Dreigroschenoper

Triebhaftigkeit, Geldgier und Verrat

Ensemble der „Dreigroschenoper“. Foto: Ludwig Ohla, FLTB

Theaterpremiere in Miesbach

Am Samstag feierte das Freie Landestheater Bayern (FLTB) unter Gesamtleitung von Rudolf Maier-Kleeblatt im Kulturzentrum Waitzinger Keller die Premiere der „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht und Elisabeth Hauptmann mit der Musik von Kurt Weill. Vor ausverkauftem Haus zeigte das Ensemble seine herausragenden Fähigkeiten – und dass dieser Klassiker nach wie vor hochaktuell ist.

Bis auf den letzten Platz belegt war der Festsaal des Waitzinger Keller in Miesbach am vergangenen Samstagabend. Noch bevor der Vorhang sich hebt, ergreift Geschäftsführer und stellvertretender Intendant des FLTB Andreas Haas das Wort: „Schon seit Wochen ist die Vorstellung ausverkauft“, freut er sich über die große Resonanz beim Publikum. Bei seiner kurzen Ansprache begrüßt er auch Bürgermeister Gerhard Braunmiller und Landtagspräsidentin Ilse Aigner, die als Schirmherrin des FLTB fungiert und in der ersten Reihe vor dem Orchestergraben sitzt.

Vorspiel mit der Moritat von Mackie Messer

Als das Licht sich dimmt, stolpert „Hure“ Molly mit wilder Mähne, in roten, kurzen Satinhosen und Mieder hinter dem Vorhang hervor, großartig gespielt von Melanie Renz, einer ausgebildeten Musicaldarstellerin, die auch die Regieassistenz beim Stück übernommen hat.

Dreigroschenoper
Peachum (Andreas Agler), seine Frau Celia (Monika Lachenmeir) und Polly (Nicole Tschaikin). Foto: Ludwig Ohla, FLTB

Als Ansagerin kündigt sie „die Oper für Bettler“ an und das Vorspiel mit dem berühmten Lied, das wohl jeder kennt: die Moritat von Mackie Messer alias Macheath mit den legendären Textzeilen „Und der Haifisch, der hat Zähne und die trägt er im Gesicht.“ Der Song, der die Schandtaten des Gauners im Stück vorstellt, erlangte auch außerhalb des Theaters weltweite Popularität.

Brecht will nicht unterhalten, sondern aufrütteln

Als Bertolt Brecht mit Elisabeth Hauptmann 1928 den Text als Adaption der barocken Londoner „Beggars Opera“ von John Gay verfasste und die Musik dazu von Kurt Weill komponieren ließ, ahnte er nicht, dass dies einer der markantesten Theaterklassiker des 20. Jahrhunderts werden würde. Bei der Uraufführung anlässlich der Wiedereröffnung des Theaters am Schiffbauerdamm in Berlin im gleichen Jahr erntete die Aufführung donnernden Applaus.


Die Gaunerbande von Macheath. Foto: Ludwig Ohla, FLTB

Brecht selbst war entsetzt über diese positive Resonanz, denn er fühlte sich nicht verstanden. Er wollte keinesfalls unterhalten, er wollte aufrütteln. Denn die Idee seines sogenannten epischen Theaters war eine andere: kein romantisches Illusionstheater, bei dem man sich mit den Protagonisten identifiziert, sich in sie hineinversetzt, sondern eine Form der Darstellung, die das Publikum auf Distanz hält und zum Nachdenken anregt.

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Mittel zum Zweck waren dafür Verfremdungseffekte wie etwa die Unterbrechung der Handlung durch Lieder, die direkte Ansprache des Publikums sowie eine karge, abstrakte Bühnenausstattung, die im krassen Gegensatz zu dem stand, was das Publikum dieser Zeit vom klassischen Theater gewohnt war.

Verfremdungseffekte durch reduziertes Bühnenbild

Auch das FLTB greift diese Form der Darstellung auf, auch wenn reduzierte Bühnenbilder heute üblich sind: Es besteht in erster Linie aus zwei riesigen mobilen Elementen mit Stofflamellen, die während des Spiels hin- und hergeschoben werden. Durch sie treten die Akteure in die Handlung ein oder strecken zuweilen während des Singens ihre Hände und Füße hindurch. Beim vielbesungenen Mond über Soho kommt eine Reispapierlampe zum Einsatz, die von Ansagerin Molly getragen wird. Außerdem: Auf der Bühne stehen zwei Mikrofone, in die die Akteure immer mal wieder hineinsprechen oder -singen.


