Mysterium „Bühne“ auf der Leinwand
Ekaterina Zacharova vor ihrem Bild „Victoria“. Foto: IW
Ausstellung am Tegernsee
In der HypoVereinsbank in Rottach-Egern ist derzeit ein neuer Bilderzyklus der Gmunder Malerin Ekaterina Zacharova zu sehen: „Alchemical Dance“. Seit acht Jahren stellt sie regelmäßig hier aus – doch diese Serie ist ein Novum.
Wie kaum eine andere hat die Künstlerin Ekaterina Zacharova in den letzten Jahrzehnten immer wieder Menschen in ihrem Umfeld gemalt, in Augenblicken, in denen sie sich unbeobachtet fühlten und ganz bei sich waren. Allein, in Gruppen, in Alltagssituationen. Der Mensch, das ist ihr Sujet. Sie beobachtet und gibt mit dem Pinsel wieder, was sie auf den Straßen großer Metropolen gesehen und gefühlt hat. Dabei erzählt sie Geschichten von Einsamkeit und Begegnungen und fängt auf der Leinwand manch subtiles Geheimnis ein, das womöglich nicht in Worte zu fassen wäre.
Erfolg, Desillusionierung, Erschöpfung
„Je älter man wird, umso mehr kann man auch die anderen Menschen wahrnehmen“, sagt sie, „mit ihren Gefühlen, mit Angst, Anspannung, Freude und Hoffnung – der ganzen Gefühlspalette.“ Aus diesen sensiblen Wahrnehmungen entstehen die Geschichten, die sie mit dem Pinsel auf die Leinwand bannt. Mit „Alchemical Dance“ hat sie sich nun ein gänzlich anderes Setting vorgenommen: das Ballett, den Mythos „Bühne“. Nicht mehr Menschen, die in stillen Momenten in der Hektik der Großstadtdschungel wie eingefroren wirken, sondern die Bewegung an sich im Spannungsverhältnis zwischen fantastischem Traumkonstrukt und mühevollen Exerzitien, Desillusionierung, Erschöpfung. Und dem Umgang mit Niederlagen. Man könnte sagen, Ballett bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Bewegung und Statischem. Aber auch zwischen Traum und Realität. Licht und Schatten. Erfolg und Abgrund. Zwischen Gruppendynamik und Einzelnem.
Bild „Victoria“ erzählt vom „Aufrichten“. Foto: IW
Warum Ballett? Die Frage lässt sich leicht mit Ekaterina Zacharovas eigener Biografie beantworten. Die Bühnenwelt war ihre erste Berührung mit der Kunst, als sie als junge Frau in Moskau Kostümkunde an der Theaterkunstschule studierte. „Da bist du als kleines Mädchen in diesen großen Theatern und an dir laufen die Weltstars vorbei“, erinnert sie sich. Das Theater und darin auch das Ballett als Kunstform sei immer Überspitzung. Und die Bühnenwelt nicht nur so leicht, wie es auf die Zuschauer wirke, sondern in gewisser Hinsicht auch grausam: „Die Karrieren sind sehr kurz, es gibt Konkurrenz und großen Druck, man muss hart arbeiten und alles aus sich herausholen“, beschreibt sie ihre Erinnerungen, „und da spielen sich sowohl Höhenflüge ab als auch menschliche Tragödien“.
Theater im Theater
Also wieder allerhand Geschichten, die sie herausforderten, auf der Leinwand umgesetzt zu werden. Und doch ganz anders als die Serien zuvor. „Diese Ballettserie ist eine Überspitzung gegenüber meinen vorherigen Bilderzyklen“, erläutert die Künstlerin, „es ist gewissermaßen ‚Theater im Theater‘“. Es sei immer auch ein bisschen heikel, eine solche Kunstform noch einmal in Kunst umzusetzen. Die Gratwanderung: dass es nicht viel zu gekünstelt wirkt.
Das Zwischenmenschliche beobachten
Deshalb war sie mehrfach bei den Proben am Landestheater Salzburg dabei und hat sich wieder hineinbeobachtet in die Prozesse, die Abläufe, die Dynamik, in das Zwischenmenschliche. So zeigt das Bild „Victoria“ beispielsweise einen Bewegungsablauf – den des Aufrichtens. „Das hat mich interessiert, auch, wie man sich nach Niederlagen wieder aufrichtet und dann vielleicht sogar das Gefühl entwickelt, dass nichts mehr schief gehen kann.“
Ekaterina Zacharova „Najaden“ – Gruppendynamik und Außenstehende. Foto: IW
Beim Bild „Najaden“ sieht man die Ballettgruppe auf der Bühne, inmitten schneller, dichter Bewegungen, während eine einzelne Tänzerin bewegungslos, fast mit hängendem Kopf, hinter den Kulissen steht. Die Betrachter können hier rätseln: Warum?
„Das Einsame, das Miteinander, die Gemeinschaft Tanzender, die Außenstehende – ich überlege mir genau, wie ich meine Geschichten erzähle“, beschreibt sie den Prozess, „und muss dabei immer wieder überprüfen: Stimmt es noch oder ist es unstimmig?“ Es ist eine Szene, die Zuschauer des Balletts nicht zu sehen bekommen. Dazu braucht es den Blick hinter die Kulissen, den Ekaterina Zacharova hier gewährt – und zugleich wieder einem Geheimnis auf der Spur ist, dass sie mit dem Pinsel festhält. Die Bühne, ein fast sakraler Platz für alle Mitwirkenden, wird in diesem Bilder-Zyklus zur Metapher für tiefe menschliche Emotionen, Sinnlichkeit, Ängste und Hoffnungen.
Im Spiegel des Probenraums entstehen gleich mehrere Betrachterebenen. Foto: IW
Im verspiegelten Probenraum sind es gleich mehrere Beobachterebenen, die man als Betrachterin des Bildes einnehmen kann. So erzählt jedes der Werke in den Räumen der HypoVereinsbank eine Geschichte, die jeder Betrachter, jede Betrachterin selbst entschlüsseln kann. Die Farben sind leidenschaftlich wie der Tanz, temperamentvoll wie die Künstlerin selbst. Dass zur Vernissage der Ausstellung vier junge Mädchen im Tütü eine Ballettvorstellung gaben, untermalt von Cellomusik des Gmunder Cellisten Rolf-Reinhard Ganßauge, passte hervorragend.
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