Fotograf, Akrobat und schillernder Luftikus
Dr. Peter Czoik hat Feuer gefangen an der schillernden Persönlichkeit des vergessenen Ganghofer-Bruders. Foto: IW
Vortrag am Tegernsee
Die Sonderausstellung „Literatur am Tegernsee“ zeigt Bekanntes und fördert Vergessenes zutage. Letzterem widmete sich Literaturwissenschaftler Peter Czoik mit seinem Vortrag zu Ludwig Ganghofers jüngeren Bruder Emil. Denn genaugenommen begeht man in diesem Jahr am Tegernsee sogar zwei 100. Todestage für Ganghofer(s).
Den Namen Ludwig Ganghofer kennt (beinahe) jedermann, zumindest wer seine Schulzeit in Bayern oder zumindest im Tegernseer Tal absolviert hat. Aber Emil Ganghofer? Nie gehört. Zu Unrecht. Das findet der promovierte Literaturwissenschaftler Peter Czoik, der derzeit häufig am Tegernsee unterwegs ist. Im Rahmen des Projektes Tegernseer LiteraTouren (TELITO) ist er über „Emilio“ gestolpert, wie sich der jüngere Bruder des Schriftstellers Ludwig Ganghofer auch nannte. Über sein schillerndes Leben als Tausendsassa in München, auf den Meeren (ja, richtig gelesen!) und am Tegernsee weiß man tatsächlich wenig.
Liebenswerter „Luftikus“
Sein Leben hat ihm über seine Lebzeit hinaus nicht viel Berühmtheit beschert, nichtsdestotrotz hat der liebenswerte „Luftikus“ offensichtlich seine Zeitgenossen inspiriert. Sein Bruder Ludwig setzte ihm in unterschiedlichen Werken ein Denkmal. Aus der fröhlichen Runde um die Ganghofer- und Thoma-Brüder und deren Freundeskreis, die sich zum wöchentlichen Tarock-Spiel trafen, sind einige lustige Anekdoten überliefert, die ein Licht auf Emils Charakter werfen.
Bei seinem Vortrag im Museum Tegernseer Tal im Rahmen der Sonderausstellung „Literatur in Bayern – Bekanntes und Vergessenes“ stellte Peter Czoik den „vergessenen“ Bruder Ganghofers vor, dessen Todestag sich 2020 ebenso wie der des berühmten Bruders zum 100. Mal jährte – und zwar am 7. März.
Lesetipp: Zum 100. Todestag von Ludwig Ganghofer
„Das Bild Emil ‚Emilio‘ Ganghofers ist wie ein Puzzle, das man aus vielen kleinen Teilen zusammenfügen muss“, erläuterte der Literaturwissenschaftler. Dass er an diesem Puzzlespiel Feuer gefangen hat und dass es sich lohnt, bewies er in seinem Vortrag der interessierten Zuhörerschaft im Museum Tegernseer Tal. Tatsächlich sei wenig von ihm überliefert, mehr noch über ihn. Im Münchener Stadtarchiv, dem Heiratsbuch und im Hypothekenbuch ist er den Spuren Emils nachgegangen. Was zutage kam ist so illuster wie interessant.
Unverzagter Tausendsassa
Emil Ganghofer war offensichtlich ein Multitalent und echter Überlebenskünstler. Er war Schiffsoffizier a.D. und Akrobat auf Skiern, Schlittschuhen und dem Rad, Direktor der Freilufteisbahn in München und Fahrradhändler sowie Fotograf in Egern. 1903 veranstaltete er die erste „Lichtspielvorführung“ im Theatersaal des Egerner Gasthof zur Überfahrt und wurde damit zum Pionier des Kinos am Tegernsee.
Visionäres Marketing: Fahrradverkäufer Emil Ganghofer als Rad-Akrobat in Egern. Foto: KN
Nichts schien ihm wirklich recht zu gelingen oder aber der Multitalentierte hatte immer wieder Lust an Neuem – jedenfalls wurde er nicht müde, sich immer wieder komplett neu auszuprobieren. Sein Bruder Ludwig half ihm ab und an aus der Klemme. Als echten Überlebenskünstler würde man ihn heute wohl bezeichnen. Ludwig Ganghofer nahm ihn als Vorbild zu seiner Autobiographie „Lebenslauf eines Optimisten“. Auch in seiner Novelle „Gewitter im Mai“ taucht eine Seemannsfigur auf, die dem Emilio ähnelt. Überliefert ist, dass er „von vorn auf den Riederstein hinaufgekraxelt“ sei. Ein „echtes Urviech“, bestätigte auch der profunde Kenner der Tegernseer Tal Geschichte Beni Eisenburg.
Emil Ganghofer betrieb ein Fotostudio in Egern. Foto: KN
Fotograf von Bergen und Menschen
Dafür, dass seine Fotografien einige Beachtung und Anerkennung ernteten, fand der Vortragende zahlreiche Belege schriftlicher Art. Aus ihnen geht hervor, dass Emils Arbeiten „dieselbe feinsinnige Auffassung der Natur“ aufwiesen, wie die Texte seines Bruders. „Wie der Schriftsteller führt uns auch der Fotograf das Leben in den Bergen vor Augen“ lautete beispielsweise eine Textpassage, die Peter Czoik bei seinen Recherchen fand. Unter anderem hat Emil Ganghofer demnach für Publikationen des Alpenvereins und auch für Bergbücher fotografiert. Jetzt, so der Literaturwissenschaftler, sei es an der Zeit, auch diese Fotos wieder aus den Archiven und dem Vergessen ans Licht zu heben.
Dankeschön für den gelungenen Vortrag: Birgit Halmbacher und Dr. Peter Czoik. Foto: IW
Birgit Halmbacher, Vorsitzende des Altertums-Gauverein Tegernsee e.V. des Museum Tegernseer Tal, zeigte sich froh, dass trotz Corona und Verzögerungen jetzt doch endlich kleine, feine Vortragsformate im Museum stattfinden können, die die Sonderausstellung abrunden.