Wie Erinnerungen überleben
Adolf Frankl: Selektion in Birkenau (ÖH 133). Foto: Hannes Reisinger
Thementag in Fratres/Niederösterreich
Einen bewegenden und berührenden Tag bescherten die Organisatoren zur Eröffnung des Sommerprogramms unseres Kulturpartners, der Kulturbrücke Fratres, zum Thema „Zeitzeugenschaft & Gedenkkultur“. Malerei, Fotografie, Texte und Musik dokumentierten das Grauen des Holocaust.
„Ziehen wir Lehren aus der Geschichte oder laufen wir Gefahr, sie zu wiederholen“, fragte Hausherr und Kulturbrücken-Gründer Peter Coreth die zahlreichen Gäste, die zum ersten Thementag nach Fratres gekommen waren. Soll man einen Schlussstrich ziehen oder eine geeignete Form der Gedenkkultur finden? Über diese Frage bitte er die Gäste an diesem Tag nachzudenken.
Kulturbrückengründer Peter Coreth vor einem Bild von Adolf Frankl. Foto: Hannes Reisinger
Christoph Kardinal Schönborn meinte dazu in einem Grußwort: „Wir müssen die Erinnerung an das Geschehene bewahren, es ist dringlicher denn je.“ Nicht die Politik, sondern nur die Kunst sei in der Lage, die Einheit Europas zu bewahren, sagte Coreth.
Visionen aus dem Inferno
Das Leiden im Konzentrationslager brachte Adolf Frankl in seinen expressiven Bildern zum Ausdruck. Der 1903 in Preßburg geborene und 1983 gestorbene Künstler begann nach seiner Befreiung 1945 den Bilderzyklus „Visionen aus dem Inferno“ zu malen, in dem er allen Völkern dieser Welt ein Mahnmal setzen wollte. Er sagte, wie in einem Film des slowakischen Fernsehens zu sehen war: „Es soll niemandem, egal welcher Religion, Rasse oder politischer Anschauung dieses – oder Ähnliches – widerfahren.“
Thomas Frankl, der Sohn des Künstlers. Foto: Hannes Reisinger
Das Werk Frankls besticht durch seine starke Farbigkeit. Er malt weder abstrakt noch naturalistisch, sondern komponiert große Farbflecken harmonisch oder auch disharmonisch, aus denen Gesichter und Körper der leidenden Menschen realistisch hervortreten, auftauchen, aus der Erinnerung des Künstlers.
Grauen der Konzentrationslager
Sohn Thomas Frankl schilderte in bewegenden Worten die Gefangenenahme der Familie durch die Nazis. Nur durch List und Mut gelang es der Mutter, die beiden Kinder und sich selbst vor der Deportation zu bewahren. Der 85-Jährige hatte eine Tasche dabei, die seine Mutter damals vor den gelben Judenstern hielt. Der Vater indes musste das Grauen der Konzentrationslager erleben.
Archivar Johann Koller und Mara Kraus. Foto: Hannes Reisinger
Der Fotograf Joe Heydecker (1916 – 1997) ist insbesondere durch seine Dokumentation des Nürnberger Prozesses bekannt. Als Soldat gelang es ihm, erschütternde Bilder aus dem Warschauer Ghetto aufzunehmen. Johann Koller archivierte und digitalisierte den Nachlass des Fotografen und führte gemeinsam mit Heydeckers Lebensgefährtin Mara Kraus in die Ausstellung ein.
Blick in die Fotoausstellung Joe Heydeckers. Foto: Hannes Reisinger
„Er wollte die Schmach in Bildern festhalten“, sagte die 94-Jährige. Dazu habe er sich mehrfach nachts in das Ghetto hineingeschmuggelt. Es sind authentische Dokumente des Schreckens im Ghetto und der Zerstörung Warschaus.
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Abenteuerliche Flucht
Mara Kraus verarbeitete die Aufzeichnungen Heydeckers in einem Buch, das im Verlag Bibliothek der Provinz erschien: „Ein Mann mit Eigenschaften“. Darüber hinaus publizierte sie ihre eigenen Erfahrungen einer abenteuerlichen Flucht vor den Nazis in dem Buch „Der talentierte Herr Ginić“.
Mara Kraus bei der Lesung. Foto: Hannes Reisinger
Die Autorin faszinierte das Publikum mit ihrer Präsenz und mit ihrem Humor. Sie sagte: „Auch die entsetzlichsten Ereignisse haben eine groteske Note.“ Ihr Vater sei Berufsoptimist gewesen. Man habe sehr oft flüchten müssen und immer habe er gemeint, dass es einfach sei und gelingen müsse. So bei der 24-stündigen Flucht aus Italien über die Berge in die Schweiz.
Feinste Prosa
Ihre Lesung dieses Abschnitts ist ein Stück feinster humorvoller Prosa. Der Bergführer wurde mit Goldkronen aus der Praxis des Vaters bezahlt, man putschte sich mit Mittelchen auf und stieß endlich auf Beamte an der Grenze, die ob der Unverfrorenheit der Ankömmlinge überfordert waren.
Inge Maux singt jiddische Lieder. Foto: Hannes Reisinger
Das damalige Mitleid der Zermatter Bevölkerung sei eine für heute relevante Geschichte, betonte Mara Kraus, die trotz ihres Alters aktiv im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes tätig ist, wie Winfried Garscha berichtete.
Mit jiddischen Liedern unterhielt die Schauspielerin, Malerin und Sängerin Inge Maux, soeben mit dem Österreichischen Filmpreis ausgezeichnet, die Gäste zwischen den Vorträgen.