
Narren des reinen Herzens
Renate Grötsch mit den Gästen Gisela Emmi Riedl, Christian Portenlänger, Jochen Geipel, Kati Östreicher, Christian Hort und Helena Bögl (v.l.). Foto: Manfred Lehner
Theater in Holzkirchen
Das Holzkirchner Komödchen liefert mit „Eine etwas sonderbare Dame“ von John Patrick unter der Regie von Lydia Starkulla ein Bravourstück in der Frage „Wer ist normal?“ ab. Das Ensemble überzeugt mit schauspielerischer Präsenz der durchweg skurrilen Typen.
Skurril sind sie alle miteinander, aber wer von den Personen ist normal? Wer ist sympathisch? Wen möchte man als Freundin oder Freund haben? Das sind die Fragen, die das Stück aus dem Jahre 1950 sehr eindeutig beantwortet. Von aktueller Brisanz, denn eine wichtige Figur ist die republikanische Senatorin Tita, die von Katharina Antonin überzeichnet kreischend, gierig, unsympathisch dargestellt wird.
Aber von Anfang an. Der Plot ist einfach und überzeugend. Millionärswitwe verprasst die Millionen insbesondere für ihre Stiftung, die verrückte Projekte finanziert, so auch ihre eigene Karriere als total unbegabte und erfolglose Theaterschauspielerin. Es gebe genug Stiftungen, die sinnvolle karitative Projekte fördern, sie aber habe die Wichtigkeit des Unwichtigen, die Bedeutung des Sinnlosen kennengelernt und wolle diese finanzieren, sagt Ethel P. Savage.
Renate Grötsch brilliert als seltsame Dame. Foto: ManfredLehner
Mit ihr hat Renate Grötsch eine Rolle, in der sie ihr Talent ausleben kann. Ist die sonderbare Dame im Stück eine Seniorin, verkörpert sie vielmehr die charmante gutaussehende, mit allen Wassern gewaschene Dame nicht mehr ganz jungen Jahrgangs. Sie kann die Facetten der Figur authentisch darstellen, einerseits ihre Einsamkeit, andererseits aber auch ihre Gewieftheit, mit der sie ihre nach den Millionen gierenden Stiefkindern austrickst.
Karl Jakob verkörpert den „normalen“ Juristen Samuel, der alle juristischen Mittel ausschöpft, um an das Geld zu kommen. Pia Brütsch überzeugt als mehrfach geschiedene, recht naiv-dümmliche Lilly Belle, eine „normale“ Figur des Jetsets. Gemeinsam also mit der „normalen“ Senatorin hat das Trio entschieden, die Stiefmutter in die Villa Walfriede einweisen zu lassen, eine Nervenheilanstalt.
Die Stiefkinder Tita (Katharina Antonin), Lilly Belle (Pia Brütsch) und Samuel (Karl Jakob). Foto: Manfred Lehner
Dort wird der Neuzugang sehnlichst von den „Irren“ erwartet. Es ist eine in der Tat etwas verrückte Gruppe. Regisseurin Lydia Starkulla hat es verstanden, jeden der sechs Bewohner mit einer besonderen Verfassung auszustatten, die ihn oder sie absonderlich und sympathisch gleichermaßen erscheinen lassen.
Da ist gleich zu Beginn May, die für Jeffery ein Buch aus dem Regal holen will. Halsbrecherisch steht Kati Östreicher auf einem Stuhl, viel zu weit entfernt vom Regal und beugt sich erfolglos hinüber, von den anderen festgehalten. Diese Szene symbolisiert bereits die Verbundenheit der sechs Gäste der Villa Waldfried.
Jeffery wurde im Krieg abgeschossen und überlebte. Jochen Geipel kann die Überzeugung des Piloten, ein verbranntes Gesicht zu haben, mit der ins Gesicht gezogenen Lederkappe bewegend wiedergeben.
Kati Österreicher, gehalten von Jochen Geipel, Gisela Emmi Riedl, Helena Bögl und Christian Portenlänger. Özlem Boz als Miss Willie schaut zu. Foto: Manfred Lehner
Helena Bögl spielt berührend die Florence, die ihren fünf Jahre alten Sohn Tommy als Babypuppe durch die Gegend trägt.
Gisela Emmi Riedl spielt warmherzig die Seniorin Fairy, die sich merkwürdige Kleider näht und Sorge um die Neue hat: „Hoffentlich ist sie nicht zu schön, Konkurrenz macht mich krank.“
Dramatischer Höhepunkt
Ganz fürchterlich kratzt Christian Portenlänger auf der Geige. Sein Hannibal ist fest überzeugt, ein großer Violinist und gar Komponist zu sein, in seiner Gestik zeigt er die Unsicherheit seiner Figur.
Christian Hort muss sehr viel Text aufsagen. Sein Mr. Paddy spricht eigentlich nicht, kann aber alles sagen, was er hasst, beispielsweise Elektrizität. Und mit diesem Hass bringt er die Geschichte zu einem dramatischen Höhepunkt.
Dr. Emmett (Daniela Scheuenstuhl-Anduleit) erklärt Gästen und Stiefkindern die Lage. Foto: Manfred Lehner
Das Personal der Einrichtung spiegelt zunächst die neutrale Balance zwischen den beiden Lagern, den „normalen“ Unsympathlingen und den „irren“ Sympathieträgern, zwischen denen, die liebenswerte Mrs. Savage steht. Özlem Boz als Miss Willie bemüht sich streng aber leibevoll um ihre Schützlinge. Ihr steht am Ende noch eine besondere Rolle zu.
Daniela Scheuenstuhl-Anduleit hat als Dr. Emmett zu entscheiden, ob der „Patientin“ Savage auf Druck der Schwiegerkinder eine Wahrheitsdroge verabreichen soll, damit diese das Versteck der millionenschweren Obligationen verrät.
Was in der Zeitung steht. Foto: Manfred Lehner
Die flotte Inszenierung gibt dem Stück mit Aktualität eine Menge Tiefgang, etwa die Angst der sechs Gäste vor aktuellen Nachrichten. Zeitungen werden erst nach vier Wochen gelesen, „wenn alles vorbei ist“. Oder die Sehnsucht nach Liebe von Fairy.
Gelungen die Gestik der sechs Gäste, wenn sie in Verlegenheit erstarren, sobald Miss Willie auftaucht.
Liebenswerte Hauptfiguren
Und sehr erfreulich die List von Mrs. Savage, die ihre Stiefkinder an verschiedenen obskuren Plätzen nach den Obligationen graben lässt und sich freut: „Sie werden graben.“
Lieber verbündet sie sich mit ihren neuen Freunden, den „Narren des reinen Herzens“. Sie sind die eigentlichen liebenswerten Hauptfiguren. Und natürlich der große Teddybär von Mrs. Savage.
Die zweite Vorstellung von „Eine etwas sonderbare Dame“
Vor der Vorstellung am vergangenen Freitag sorgte sich Souffleuse Hilde Ammer, die das Komödchen gründete, dass die zweite Vorstellung nach einer gelungenen Premiere meist problematisch verlaufe. Regisseurin Lydia Starkulla meinte am Ende, es sei eine richtige zweite Vorstellung gewesen, aber sie sei zufrieden. Das Publikum, einschließlich der Berichterstatterin merkte nichts, abgesehen von einem kleinen Hänger, und spendete anhaltenden Applaus für eine gelungene Vorstellung.
Zum Weiterlesen: Ein nicht ganz unschuldiger Engel