Ein Monat auf dem Land

Ein magischer Sommer in England

J.L. Carr: Ein Monat auf dem Land. Übersetzt von Monika Köpfer. Foto: Hannah Miska

Buchtipp von KulturVision

Die bereits 1980 unter dem Originaltitel „A month in the country“ in England erschienene und erst kürzlich ins Deutsche übertragene Erzählung „Ein Monat auf dem Land“ scheint wie gemacht für die derzeitige Krise. Die dem Buch innewohnende Ruhe, die Freude des jungen Ich-Erzählers an der Stille und Schönheit der Landschaft, seine Zufriedenheit mit der Einfachheit des Lebens auf dem Land übertragen sich wie von magischer Hand auf den Leser, und der ist am Ende leise beglückt.

Es ist eine leise, zuweilen heitere, und ganz gewiss kluge Novelle, die J.L. Carr da vor vierzig Jahren geschrieben hat, und sie ist federleicht erzählt: Ein kleines Juwel. Umso erstaunlicher ist es, dass das Buch erst vor vier Jahren für den deutschen Leser entdeckt wurde.

Von London nach Yorkshire

Der Protagonist und Ich-Erzähler ist Tom Birkin, ein junger Mann Mitte zwanzig. Er stolpert, so beginnt das Sommermärchen, auf dem kleinen Bahnhof in Oxgodby aus dem Zug – bekleidet mit einem viel zu großen und altmodischen Mantel, mit einem Feldbett unter dem einen und einem Bastkorb unter dem anderen Arm. Oxgodby – ein Dörfchen im nordenglischen Yorkshire – und natürlich regnet es.

Birkin kommt aus London, er hat als Soldat den ersten Weltkrieg überlebt und hat nun, im Sommer 1920, seinen ersten selbständigen Auftrag als Restaurator erhalten: Er soll ein Deckengemälde in der hiesigen Dorfkirche freilegen.

Er begibt sich zur Kirche, wo er von dem recht kurz angebundenen Dorfpfarrer begrüßt wird. Der hat an der Freilegung des Gemäldes eigentlich gar kein Interesse. Jedoch, so hat eine gewisse Miss Hebron in ihrem Testament verfügt, nur wenn das Gemälde über dem Chorbogen freigelegt würde, würden auch eintausend Pfund an die Kirche fließen. Also beißt Pfarrer Keach in den sauren Apfel und erträgt das störende Gerüst nebst Restaurator, der zu allem Überfluss auch noch in der Glockenturmkammer seiner heiligen Kirche Quartier nimmt.

Der unfreundliche Empfang verstärkt Tom Birkins unliebsames „Mitbringsel“ aus Flandern – ein krampfartiges Zucken in der linken Gesichtshälfte – und die Bezahlung für seine Arbeit ist mehr als bescheiden. Doch das ficht ihn nicht an. Er ist voller Neugierde und Vorfreude auf das Gemälde, das er demnächst zutage fördern wird.

Das jüngste Gericht, Botticelli und Mrs. Keach

Als er am nächsten Morgen aufwacht und aus seinem Glockenturm schaut, sieht er eine weite, wunderschöne Landschaft vor sich, hinter einer vom Tau glitzernden Wiese erstrecken sich Weiden und Felder bis hin zu einer dunklen Bergkette am Horizont. Birkin, dessen traumatische Erinnerungen an den Krieg noch längst nicht verblasst sind und dem zu allem Überfluss auch noch die Frau davongerannt ist, packt seinen Proviant aus – Tee, Margarine, einen Laib Brot – und denkt: Dieser Sommer 1920 wird ein sehr glücklicher werden.

Ein Monat auf dem Land
Das schöne Yorkshire. Foto: Hannah Miska

Das Vorhaben wird ihm gelingen. Birkin geht enthusiastisch an seine Arbeit – bald wird er entdecken, dass es sich um ein künstlerisch hochwertiges Gemälde des „Jüngsten Gerichts“ handelt, das er da peu à peu freilegt. Er freut sich an den Farben und Figuren und so ganz nebenbei lernt der Leser etwas über die hohe Kunst des Malens während des Mittelalters.

Die Bewohner des Dorfes nehmen Birkin freundlich auf: Da sind die Ellerbecks, bei denen er bald jeden Sonntag zum Essen eingeladen ist, da ist der skurrile Moon, ebenfalls Kriegsveteran, mit dem sich Birkin anfreundet. Und vor allem ist da Mrs. Keach, die junge Frau des Pfarrers, die von einer atemberaubenden, botticellihaften Schönheit ist, wie nicht nur Birkin findet. Schon bald kommt Alice Keach jeden Tag in die Kirche um den jungen Restaurator bei seiner Arbeit zu beobachten. Die zarte, unausgesprochene Liebe zwischen den beiden wächst, doch Birkin weiß: Alice ist verheiratet. Was findet sie eigentlich, so rätselt er gemeinsam mit Moon, an diesem misslaunigen Pfarrer und wieso hatte der sie gekriegt?

Tee, Cricket und Yorkshire Pudding

Die Erzählung führt uns in das ländliche England Anfang des 20. Jahrhunderts und die England-Liebhaber unter uns kommen voll auf ihre Kosten: Es wird ständig Tee getrunken, es wird Cricket gespielt und sonntags gibt es Yorkshire Pudding. Das Buch ist eine Liebeserklärung an das landschaftlich so schöne Yorkshire, eine Liebeserklärung an die bodenständigen Landbewohner, und ja, und eine ganz zauberhafte, wenngleich unerfüllte Liebesgeschichte. Dennoch: Tom Birkin verlässt Oxgodby – nachdem seine Arbeit getan ist und die ersten Blätter fallen – geheilt von den Wunden des ersten Weltkrieges. Und in seiner Erinnerung wird er diesen magischen Sommer für immer festhalten.


J.L. Carr. Foto: Brendan King, National Portrait Gallery London

J.L. Carr (1912-1994) Lehrer, gründete 1967 einen Verlag und begann zu schreiben. „A Month in the Country“ erhielt auf Anhieb den Guardian First Book Award, wurde für den Booker Prize nominiert und ist in England längst ein moderner Klassiker. „Ein Monat auf dem Land“ DuMont Buchverlag, 2019, 158 Seiten, (Originalausgabe „A Month in the Country“ 1980). 1987 wurde das Buch mit Colin Firth und Kenneth Branagh verfilmt.

Lesetipp: Reflexion, Sorgfalt und Solidarität

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