Dreiviertelblut

Finstere Diskolieder aus Marias Unterholz

Wenn alles steht und einer sitzt. Dreiviertelblut am Ende des Konzertabends. Foto: Sebastian Urmel Saurle

Konzert in Miesbach

Zufällig treffe ich den Sänger der Band Dreiviertelblut, Sebastian Horn, genannt „Wastl“, nach ihrem Gig im Backstagebereich des Waitzinger Kellers in Miesbach. Er sieht tatsächlich richtig krank und elend aus. Und ich schäme mich ein wenig, dass ich ihm am Anfang des Konzertes sein Kranksein nicht richtig abgenommen habe. Aber wie auch? So gut kenne ich ihn nicht, und für mich war dieser Abend einfach großartig…

Dreiviertelblut als Soundtrack eines Alpsommers

Dreiviertelblut habe ich live noch nicht erlebt. Ganz anders als ihre Platten. Die ersten zwei Alben, „Lieder aus dem Unterholz“ (2013) und „Finsterlieder“ (2016) brannten sich mir in Kopf und Herz ein, als sie mir den Soundtrack zu meinem ersten Alpsommer lieferten. Die kunstvoll-poetischen Texte, die wunderschönen, scheinbar simplen Melodien trugen zwar nicht dazu bei, meine letzten Reserven beim täglichen Käseschmieren zu mobilisieren, dafür gibt es Bands wie „Rage Against The Machine“ oder die „Beastie Boys“. Dreiviertelblut halfen eher über die schwierigen, weil nicht enden wollenden Stunden hinweg, wenn der erste Energieüberschuss verbraucht war, und dennoch weitere zahlreiche Käselaibe meine Pflege erwarteten.

„I schaug heit a bisserl greislig aus, I woaß a ned, warum…..“

Sänger Sebastian Horn leitet den Abend kurz und knapp ein und legt gleich offen, dass er nicht ganz fit ist. Ich selbst habe kaum Vergleichsmaterial was Horns Bühnenpräsenz betrifft und freue mich einfach über „As erschte Moi“ (auch mein erstes Mal!), mit dem der Abend ruhig und zart beginnt. Schon ab Lied zwei, dem „Odelgruamschwimmer“, sitzt Horn nicht mehr auf seinem Stuhl, sondern wandert über die Bühne. Streckt sich. Windet sich. Tanzt. In meinen Augen erobert er sich die Bühne, macht sich mit ihr bekannt und es sich schließlich – eine guruhafte Exzentrik lebend – auf ihr breit und gemütlich. Mich nimmt er damit – krank und schwächlich hin oder her – sofort mit auf die Reise, und eigentlich will ich bald nicht mehr auf meinem Stuhl in Bestlage (zweite Reihe, links außen) sitzen und kleinklein die wenigen Körperteile bewegen, die sich so noch bewegen lassen.

Sitzen bleiben im gediegen bestuhlten Waitzinger Keller fällt mitunter schwer

Ich will Platz haben und genauso wie Horn meinen Gefühlen mithilfe von Bewegung freien Lauf lassen. Will mit ihm mit“rappen“, mich winden, hinknien, hüpfen, tanzen. Doch zunächst wird sitzen geblieben und das Publikum und ich sind dazu verdammt, die Gefühle, die Dreiviertelblut auslösen, voll aufzunehmen, auf uns wirken zu lassen, ohne sie in Bewegungsenergie umwandeln zu können. Die Musik trifft uns ungeschönt und ehrlich mit voller Wucht und Intensität. WOH!!!

Dreiviertelblut
Dreiviertelblut in voller Fahrt. Foto: Sebastian Urmel Saurle

„Diskothek Maria Elend“, „Finsterlieder“ und „Lieder aus dem Unterholz“, von allem etwas

Das Programm ist ein Konglomerat aus allen drei Alben, die die Band bisher veröffentlicht hat. Im ersten Teil des Abends werden viele Songs des neuen Albums „Diskothek Maria Elend“, veröffentlicht Herbst 2018, gespielt, der zweite Teil widmet sich weitestgehend den „Finsterliedern“ aus dem Jahre 2016. Anfangs schreibe ich die Songs noch mit, notiere eine paar musikalische Infos. Letztendlich steht am Ende fast jeder Song-Notiz ein „Geil“! Egal was sie machen, wie sie es machen, sie machen es so verdammt gut!

