Das Leichte kommt mit voller Wucht
Therese Giehse und Erika Mann. Foto: KULTUR im Oberbräu
Theater in Holzkirchen
Das ensemble peripher feiert mit „Erika und Therese“ eine etwas atemlose Premiere. – Beim Tanz auf dem Vulkan verliert man schnell den Überblick. Und schon das Bühnenbild gemahnt mit seinen wie hingeworfenen Koffern, Taschen, Schirmen und Kleidungsstücken an die kraftvolle Unordnung zweier Biographien, die im Spannungsfeld zwischen Aufbegehren, Aufbruch und Aussichtslogikeit eine ganz eigene Dynamik entfaltet haben.
Das ensemble peripher, namentlich Lydia Starkulla, Antje Hobucher und Kristina Günther, haben die gemeinsame Geschichte von Erika Mann (1905 bis 1969) und Therese Giehse (1898 bis 1975) in einer szenischen Lesung verwoben. Ähnliches war ihnen erfolgreich bereits 2016 mit „Die Nächte der Schwestern Bronte“ gelungen. Die Premiere von „Erika und Therese“ fand nun am 3. Oktober im Holzkirchner Foolstheater, unter Einhaltung Corona-diktierter Abstandregeln versteht sich, vor ausverkauftem Haus statt.
Die Geschichte ist schnell umrissen: Erika Mann und Therese Giehse, auch privat ein Paar, gründeten 1933 kurz vor der Machtergreifung Hitlers das Kabarett „Die Pfeffermühle“ in München. Sie gingen noch im selben Jahr ins Exil und betrieben das Kabarett weiterhin aus dem europäischen Ausland als Stimme gegen den Nationalsozialismus.
Die Verhältnisse prägen die Biografie
Was das Trio Starkulla, Hobucher und Günther, welches stets mit „frechem Weitblick und weiblicher Weltsicht“ (Eigenwerbung) zu Werke geht, an den Lebensläufen von Mann und Giehse fasziniert hat, wird schnell klar: Zwei im besten Wortsinn außerordentliche Lebensentwürfe, die, auf knapp 90 Bühnen-Minuten verdichtet, auch zum Historienpanorama taugen, ohne die orgiastische Buntheit etwa der TV-Serie „Babylon Berlin“ mit ihrer zwangsläufigen Ästhetisierung des Abgründigen bemühen zu müssen. Die Verhältnisse prägen die Biografie – aber die Biografie kann auch gegen die privaten wie politischen Verhältnisse aufstehen, wenn sie muss und wenn sie denn will.
Denn bei allem assoziativen Bezug zur Gegenwart, etwa zur sogenannten Flüchtlingskrise („Werft eure Hoffnung über neue Grenzen“, ein Zitat aus dem „Emigrantenchoral“ des jüdischen Schriftstellers und Kabarettisten Walter Mehring, dessen Bücher 1933 verbrannt wurden), die „erstaunlichen Parallelen“ zum Hier und Jetzt, wie sie das Programmheft etwas reißerisch proklamiert, sind alles Mögliche, aber keineswegs erstaunlich. Vielmehr sind sie eben auch beschämende Gegenwart.
ensemble peripher. Foto: VC
Vielmehr, und darin liegt die Stärke dieser Inszenierung, setzt der historische Kontext (Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Exil, Widerstand, Rückkehr) einen Rahmen, den es braucht, um vor allem die emanzipatorische Kraft dieser faszinierenden, starken Frauenfiguren in den Fokus zu rücken, ohne die auch ihre politische Arbeit, ihr politischer Widerstand wohl nicht denkbar gewesen wäre: Aus dem Privaten erwächst Politisches, das Politische prägt in seiner brutalen Konsequenz das Private. So einfach kann das sein. Und so bedrückend.
Geschichte eines Aufbruchs
So erzählt „Erika und Therese“, entkleidet man sie von allem Zeitgeschichtlichem, die Geschichte eines Aufbruchs, das Freimachen von Konventionen, Selbstbestimmung, eigener Sexualität und politischem Widerstand – und das alles in einer Zeit ohne Gendersternchen, Binnen-I und political correctness. Mehr noch: Es entsteht ein großes, mitunter etwas atemloses wie zeitloses Sittengemälde auf kleiner Bühne, welches vom Theaterbesucher die volle Aufmerksamkeit einfordert, ohne ihn zu überfordern. Das Leichte kommt hier mit voller Wucht.
Lydia Starkulla. Foto: VC
„Die Sonne siegt am Schluss. Warum? Weil solches Licht am Ende siegen muss!“, heißt es am Ende hoffnungstrotzig, ein Zitat aus dem zweiten Exilprogramm, das Erika Mann am 1. Januar 1934 in Zürich aufführte.
Aber da war der Tanz auch schon vorbei.
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