Textor und Renz – die Meister der Entschleunigung
Entschleunigung pur am Tannerhof mit Textor & Renz. Foto: IW
Konzert in Bayrischzell
Obwohl die beiden jeweils links und rechts von der schwäbischen Alp aufgewachsen sind, singen sie nur in englischer Sprache mit hörbar amerikanischem Einfluss. Wie „Textor und Renz“ es trotzdem schaffen, die tiefe Sehnsucht nach Heimkommen zu wecken, zeigten sie mit Nachdruck am Tannerhof in Bayrischzell.
„Das ist ein abgefahrener Platz“, sagt Henrik von Holtum, alias „Textor“ als ersten Satz des Konzertes im Tannerhof. An den meisten Orten, an denen sie spielen, höre er den Kühlschrank brummen, während im Konzertraus des Tannerhofes nur die „kosmische Stille der heranrückenden Alpen“ wahrzunehmen sei. Die überdimensionale Lichtkugel an der Decke, die mit rotem Samt bezogenen Stehlampen auf der Bühne und der holzverkleidete Raum, der Wärme und Offenheit ausstrahlt. Alles wie geschaffen für die beiden Musiker, die neben Stimme und Ausstrahlung nur Bass und Gitarre mitgebracht haben, um den Abend zu füllen.
Textor & Renz sorgen für Entschleunigung am Tannerhof. Foto: IW
Mehr brauchen sie auch nicht. In einer Zeit der Selbstinszenierung, in der sich Menschen überwerfen, um etwas Besonderes darzustellen, gehen die beiden Musiker ihren eigenen, etwas anderen Weg. Blues und Country brauchen nicht neu erfunden zu werden. Was besticht, ist die Bescheidenheit, schon da Gewesenes auf so authentische Weise zu spielen, das es komplett neu erfunden wird. Dazu spielen sie hinreißende eigene Stücke.
Musik machen ist besser als Yoga
Etwa nach der Hälfte des Konzertes beginne er zu schwanken, meint Henrik von Holtum und Holger Renz nickt zustimmend. Es sei ein Gefühl, das sogar besser als Yoga sei. Genau diesen Zustand übertragen Textor & Renz auf ihr Publikum. Die samtige Stimme von Henrik von Holtum, untermalt von den beiden Instrumenten, die auf Gefühlstiefe gestimmt sind. Hier und da noch harmonischer mit dem Klang von Holger Renzs Stimme. Ein Akkord, der sich über Takte wiederholt und nie langweilig wird. Einige wenige Basstöne, von denen jeder einzelne weiß, dass jetzt sein Moment gekommen ist und er ihn auskostet, so als gäbe es nur das Jetzt.
Lächeln nur selten erlaubt
Textor & Renz. Foto: Gerald von Foris
Die Konsequenz in Liedauswahl und Darbietung, der Mut, alles auf das Wesentliche zu reduzieren, sucht seinesgleichen. Sogar die Zwischenansagen sind minimalistisch. Als bekennende Fans von Aki Kaurismäki schmunzeln sie über dessen Aussage, dass er seinen Schauspielern hin und wieder ein Lächeln erlaube, um es danach herauszuschneiden. Genau wie dem finnischen Filmregisseur gelingt den beiden Musikern die radikale Beschränkung auf das Wesentliche, die einen Charme zutage bringt, dem sich kaum jemand entziehen kann.
Poetisch, dunkel und leise wütend
Sie singen auf beinah fröhliche Weise von Mord und Totschlag in „Bloodprince“, erinnern in „Make a mistake“ daran, dass wir nicht perfekt sein brauchen, und leben in jedem einzelnen Ton, in jedem noch so kurzem Wort, das, was dahintersteht. Das Poetische, Dunkle, leise Wütende, nicht Fassbare. Genau dann, wenn es im Country Song von Hank Williams zu gemütlich wird, erinnern sie mit Dissonanzen daran, dass sie immer tiefer gehen, auch im nettesten Westernsong.
Erst beim ersten Kratzer gehört dir die Schallplatte
Bereits seit zehn Jahren gibt es das gehaltvolle Duo, das zwei CDs herausgebracht hat. Die neue CD mit dem klingenden Namen „The days of never coming back and never getting nowhere“ ist bei Trikon erschienen und – ganz im Stile der Langsamkeit – auch als Schallplatte erhältlich. „Erst wenn sie den ersten Kratzer hat, gehört sie dir wirklich“, meint Henrik von Holtum beim Signieren der verkauften Exemplare.
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Mit dem ersten Kratzer wird sich das Gefühl einstellen, dass es möglich ist, daheim zu sein jenseits der klassischen „Hoamatklischees“. Mit dem ersten Knistern der Platte wird spürbar werden, dass Heimkommen möglich ist im Fremdsein und dass der Mut, sich langsam zu trauen, authentisch zu sein, ansteckend und tröstlich ist.
Markenzeichen: Heimat-G’wand aus der allemannischen Fastnacht – Cover der Platte und CD. Foto: Gerald von Foris/Gestaltung: Walter Schönauer
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