DreiviertelblutBenjamin Schäfer, Gerd Baumann, Flurin Mück, Luke Cyrus Götze (v.l.n.r). Foto: Sebastian Urmel Saurle

Die Instrumente sind so vielfältig wie die Songs von Dreiviertelblut

Wer sind „sie“? Sänger Horn ist zwar Frontman und irgendwie Dreh- und Angelpunkt der siebenköpfigen Band. Aber eben auch wieder überhaupt nicht, denn neben Gerd Baumann, auf den ich später noch zu sprechen komme, sind fünf weitere Männer auf der Bühne am Werk. Diese richten den ganzen Abend kein Wort ans Publikum. Brauchen sie auch nicht. Sie lassen ihre zahlreichen Instrumente sprechen…

Der Gitarrist Luke Cyrus Götze greift abwechselnd zu drei verschiedenen E-Gitarren und einer LapSteel. Dominik Glöbl spielt Trompete und Flügelhorn und schlägt auch mal gleichzeitig zu seinem Background-Gesang aufs Glockenspiel. Neben ihm wechselt Florian Riedl zwischen der kongenialen Bassklarinette, Klarinette und einem Moog-Synthesizer hin und her. Am Schlagzeug von Flurin Mück hängt ein Haufen zusätzliches Klangerzeugungsbrimborium: Zimbeln, Muschelketten, Glöckchen und eine Triangel ist nur das, was ich vom Zuschauerraum erkennen kann. Den Basspart der Band übernimmt Benjamin Schäfer mal mit Kontrabass und mal mit der Tuba. Außerdem liegen vor fast jedem Musiker zahlreiche Pedale und Steuerungen, die zu benennen ich nicht im Stande bin.

Dreiviertelblut
Florian Riedl, Benjamin Schäfer, Dominik Glöbl (v.l.n.r. ). Foto: Sebastian Urmel Saurle

In der musikalischen Hexenküche

Die Bühne gleicht einer musikalischen Hexenküche. Die Kesselchen, Reagenzgläser und Kolben, in denen es bekanntermaßen blubbert und wabert, sind ersetzt worden durch Instrumente und Effektgeräte. Die Hexenmeister durch die sieben Profimusiker Horn, Baumann und Co, die Klangteppiche, giftig-grüne Melodie-Süppchen und bezaubernde Ohrentränke erzeugen. Ob es Stürme, die Stille des Weltalls, das Paradies selbst, eine schräge Friedhofs-Party oder Frühlingsfreuden sind. All das wird auf der Bühne live erschaffen, geboren, zum Leben erweckt.

Gerd Baumann als ruhiger Gegenpart zum rastlos-umtriebigen Sänger Horn

Musikalisch ist alles da und wunderbar. Da meldet sich nach den ersten Liedern und abgehobenen synchronizitäts-philosophischen hornschen Song-Einleitungen Gerd Baumann, Komponist und Mitgründer von Dreiviertelblut, zu Wort. Horns Geschichte von den drei toten Hasen und dem Fuchs bekommt plötzlich Konkurrenz von drei gestohlenen Antilopen und zwei Bären. Und …endlich erfahren wir, wie und durch wen die Texte der Band eigentlich entstehen und wie viel Haarwuchs Horn an seinen Wadeln hat.

Mir gefällt so etwas. Nein, stopp: ich liebe so etwas. Verschwurbelte Bühnen-Geschichten, Musiker, die miteinander und mit dem Publikum kokettieren und offen sind für Impulse. Mit Baumann kommt eine ganz andere Art des Humors und des Geschichtenerzählens auf die Bühne. Er bietet dem Guru und exzentrischen Einzel-„Gänger“ Horn (dieser ist der einzige, der sich an diesem Abend über die Bühne bewegt) sitzend Paroli und macht damit einen genialen Abend noch genialer.

Dreiviertelblut
Sebastian Horn und Gerd Baumann, die zwei Kreativköpfe von Dreiviertelblut. Foto: Sebastian Urmel Saurle

Es darf getanzt werden

In der zweiten Hälfte gebe ich meinen Premiumplatz auf, um das Spektakel von den leeren, hinteren Reihen des Saales aus, dafür in voller Pracht zu erleben. Irgendwann schnippt Horn quasi nur noch mit dem Finger und das Publikum steht in einem gesammelten, großen Ruck auf und tanzt den „Wuist Du mit mir danzn“-, den „Mai-“, und den „Deifedanz“, so ausgelassen, wie es sich eben zwischen Stuhlreihen tanzen lässt und ich versöhne mich bei diesem wunderbar-verschrobenen Anblick mit der unkommoden Konzert-Bestuhlung.

Je weiter der Abend fortschreitet wird Horn nun auch für mich sichtbar müde und wirkt mitgenommen…und doch entlässt er das Publikum erst nach drei Zugaben um 23.10 Uhr, sodass ein Heimkommen mit der Bob nicht mehr möglich ist…Danke Wastl! Danke Dreiviertelblut! Danke für alles!

Zum Weiterlesen: Großes Kino unterm Wendelstein

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