‚Enfant terrible‘ und Schriftsteller – die Brüder Ganghofer
Im Kurpark Rottach-Egern stehen die lebensgroßen Skulpturen von Ludwig Thoma, Ludwig Ganghofer und Leo Slezak. Foto: Der Tegernsee, Sabine Ziegler-Musiol
Tegernseer LiteraTouren
Im Jahr 2020 prägten zwei Jubiläen das Tegernseer Tal: der 100. Todestag des zu seiner Zeit erfolgreichsten Autors in Deutschland, Ludwig Ganghofer, und der seines jüngeren Bruders Emil, Multitalent und schillernder Überlebenskünstler. Auf einer leichten, familienfreundlichen LiteraTour werden die ungleichen Brüder an zehn Stationen vorgestellt.
Der etwa vier Kilometer lange Spaziergang beginnt an der lebensgroßen Skulpturengruppe im Kurpark Rottach-Egern. Hier ist Ludwig Ganghofer im künstlerischen Austausch mit seinen Freunden Ludwig Thoma und Leo Slezak dargestellt. Ganghofer hält seine Schreibfeder in der Hand und Thoma seine Tabakspfeife. Tatsächlich wurden die beiden Dichterfreunde öfters als „Goethe und Schiller in Wadlstrümpfen“ bezeichnet. Im Kurpark von „Bayerns Weimar“ werden sie durch Leo Slezak in seiner Pose des Heldentenors zum Trio ergänzt.
Anekdoten um das ‚enfant terrible‘
Tausendsassa Emil Ganghofer. Foto: Hans Halmbacher: Das Tegernseer Tal in historischen Bildern. 3 Bde. Fuchs-Druck, Hausham 1980-87 (Sammlung Hans Halmbacher)
Weiter geht es in die Nördliche Hauptstraße zur Alten Post und einigen Anekdoten zu Emil Ganghofer, dem ‚enfant terrible‘ der Familie und liebenswertem Luftikus. Im Rathaus, dessen Geschichte auch eng mit Kaiserin Sisi verbunden ist, heiratete Emil Ganghofer. Über die Ulrich-Stöckl-Straße und Kißlingerstraße geht es anhand Bertl Schultes Buch „Ein Komödiant blickt zurück“ und der Anekdote „Emil Ganghofer gewinnt eine Wette“ zum Mesner Gütl in der Seestraße. Der Münchener Schauspieler Schultes hatte 1927 die Ganghofer-Thoma-Bühne in Egern im damaligen Gasthaus Überfahrt begründet.
„Um den Mann ist schade“
Ein Ort des „Who’s Who“ der Prominenz am Südende des Tegernsee ist der Kirchenfriedhof in Rottach-Egern, wo auch die Gräber der Freunde Ludwig Ganghofer und Ludwig Thoma liegen – neben Leo Slezak samt Ehefrau Elsa und Maidi Liebermann, der Geliebten Ludwig Ganghofers. Auf dem Friedhof sind auch Emil Ganghofers Sohn Rudi und dessen Frau Maia begraben. Ein literarisches Zeugnis an dieser Stelle ist Ludwig Thomas „Prolog zu Ludwig Ganghofers Gedächtnisfeier in Tegernsee“, der unter dem Tod seines Freundes litt. Er endet mit dem viel zitierten Satz: „Um den Mann ist schade.“ Thoma reservierte sich sogleich das Grab neben dem Freund und wurde bereits ein Jahr später dort begraben.
Grabreihe Ludwig Ganghofer, Ludwig Thoma, Maidi Liebermann von Wahlendorf. Foto: Peter Czoik (TELITO)
Kino, Fotografie und Literatur
Weiter führt der Spaziergang in die Überfahrtstraße zum heutigen Hotel Malerwinkel, wo der berühmte Star der Wiener Staatsoper und Metropolitan Opera New York, Leo Slezak, wohnte und einige Anekdoten über ihn und Ludwig Ganghofer zum Besten gegeben werden. Zum nebenan gelegenen ehemaligen Gasthaus Überfahrt, heute Seehotel Überfahrt, gehörte damals der größte Theatersaal im Bayerischen Oberland. Hier zeigte Emil Ganghofer 1905 die erste Kinovorstellung im Tal anlässlich des Galaabends zum 1. Tegernseer Wintersportfest. Als Stromversorger diente ein riesiges Lokomobile. Bis zum Zweiten Weltkrieg war der Gasthof zur Überfahrt gesellschaftlicher Mittelpunkt im Tegernseer Tal. Zahlreiche Stücke Ludwig Thomas wurden hier aufgeführt und Kiem Pauli organisierte zusammen mit Professor Kurt Huber das erste oberbayerische Preissingen.
Bei Emil Ganghofer am Egerer Spitz, um 1918. Foto: Hans Halmbacher: Das Tegernseer Tal in historischen Bildern. 3 Bde. Fuchs-Druck, Hausham 1980-87 (Sammlung Hans Halmbacher)
Emil Ganghofer und Grete Weil
Gleich nebenan steht Emil Ganghofers ehemaliges Wohnhaus am Egerner Spitz, wo er ein Fotostudio betrieb. Hier fotografierte er auch die spätere Schriftstellerin Grete Weil als Kind, die in diesem Haus zu Welt kam. Ihr Buch „Leb ich denn, wenn andere leben“ gestattet Rückblicke auf das Leben in diesem Haus und ebenfalls auf Emil Ganghofer. Ebenfalls am Seeufer, unweit von hier gelegen, stand das ehemalige Zierschhaus am Schorn. Hier lebte „der Münchner Schriftsteller aus dem Rheinland, von Thoma scherzhaft ‚Köbes‘ genannt“, Walter Ziersch. Er schrieb neben Künstlerbiografien auch Erinnerungsbücher über Ludwig Thoma, in denen auch die Brüder Emil und Ludwig Ganghofer vorkommen, beispielsweise in „Ludwig Thoma spielt Tarock. Ein Strauß Erinnerungen“ aus dem Jahr 1927.
Lesetipp: Peter Czoik: Vortrag Emil Ganghofer – Fotograf, Akrobat und schillernder Luftikus
Direkt vor Emil Ganghofers ehemaligen Wohnhaus, an der schmalsten Stelle des Sees, rudert der „Überfahrer“ seine Fahrgäste über den See. Die Tradition gibt es seit 500 Jahren. Vom anderen Seeufer ist es nicht mehr weit bis zur ehemaligen „Villa Maria“, die Ludwig Ganghofer kaufte, um in der Nähe seines Freundes Ludwig Thoma zu wohnen. Ein unscheinbares Schild an der Tür erinnert heute an den Literaten. Dort endet der Spaziergang.