Macheath (Harald Wurmsdobler) und Jenny (Maria Brunauer). Foto: Ludwig Ohla, FLTB

So etwa Polly, die Tochter des Chefs eines Bettlerimperiums, gespielt von der ausgebildeten Sängerin Nicole Tschaikin. Im Beisein ihrer Mutter Celia und ihres Vaters Jeremiah Peachum singt sie den Barbara-Song. Darin erklärt sie ihren erzürnten Eltern, warum sie an einen Verbrecher wie Macheath alias Mackie Messer ihr Herz verloren und ihn geheiratet hat. Tschaikin fällt dabei immer wieder gekonnt aus ihrer wunderbaren Sopranstimme heraus – ein toller Effekt dieser Darbietung.


Polly (Nicole Tschaikin). Foto: Ludwig Ohla, FLTB

Beleuchtungseffekte und brillante Darsteller

Auch die Beleuchtung setzt kräftige Akzente bei der Inszenierung. Sie taucht die Bühne etwa in ein rotes Licht, als Pollys Mutter sich zum „Hurenhaus nach Turnbridge“ aufmacht. Dort besticht sie die Damen, damit sie den verhassten Neu-Schwiegersohn Mackie, der dort regelmäßig verkehrt, der Polizei ausliefern.


Jenny (Maria Brunauer) und Celia Peachum (Monika Lachenmeir). Foto: Ludwig Ohla, FLTB

Die Rolle der Mutter spielt Vollblut-Schauspielerin und Sängerin Monika Lachenmeir, die mit ihrer kraftvollen Bühnenpräsenz die „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ schmettert: „Sein Leben hängt an einem brüch’gen Fädchen“, heißt es darin, „und was hat er im Kopf, der Bursche? Mädchen!“ Übrigens: Den Vater von Polly spielt Andreas Agler, der den skrupellosen Bettlerchef exzellent verkörpert.

Stark auch die Szene gegen Ende des Stücks, als Mackie, gespielt von Tenor und langjährigem Ensemblemitglied Harald Wurmsdobler, im hellen Bühnenscheinwerferlicht steht. Verraten von allen schlägt seine letzte Stunde: Er soll gehängt werden.


Macheath soll gehängt werden. Foto: Ludwig Ohla, FLTB

Seine weiße Kleidung steht im Kontrast zu den schwarzen Kostümen seiner Gegenspieler, den Peachums, und leuchtet dadurch noch heller. Das verleiht ihm den Anschein eines Heiligen und Märtyrers, als ihm alle Protagonisten – sogar seine Frau Polly – einen Strick um den Hals legen.

Dreigroschenoper spiegelt heutiges Weltgeschehen wider

Brechts Dreigroschenoper ist eine Art Abrechnung mit der bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaft der Weimarer Republik. Sie will aufzeigen, wie nah das Gute und das Böse in Menschen beieinanderliegen und wie jeder, vom Gauner bis zum Polizeichef, nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Am Ende wird der Gauner Macheath sogar noch für seine Taten belohnt: Er entgeht dem Strick, wird begnadigt, in den Adelsstand erhoben und erhält noch eine Pension sowie ein Schloss dazu.

„Beim Lesen des Textbuches konnte ich es kaum fassen […], wie aktuell sich dieses Stück präsentiert“, sagt Rudolf Maier-Kleeblatt, Intendant des FLTB. Bereits zweimal zuvor hat sich das Landestheater schon des Stoffes angenommen. 1989 spielte sogar der heute weltberühmte Sänger Jonas Kaufmann mit.

„Die Brutalität der Welt, die Spannungen unter den diversen Interessengruppen, der weltweit zu beklagende Nichtfortschritt bei der Lösung der „sozialen Frage“ – alles findet hier seinen adäquaten Niederschlag“, sagt Rudolf Maier-Kleeblatt weiter. „Aktueller geht es nicht!“, betont er. Das kann man nur bestätigen.

Die nächsten Vorstellungen der Dreigroschenoper des FLTB entnehmen Sie bitte der Webseite. Im Landkreis Miesbach ist das Sprechtheater des FLTB mit „Neues vom Räuber Hotzenplotz“ am 6. April im KULTUR im Oberbräu Holzkirchen zu sehen.

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