch mit Dinner eingeladen, bei dem Fachleute und Besucher über den Umgang mit Risiken diskutierten.
Jetzt auch noch Corona – viele Menschen werden schier erdrückt von den Risiken, mit denen sie täglich leben müssen. Krankheiten und Kriminalität, wirtschaftliche Existenzangst, Naturkatastrophen, die Zerstörung der Umwelt, all das wird als Bedrohung wahrgenommen, der man sich kaum entziehen kann.
Die den Kick suchen
Aber es gibt auch das Gegenteil: Menschen, die den Kick suchen, die den Adrenalinschub brauchen, wenn sie gerade noch einmal mit dem Leben davongekommen sind, die das Gefühl haben, erst alle persönlichen Potenziale freisetzen zu können, wenn eine Krisensituation das erfordert.
Die „Stiftung Nantesbuch“, die sich in ihrem wunderbaren Tagungszentrum am Ortsrand von Bad Heilbrunn auf vielfältige Weise mit Themen rund um Kunst und Natur beschäftigt, hat dem Phänomen „Risiko“ eines ihrer Kamingespräche gewidmet und zu den drei Gängen eines exzellenten Abendessens drei fachkundige Redner gebeten, Gedanken rund um das Thema zu präsentieren.
Hajo Netzer: „Ich bin süchtig nach dem Risiko“. Foto: Marc Tügel
Den Anfang zur Vorspeise machte Hajo Netzer, Bergführer und Sozialpädagoge, der bereits vier 8000er, also fast die höchsten Berge der Welt, bestiegen hat und dabei immer wieder sein ganzes Können und alle Kräfte mobilisieren musste, um heil aus dem Abenteuer herauszukommen. „Solche Herausforderungen generieren die intensivsten Momente meines Lebens. Das ist wie ein Rausch, den ich immer wieder brauche. Ich bezeichne mich da selbst als Suchtkranken“, bekannte er. Was ihn treibe, sei nicht Todessehnsucht, sondern Lebenswillen, Lebensmut und eine ganz tiefe Lebensbejahung.
Florian Malzacher: „Theater ist fragil und risikoreich“. Foto: Marc Tügel
Zum Hauptgang stand Florian Malzacher hinter dem Rednerpult. Er ist freier Kurator, Dramaturg, Buchautor und Leiter zahlreicher Festspielveranstaltungen und näherte sich dem Thema vom Theater her. Zum Wesen des Schauspiels gehört, dass Produktion und Rezeption des Kunstwerkes im selben Augenblick geschehen, es ist damit fragil und mit hohen Risiken behaftet.
Risiko des Scheiterns
Malzacher erinnerte an Christoph Schlingensief, der zum Beispiel mit spontanen, gegensätzlichen Regieanweisungen für seine Schauspieler während der Aufführung oder mit geistig behinderten Protagonisten auf der Bühne fast unkalkulierbare Entwicklungen während der Vorstellungen provozierte und damit auch ein bewusstes Risiko des Scheiterns eingegangen ist.
Wohl die bekannteste Ikone des Risikos ist die Künstlerin Marina Abramović, die sich in vielen Aktionen völlig schutzlos ihrem Publikum ausgeliefert hat und erkennen musste: „Wenn ich sie alles tun lasse, dann riskiere ich, dass sie mich umbringen.“
Dr. Rainer Sachs: „Zahlen geben ein Gefühl von Sicherheit“. Foto: Marc Tügel
Das Dessert begleitete der Vortrag von Rainer Sachs, einem Risikoforscher, der auf 20 Jahre Risikomanagement für die Finanzindustrie zurückblicken kann. Seine wichtigste Erkenntnis: Risiko wird sehr subjektiv wahrgenommen und eingeschätzt. Alle Zahlen, Kurven und Schaubilder dazu sollen ein Gefühl der Berechenbarkeit, Verlässlichkeit und Sicherheit vermitteln.
Unrealistische Fantasiegebilde
In seiner beruflichen Laufbahn, so erzählte er, habe er alle möglichen Szenarien zum Beispiel von Pandemien, Finanzcrashs, Klimakatastrophen und sozialen Unruhen entwickelt. Zumeist wurden sie jedoch für unrealistische Fantasiegebilde gehalten – bis sie Realität wurden. Für ihn sei es daher gar nicht abwegig, dass sich Menschen hierzulande ernsthaft mit der Bedrohung durch Erdbeben oder der Lebensgefahr durch einen Blitzeinschlag beschäftigen, aber den allgegenwärtigen Todesursachen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Krebs kaum Beachtung schenken.
Fishbowl: Ohne Risiko gibt es keine Entwicklung. Foto: Marc Tügel
Bei der abschließenden Diskussion im großen und kleinen Kreis brachten sich viele Teilnehmer mit persönlichen Gedanken und Erlebnissen in das Thema ein. Immer wieder war dabei das Bemühen zu spüren, Risiko auch als positive Herausforderung und Entwicklungsmotor zu sehen. Rainer Sachs brachte diese Überlegungen mit dem Satz auf den Punkt: „Das größte Risiko für mich ist, aus Angst vor dem Risiko mein Leben nicht mehr zu leben.“
Lesetipp: Ort der Achtsamkeit – Stiftung Nantesbuch, 32. Ausgabe der KulturBegegnungen, Seite 6